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E-Power und Muskelkraft: BionX

Kein Thema wird in der Fahrradbranche gerade so heiß diskutiert wie der Elektroantrieb.

Bitte beachten Sie auch den Artikel »Elektro-Velotraum« vom 15. März 2010.

Die Bedeutung für Velotraum schätzen wir im Moment noch nicht all zu hoch ein. Abseits stehen bringt aber keine Erkenntnisse. Und so traf es sich ganz gut, dass eine Velotraum-Kundin ihr Rad auf einen Elektroantrieb umbauen lassen wollte.

Der Bionx-Nabenmotor

Als Nachrüstsystem bietet sich natürlich der kanadische Bionx-Motor an, der in unterschiedlichen Leistungsklassen angeboten wird. Hier zum Einsatz kam ein PL250, mit 250 Watt Leistung und der für Deutschland notwendigen Abregelung ab Tempo 25 km/h.

Der Einbau des Nabenmotors, die Anbringung der Steuerkonsole und des Bremshebelsensors sind völlig unproblematisch und machen einen durchdachten Eindruck. Dass es im Moment keine deutsche Bedienungsanleitung gibt und auch sonst die technische Dokumentation sehr spärlich und handgestrickt ausfällt, sollte sich möglichst bald ändern und passt nicht zum hohen Preis von 1.590 Euro.
Nachtrag 17.03: Wir haben die deutschsprachige Bedienungsanleitung »gefunden«, die dem Nutzer genügend Einblicke in die Möglichkeiten des 1590-Euro-Bionx-Systems gibt.

Fahreindrücke

Mit großer Spannung machte sich dann die ganze Mannschaft nacheinander ans Probefahren. Unsere Eindrücke:

  1. die Motorkaft ist deutlich spürbar und nach kürzester Eingewöhnungszeit hat man die Sache im Griff. Je nach Topografie und gewünschter Unterstützung wählt man die Leistungsstufen 1 bis 4 am Bedienungsboard. Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass meistens die Stufe 4 gewählt wird.
  2. in bestimmten Lastbereichen ist der Motor hör- und spürbar, allerdings haben wir das nicht als störend empfunden.
  3. sehr lässig lassen sich auch bei leichten Steigungen oder Gegenwind 25 km/h erreichen, dann regelt die Elektronik ab. Anfangs irritiert das etwas, aber auch daran gewöhnt man sich schnell.
  4. bis 5% Steigung sind ebenfalls vergleichweise locker 15 bis 20 km/h möglich, wichtig scheint jedoch eine höhere Trittfrequenz, damit der Motor in einem günstigen Wirkungsgrad-Bereich arbeiten kann.
  5. in die Knie ging unser Testrad bei 12% Steigung und einem Fahrergewicht von 100 Kilogramm. Da musste richtig kräftig in die Pedale getreten werden.
  6. apropos Berg. Wenn man versuchsweise den Motor am Berg ausschaltet, geht nicht mehr viel, man bleibt quasi stehen. Sprich, man sollte tunlichst darauf achten, immer einen gut gefüllten Akku zu haben, wenn man im hügeligen Terrain unterwegs ist. Denn ohne Motorunterstützung ist nach unserem Empfinden nur auf ebener Strecke ein passables Vorwärtskommen möglich.
  7. beim Bremsen wird der Antrieb zuverlässig abgeschaltet. Es empfehlen sich unbedingt gute Bremsen (z.B. HS 33) aufgrund der generell höheren Geschwindigkeiten
  8. das Fahrgefühl des Rades bleibt, von der Motorunterstützung einmal abgesehen, völlig unverändert. Und selbst die für heutige Velotraum-Maßstäbe mittelprächtige Steifigkeit des alten TD-Rahmens reicht völlig aus und lässt auch bei 60 km/h bergab – trotz des drei Kilogramm schweren Akkus auf dem Gepäckträger – kein unsicheres Gefühl aufkommen.
  9. das Schaltverhalten der Schraubkranz-Kassette ist bescheiden und bewegt sich auf dem Niveau von 19…, aber man benötigt die Schaltung viel, viel seltener.
  10. systembedingtes Manko ist eventuell die Beschränkung auf die Kettenschaltung, dafür sind Fahrradgewichte von unter 17,0 Kilogramm möglich.
  11. der Akku (Ni-Mn 24V 10Ah) war nach 15 Test-Kilometern, mit vielen für unsere Region typischen Steigungen, zu drei Vierteln leer. Allerdings erreicht der Akku erst nach mehreren Ladezyklen seine maximale Kapazität.

Gewinn und Verlust

Ganz ohne Zweifel, ein Rad mit Elektroantrieb macht Spaß und kann begeistern. Der Zugewinn an Kraft bedeutet aber auch Verluste. Denn eigentlich steigen die meisten Menschen aufs Rad, um etwas für sich und die Physis zu tun, um sich zu spüren. Stärke und Schwäche, Ausdauer und Müdigkeit, unterschiedliche Geschwindigkeiten sowie Erfüllung und Befriedigung durch die Fortbewegung aus eigener Kraft. Das alles wird vom Motor stark nivelliert. Sprich, das Gefühl für die eigene Leistung, für den eigenen Körper, geht verloren. Zudem nimmt die technische Abhängigkeit zu, nicht nur wegen des Stroms aus der Steckdose.

Man kann das Ganze aber auch von der anderen Seite sehen: mehr Potential, mehr Freiheit, mehr Tempo und weniger Anstrengung durch die Kraft aus dem Akku. Schließlich ziehen wir auch nicht mehr täglich los, um ein Schnitzel zu jagen…

Vorläufiges Fazit

Die Entscheidung für ein Fahrrad mit elektrischem Zusatzantrieb wird sicherlich immer aus ganz unterschiedlichen und sehr persönlichen Gründen gefällt werden müssen. Das hier vorgestellte Bionx-System macht auf uns einen sehr guten Eindruck und ist hervorragend für die Nachrüstung und auch für neue Räder geeignet. Durch die hohe Rahmensteifigkeit sind Velotraum-Rahmen geradezu prädestiniert für den Einbau. Zudem fügt sich das Bionx-System vergleichsweise dezent ins Erscheinungsbild des Fahrrads ein.

Der additive Charakter des Bionx-Systems bringt zwar ein paar improvisiert wirkende Elemente mit sich, wie zum Beispiel den Bremshebel-Sensor oder den externen und nicht in den Rahmen intergrierten Akku (bei einem Diamantrahmen befindet sich der Akku im Rahmendreieck), ist aber unwahrscheinlich flexibel und vielseitig auf die Kundenwünsche anzupassen. Ideal also für ein Baukastensystem und individualisierte Fahrräder.

Auf die Frage, ob man, einmal an die Unterstützung des Motors gewöhnt, je wieder mit Spaß »normal« Radfahren kann, ist schwer zu beantworten und hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. In der Tendenz sind wir der Meinung, dass man sich wohl für eine Fahrrad-Welt entscheiden wird.

Und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass die momentanen Zwitterwesen, bestehend aus Fahrrad und E-Mobil zu einer neuen Fahrzeuggattung verschmelzen. Denn spätestens, wenn die Akkutechnlogie noch einen Schritt weiter ist, wird sich der jetzt schon erkennbare Trend zu immer mehr Leistung fortsetzen und den kleinen Leistungsbeitrag des Menschen bald überflüssig machen. Am Ende der Entwicklung steht dann vielleicht eine neue Art von zweirädrigen E-Fahrzeugen, mit Verkleidung, Vollfederung, größerem Stauraum, aber mit großer Wahrscheinlichkeit ohne Pedale.

Vielleicht überwindet ja die Menschheit der nahen Zukunft die Bequemlichkeitsmaximierung und sieht in der Kombination aus Elektro- und Manpower ein adäquates Mobilitätskonzept, und vielleicht entdeckt der Eine oder Andere sogar dadurch das effizienteste aller Fortbewegungsmittel neu: das mit purer Menschenkraft betriebene Fahrrad ;-)

So oder so, die intensive Auseinandersetzung mit dem elektrischen Zusatzantrieb wird bei Velotraum weiter gehen und wir werden zu gegebener Zeit erneut darüber berichten.

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