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Auf der »4« durchs Veloland Schweiz

Die Fußball-WM machte es möglich. Keiner kaufte Fahrräder, alle hockten vor der Glotze oder feierten. Ich nutzte die Flaute für einen Wochentrip durch die Schweiz.

Radeln am Bodensee

Seit einigen Jahren haben die Eidgenossen ihr Land mit einem flächendeckenden Netz an Fahrradfernwegen überzogen und so zu einem Musterländle für Radfahrer gemacht. Ich habe mich für die »4«, die Alpenpanorama-Route, entschieden. Sie führt von St. Margrethen im Rheintal quer durch die Schweiz bis nach Aigle ins Rhonetal. Auf den rund 500 Kilometern galt es 8.000 Höhenmeter zu bezwingen. Vorbildlich dokumentiert und beschrieben ist die Route im Routenführer »Veloland Schweiz Band 4«.

Veloland Schweiz

Tag 1 | 105 Km, 1.289 Hm

Los ging’s in Friedrichshafen und die Fährüberfahrt nach Rorschach gleicht einer Zäsur: Der Alltag bleibt zurück am deutschen Ufer, in der Schweiz beginnt die Urlaubswoche. Wie nicht anders zu erwarten war der Bodenseeradweg bis nach St. Margrethen sehr voll und ein wenig nervig mit seiner eckigen und verwinkelten Wegführung, aber stets gut ausgeschildert. Ab St. Margrethen war der Spuk vorbei, denn hier kletterte die »4« steil hinauf in die Puppenstubenlandschaft des Appenzeller Lands. Vom Kurort Heiden ein letzter, wunderschöner Blick auf den Bodensee, dann ging’s auf Haupt- und Nebenstraßen und mit vielen knackigen Steigungen bis ins urwüchsig-charmante und überschaubare Appenzell, dem »Hauptdorf« dieses so makellos, kuschelig-idyllischen Landstrichs.

Veloland Schweiz
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Tag 2 | 120 Km, 1.400 Hm

Die ersten elf Kilometer bis Urnäsch bleibt die Route im Blickfeld des mächtigen Säntis, bevor ein kleiner, wenig befahrener Pass ins Toggenburger Land führt, einem etwas herberen Landstrich mit tiefen, tiefen Einschnitten und knackigen Steigungen, die durch die Bank drei Steigungspfeile (über 10%) aufweisen. Bei 30 Grad ein schweißtreibender Job. In Kaltbrunn ist es dann erstmal vorbei mit den Rampen, die Route folgt dem Linthtal. Angesichts der sommerlichen Temperaturen hatte sich bei mir »ein Bad im See« im Kopf festgesetzt und der Klöntalsee lag, laut Karte, greifbar nah an der Strecke. Die Dreifachpfeile und den Höhenunterschied von 400 Metern muss ich wohl verdrängt haben. – Es wurde der anstrengendste Badeausflug meines Lebens. Mit schweren Beinen kämpfte ich mich dann noch bis nach Linthtal, dem Ausgangsort für den Klausenpass.

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Tag 3 | 116 Km, 1.650 Hm

Der Klausenpass ist quasi das Dach der Route 4 und angesichts der knapp 1.900 Meter Höhe nicht mal so im Vorübergehen zu bezwingen. Gut ausgebaut und mit moderater Steigung geht’s erstmal hinauf bis zum Urnerboden, einer großen Alm mit bis zu 1.200 Kühen. Bei moderatem Verkehr lässt es sich hier ganz gut aushalten – ein von der Sonne erwärmter Fels samt sprudelnder Quelle findest sich immer – und gut erholt verlieren auch die letzten 600 Höhenmeter ihren Schrecken. Ein einziger Reiseradler erklimmt mit mir die Passhöhe, ansonsten nur ein paar Rennradfahrer und die obligaten Töff-Fahrer. Die Abfahrt hinunter nach Flüelen ist spektakulär. Die Straße ist recht eng, teils sehr exponiert und lediglich eine dünne Stahlstange trennt Straße und Abgrund. Entsprechend vorsichtig tasten sich die Autofahrer nach unten und man muss als Radler viel überholen… In Flüelen erreicht man den mondänen Vierwaldstättersee, einen der schönsten Seen der Schweiz. Auf dem Abschnitt nach Brunnen hat man teils wundervolle Ausblicke auf den See und die Umgebung und radelt, trotz der beengten Platzverhältnisse und vielen Tunnels, auf einer eigenen Spur. Vom feinen Brunnen bis zur Fähre nach Buochs geht’s auf der normalen Uferstraße, die zumindest mittags um drei Uhr nur wenig befahren war. Ab Buochs schlängelt sich de Route durch den Verdichtungsraum von Luzern, da muss man halt zügig durch. Erst hinter Sarnen wird es wieder ruhiger. Mit einem Bad im angenehm temperierten Sarner See findet ein langer heißer Tag sein angenehmes Ende.

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Tag 4 | 95 Km, 1.850 Hm

Der Glaubenbielenpass ist war zwar nur 1.600 Meter hoch und nur 11 Kilometer lang, aber man fängt bei 400 Meter an. – Der Pass ist durchgängig steil, es gibt also keine Erholungsstrecken, ein echter Quäler. Und das ganze bei schwüler Hitze. Ich konnte gar nicht so schnell trinken, wie ich schwitzte und an eine Pause war nicht zu denken. Sobald ich stand, fielen blutrünstige Insektenschwärme über mich her, die ganz begeistert waren von etwas Abwechslung im Speiseplan, Radler- statt immer nur Kuhsaft. Angesichts dieser Belastungen lag natürlich auch das Früstück wie ein Stein im Bauch… Kurzum ein Pass zum Abgewöhnen, zumal keine Kneipe mit Sonnenterrasse die Schinderei belohnte. Nach der Passhöhe ging es erstmal hinaus aus den Bergen und man fährt durch endlose wellige Weidelandschaft. Ab Schangau wird die Landschaft wieder bergiger und schöner und der Schallenbergpass ist die letzte Barriere vor dem Thuner See. Vor Thun geht’s nochmals auf wunderschönen Nebenstraßen an Gehöften und kleinen Weilern vorbei. Leider verhüllen mächtige, vor sich hingrummelnde Gewitterwolken den Blick auf den Thuner See und die Berner Alpen. Mit den ersten Regentropfen treffe ich in der quirligen Kleinstadt ein, das Bad im Stadtflussbad fällt leider flach, denn es schüttet bis in die Nacht hinein.

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Tag 5 | 103 Km, 1.350 Hm

Ganz kurz scheint morgens die Sonne und in der Ferne blitzen die Bergriesen und Gletscher des Berner Oberlands. Doch schon ab Wattwil bestimmen dichte Wolken den Himmel. Es ist deutlich kühler geworden. Die Route führt durch einsame, stille und dicht bewaldete Hochtäler bis nach Schwarzenburg. Es geht wieder kräftig rauf und runter, denn es gilt viel kleine Flüsse und Bäche zu überqueren, die sich tief in die Moränenlandschaft eingegraben haben. In Fribourg erreiche ich die französische Schweiz und ich habe das Gefühl eine unsichtbare Grenze passiert zu haben, denn schlagartig spricht kein Mensch mehr deutsch geschweige denn english. Einen kurzen Regenschauer sitze ich in einem totschicken Café in Fribourg aus und verlasse dann auch schon wieder die hektische Saane-Stadt. Und weiter geht’s durch Bauernland (von hier kommt der weltberühmte Greyerzer-Käse), überall wird Gülle gefahren, der Landgeruch ist allgegenwärtig. Nach unzähligen kleinen Steigungen erreiche ich müde und abgekämpft den Greyerzersee und das Provinzstädtchen Bulle.

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Tag 6 | 116 Km, 1.363 Hm

Ein paar Kilometer hinter Bulle streift die Route das Städtchen Gruyères, das malerisch auf einem Hügel liegt. Das wunderbar erhaltene Städtchen aus dem 15. Jahrhundert mit stattlicher Burg ist ein echtes Kleinod. Leider waren bei meinem Besuch die Burg wie das Giger-Museum noch geschlossen. Auf einer Nebenstrecke, vorbei an beschaulichen Dörfern, ging es nun hinein in die Berge. Nach Montbovan führte eine kleine Straße steil hinauf und es wurde nun sehr einsam. Die Straße verengte sich zeitweise zum Feldweg mit unzähligen Schlaglöchern und riesen Pfützen. Dafür entschädigte die wunderschöne Bergwelt, die Stille und die unzähligen Wasserläufe. Überall plätscherte und gurgelte es. Auf 1.300 Meter erreichte ich den Lac de l´Hongrin, einen einsamen Stausee, der nur auf völlig zerflederten Betonwegen zu erreichen war. Auf eben diesen Wegen ginge es um den See herum und dann weiter hinauf bis zur Passhöhe auf 1.611 Meter. Es war schon etwas unheimlich hier oben. Kein Mensch weit und breit, die Straßen überspült mit Kies und Steinen – ein Unwetter musste kurz zuvor hier durchgekommen sein – und wegen der Wolken keine Aussicht. Erst als sich die Straße nach unten neigte und für wenige Sekunden der Genfer See durch die Wolken blinkte wusste ich ich hatte die Passhöhe passiert. Ein 200 Meter langer und nahezu unbeleuchter Tunnel waren dann nur eine Herausforderung bei der Abfahrt. Unheimlich steil ging es nach unten und die Straße war übersät mit Geröll und kleinen Erdrutschen. Also keine 1.200 Höhenmeter Abfahrtsrausch zum Abschluss der »4«, sondern Schwerstarbeit für Bremsen und Fahrer. Über Montreux, dessen Strassen mit Jazzmusik beschallt waren fuhr ich dann auf der Route »1« bis nach Lausanne. Natürlich gibt es auf diesem Abschnitt nur partiell abgegrenzte Radwege, aber ein kräftiger Rückenwind und der Flair der Schweizer Riviera schoben mich beschwingt bis ins brodelnde Lausanne.

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Tag 7 | 156 Km, 1.010 Hm

Statt die ganze Strecke mit den Zug nach Hause zu fahren, beschloss ich der Fernroute »5« – der Mittellandroute – bis nach Bern zu folgen. Auf teils abenteuerlichen Wegen schlängelte sich die »5« dahin und erst einige Kilometer vom See entfernt macht das Radeln wieder Spaß. Vor Yverdon geht es, monoton und langweilig, auf Schotter und Betonwegen immer geradeaus. Ein Bad im frischen Lac de Neuchâtel lindert die Schmerzen auf der Sitzfläche. Schöner ist da schon die weitere Strecke am See entlang, auch wenn hier wieder viele Schotterwege warten. Mein Ding wird es allerdings nie sein, an Seen oder Flusstälern entlang zu radeln. So bin ich froh, als ich zum Murtensee abbiegen kann und es wieder rauf und runter geht. Eigentlich wollte ich hier übernachten und am nächsten Tag vollends nach Bern rollen, aber Murten war wegen eines Festivals überfüllt. Vor Bern gibt es dann nochmals Hügel satt und vor allem am Wahlensee, kurz vor Bern, macht die Strecke die abenteuerlichsten Loopings und ich verfahre mich immer wieder. Landschaftlich aber wunderschön. Um acht Uhr abends rolle ich schließlich in die prachtvolle Altstadt von Bern und erlebe hier, ob ich will oder nicht, den dritten WM-Platz unserer Fußballer.

Veloland Schweiz
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Fazit

Zur Zeit ist das flächendeckende Fahrradstreckennetz der Schweiz sicherlich einmalig. Die Touren und Landschaften sind so vielfältig, dass unterschiedlichste Radler-Temperamente das Richtige finden können. Allerdings muss man selbst auf relativ flachen Routen mit kräftigen Steigungen rechnen und die Touren durch die Berge sind nur für trainierte Fahrer geeignet. Die Qualität der Ausschilderung und der Radwege ist teils sehr unterschiedlich, aber meist viel besser als bei uns und vor allem einheitlich. Durch die vielen Schotterpassagen sind die Strecken nichts für Rennräder oder Trekkingräder mit schmalen Reifen. Für die sportlichen Bergtouren haben sich wieder mal die Radkomponenten Rennlenker, Magura-Hydraulikbremse und 35 bis 40 Millimeter breite Slicks hervorragend bewährt. Auch das Verkehrsaufkommen auf den Straßen kann zum Teil stark schwanken. Generell würde ich sonntags keine Strecken fahren, die für Ausflügler und vor allem Motorradfahrer interessant sind, denn die Schweizer sind bei aller Fahrradbegeisterung überwiegend auch Auto- und Motorradfahrer. Einmalig ist die einfache und spontane Kombinierbarkeit von Rad, Zug und Schiff, damit können unattraktive oder zu bergige Streckenabschnitte entschärft werden.

Veloland Schweiz

Für mich war es auf jeden Fall nicht die letzte Reise durchs Veloland Schweiz, auch wenn’s am Geldbeutel zwickt. Qualtität hat halt immer seinen Preis ;-)

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