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Eurobike 2011 – nichts existiert ohne sein Gegenteil

Schon beim ersten Betreten »unserer« Halle A2 am Aufbautag war klar, die Branche hat sich innerhalb eines Jahres wieder spürbar verändert.

Das gewohnte Auftrumpfen bei einer Messe – höher, schneller, weiter – hat sich nochmals ins Monumentale gesteigert, nicht nur was die Aufbauhöhe der Messestände betrifft.

Experimente und neue Wege

Um uns herum sind die Stände in zwei- und dreistöckige Höhen geschossen und selbst vermeintlich bodenständige Unternehmen wie Magura ließen ihren Stand mit machtvoller Inszenierung in den Hallenhimmel wachsen. Messe ist Showtime!

»Reife Marken schreien ihre Kunden nicht an. Sie kommunizieren ruhig und gelassen«.*

Ehrlich gesagt, war es zumindest in den ersten Aufbau-Stunden mit der Ruhe und Gelassenheit des Chronisten nicht weit her, denn die visuelle Lautstärke der Nachbarschaft nährten den latenten Zweifel an unserem neu gedachten und so leisen Auftritt. Noch mehr Zweifel betrafen unsere eigentliche Messeneuheit, die so sehr von Details, Verfeinerung und Komplexität geprägt war… Da aber ein Alles-wieder-einpacken nicht zur Debatte stand, machten wir uns an das Zusammenpuzzeln unseres neuen Messestands.

Bei den Überlegungen zum Messeauftritt 2011 kamen wir recht schnell zu der Erkenntnis, dass wir im Vorjahr den Zenit unserer bisherigen Messauftritte erreicht hatten und in dieser Form nicht mehr steigerungsfähig war. Da war guter Rat teuer. – Vor der anspruchsvollen Aufgabe, einmal nicht nur schöne Fahrräder zu präsentieren, sondern die Basis und das Wesen des Ganzen – Fahrrad-Konzepte statt Fahrrad-Modelle – darzustellen, sind wir bisher zurückgeschreckt.

Dabei ist genau dieses konzeptionelle Vorgehen, das komplex und vielschichtig in der Anwendung, sowie sperrig in der Darstellung ist, auch die Basis für den neuen »VT1100«-Rahmen, den wir auf der Messe präsentieren wollten (eine ausführliche Beschreibung zum VT-1100 gibt es, sobald Fotos und noch zu erstellende Produktinfos fertig sind).

Wir haben es dann doch gewagt und auf einem 6,5 Meter langen Podest, eine Art Velotraum-Konzept-Inszenierung aufgebaut, die in Verbindung mit den wenigen Ausstellungsrädern die Velotraum-Botschaft transportieren sollte. Doch das Experiment, die Bestandteile und Säulen unserer Fahrradkonzepte mal anders zu präsentieren, schien aufzugehen. Es war spannend zu erleben, dass fast jeder unserer Händlerpartner – aber auch Journalisten – längst Bekanntes und vermeintlich Selbstverständliches neu entdeckte. Manchmal hörte man den Groschen förmlich fallen ;-)

Messealltag und Eindrücke satt

So ein typischer Messetag besteht dann aus vielen intensiven Gesprächen mit unseren Händlern. Hier haben wir inzwischen ein wunderbar partnerschaftliches Miteinander entwickelt. In den gut einstündigen Gesprächen wird sehr intensiv über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesprochen und quasi so ganz ohne Unterschrift und Vertragsbrimborium ein »Pakt« erneuert, der deutlich über das übliche Hersteller-Händler-Verhältnis hinausgeht. Der Chronist hat dann noch nebenbei ein knappes Dutzend Messekontakte zu bewältigen – aber auch darüber wollen wir nicht jammern. Denn bei über 1.000 Ausstellern sind wir ausgesprochen froh und dankbar, dass wir für Journalisten ein fester und gern aufgesuchter Anlaufpunkt sind.

Abends geht es dann zum Beispiel auf die schöne und amüsante Rohloff-25-Jahr-Feier oder man sitzt einfach bis in die Puppen mit den wilden Kerlen von Bern zusammen – die immer für ein originelles Mitbringsel (Toblerone im Fahrradschlauch) gut sind und ein Sitzfleisch haben… Gott sei Dank helfen die zwölf Fahrrad-Kilometer zur Ferienwohnung jeden Morgen und Abend (Nacht) dabei, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Den braucht man zum Beispiel auch, um die unglaubliche Vielfalt der Eurobike-Fahrrad-Welt aufzunehmen und zu verarbeiten. Es gibt praktisch nichts, was es nicht gibt. Die einen machen nur noch Twentyniner, andere nur 20-Zoll, für die Spoken- und Fixie-Szene können Rahmen und Rohre nicht spindelig genug sein. Wieder andere bauen in alles was zwei Räder hat einen E-Motor ein und je dicker und ruppiger das Ergebnis, desto besser, und in der BMX-Szene kommt ein Ganzkörper-Tattoo immer gut. So zumindest die Augenwinkel-Impressionen beim Durcheilen des Eurobike-Mikrokosmos’ zu einem Fototermin. In jedem Fall technisch wie soziologisch ein Erlebnis.

Spätestens nach dem zweiten Tag waren dann auch bei uns die leisen Zweifel hinsichtlich des Standkonzepts und des neuen VT-1100-Rahmens völlig verflogen. Es gab großes Lob und Anerkennung von allen Seiten, auch am Publikumstag. Leider vereitelte ein tragischer Schienensuizid das pünktliche Eintreffen der restlichen Velotraum-Mannschaft am Samstag, so dass aus einem Messerundgang samt Impressionen nichts mehr wurde – angesichts der Umstände aber sicher verschmerzbar.

Hirn überfüllt – Abstand tut Not

So wichtig und toll die Messe auch war, irgendwann kommt der Punkt, an dem man merkt, dass Abstand Not tut. Nicht so einfach, denn die Gedankenwelt hat nach vier Tagen unablässigen Dauer-Empfangs so ’ne Art Eigenleben entwickelt.

Spontan entschlossen wir uns daher am Samstag-Spätnachmittag zu einer Kultur-Kur. Mit Erfolg. – Bei der abendlichen Ausstellungseröffnung in der Sammlung Domnick in Nürtingen, katapultiert die Arbeit Fremdkörpernah von Ea Bertrams – jene Künstlerin und Freundin, die auch den überdimensionalen Stempel für das Velotraum-Gebäude gestaltet hat – uns in eine andere, nicht minder verstörende und faszinierende Welt…

(*) Erstaunlicherweise stammt das Zitat von James Woodbridge, dem Vorstand für Marketing bei McDonald’s Deutschland. Merke: So unterschiedlich kann man Dinge sehen.

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