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Pinion-Getriebe in der Fahrpraxis

Zweifelsohne ist das Pinion-Getriebe ein wunderbares Beispiel für deutsche Ingenieurs-Kunst und ein besonders faszinierendes Stück Fahrradtechnik.

Verständlich, dass bei all der berechtigten Begeisterung für die Leistung, die Beharrlichkeit und den Wagemut der Pinion-Macher und der Sorge einen Trend zu verpassen, das Pinion-Getriebe zum neuen Fahrradschaltungs-Superlativ stilisiert wurde.

Wohl auch zum Leidwesen der Pinion-Macher sind die Erwartungen an das P1.18-Getriebe inzwischen gewaltig ins Kraut geschossen. In Anbetracht des Preises, der sich überschlagenden Fachpresse und der Herkunft (irgendwas mit Porsche…) muss das Pinion P1.18-Getriebe alles in den Schatten stellen – sowohl die Rohloff-Nabe, als auch die besten Kettenschaltungen. Doch solch überhöhte und unrealistische Erwartungen kann selbst ein so viel versprechendes Produkt wie die Pinion-Getriebebox nicht erfüllen.

Vom Pinion-fahren

Inzwischen haben alle Veloträumer das Pinion auf ihren Alltagsstrecken und im Freizeitbereich gefahren und ein gemeinsames Fazit lautet: fühlt sich sehr bekannt und vertraut an. Wir haben es also nicht mit einer Revolution, sondern mit einer Evolution im besten Sinne zu tun.

Bedienung

Wie nicht anders zu erwarten, lässt sich auch das Pinion-Getriebe, wie alle anderen Nabenschaltungs-Getriebe, nicht oder nur etwas unwillig unter Last bzw. Teillast schalten. Eigentlich logisch, denn wie soll ein Getriebe ohne Kupplung unter Last sanft die Gänge wechseln? Sobald der Pedaldruck weg ist, schaltet das P1.18 schnell und präzise. Allenfalls die kurzen Schaltwege, immerhin müssen 18 Gangstufen auf 330 Grad Hebelweg untergebracht werden, verlangen nach mehr Eingewöhnung und in hektischen Situationen landet man anfangs schon mal einen Gang drüber oder drunter. Sobald man aber ein Gefühl für die Feinmechanik entwickelt hat, gelingen einem treffsichere Gangwechsel, auch über vier bis sechs Gangstufen hinweg. Einziges Haar in der Suppe: Als hoffnungslos verbohrte Rennlenker-Fahrer wünschen wir uns die Möglichkeit aus verschiedenen Griffpositionen (z.B. am Lenkerhörnchen) zu schalten, auch wenn dieser Wunsch sicherlich nicht besonders repräsentativ ist. Schließlich ist auch die Mehrzahl der Velotraum-Kunden mit geradem Lenker unterwegs und hat somit die Hand in der Nähe des griffigen und leichtgängigen Drehhebels.

Übersetzung, Abstufung

Das Übersetzungsspektrum mit 636 Prozent ist gewaltig und für ein so kompaktes Getriebe ebenso einmalig wie herausragend. Natürlich wird nicht jeder dieses gewaltige Spektrum benötigen (Rohloff liegt bei 520 Prozent) und ausnutzen. Für ein Fahrrad, das vielseitig genutzt und in unterschiedlichsten Terrains eingesetzt wird, ist der große Übersetzungsbereich des Pinion jedoch ein gewichtiges Pfund.

Etwas ambivalenter sind da sicherlich die feinen Schaltschritte zu sehen, die mit 11,5 Prozent (Rohloff 13,6 Prozent) abgestuft sind. Je nach Fahrertemperament und Einsatzbereich ist die Rennrad-ähnliche, feine Abstufung ein echter Genuss und ermöglicht es, dass die menschliche Verbrennungsmaschine immer im optimalen Wirkungsgrad-Bereich arbeiten kann. Bedeutet aber auch, dass mehr geschaltet werden muss. Doch so fein und gleichmäßig die Schaltstufen auch sind, nicht immer »passen« die Gangsprünge zur Fahrsituation oder zum momentanen Fahrgefühl. Die Abhilfe ist jedoch sehr simpel: einfach einen Gang überspringen. Nach zwei bis drei Ausfahrten geht einem das in Fleisch und Blut über. Sicherlich wird es auch Fahrer geben, denen die Gangsprünge generell als zu klein erscheinen. In diesem Fall bleibt ein wesentliches Potential des Piniongetriebes ungenutzt und ist vielleicht nicht die passende Lösung.

Geräusche, Gefühl, Wirkungsgrad

Auch das Pinion hat einen Getriebe-spezifischen »Sound«, der je nach eingelegter Gangstufe und Belastung unterschiedlich ausfällt. Tendenziell liegen die »lauten« Gänge bei Pinion eher in den hohen (schnellen) und weniger in den niedrigen (langsamen) Gangstufen (zumindest bei unserem Seriengetriebe). Der Chronist fand sie tendenziell leiser und weniger störend als den Rohloff-Sound, andere Veloträumer empfanden es genau umgekehrt… Also eine sehr subjektive Sache, die angesichts der vielen Vorteile eines gekapselten 18-Gang-Getriebes kaum eine Relevanz haben dürfte. Einigkeit in der Wahrnehmung herrschte dann wieder darüber, dass die Getriebeprozesse im Pedal spürbar sind. Allerdings sehr dezent und in keinster Weise störend. Vielleicht mit einer Einschränkung: Passionierte Kettenschaltungsfahrer neigen dazu, Geräusche und mechanisch spürbare Prozesse mit Wirkungsgradverlust gleich zu setzen. Ob dieser nun real stattfindet oder nur in der Vorstellung passiert, ist dabei unerheblich, man fühlt sich einfach langsamer und gegen dieses »Verlust-Trauma« ist der Verstand machtlos ;-)

Fahrverhalten, Gewicht

Ein (noch) besseres Fahrverhalten durch den tieferen und mittig angeordneten Schwerpunkt des Getriebes im Rad konnten wir nicht feststellen. Selbst die (eigentlich) hypersensiblen Popometer unserer Vielfahrer (>10.000 km Jahresleistung) konnten da keinen Unterschied zur Ketten- oder Rohloff-Schaltung feststellen. Entweder sind wir nicht sensibel genug oder Velotraum-Räder kompensieren den Unterschied (irgendwie)… Das Velotraum-Pinion fährt sich einfach sehr gut – Punktum. Objektiv messbar ist jedoch das Fahrradgewicht. Etwas über drei Kilogramm wiegt die Getriebeeinheit, sprich ein alltagstaugliches Velotraum mit Pinion-Getriebe wird 15 bis 17 Kilogramm wiegen.

Rahmendesign und Optimierungsfalle

Beim Pinion bilden Rahmen und Getriebe eine Einheit. Dieses Merkmal ist Fluch und Segen gleichermaßen. Zum Einen wird so von Anfang an eine vergleichsweise hohe Systemintegration erzielt, zum Anderen gibt es hinsichtlich der Schaltung (bei Defekt oder Nichtgefallen) keinen Änderungsspielraum mehr, daher prüfe, wer sich ewig bindet. In einer ähnlichen Situation befindet sich der Hersteller: ein höheres unternehmerisches Risiko sowie mehr Entwicklungs- und Kostenaufwand. Vor diesem Hintergrund wird vielleicht auch verständlich, dass speziell jetzt am Anfang noch nicht alle denkbaren und wünschenswerten Optionen umgesetzt werden können. Es ist einfach noch nicht abzuschätzen, wohin sich die tatsächliche Nutzung, Vorlieben und Anforderungen der Pinion-Gemeinde entwickeln werden. Erstmal abwarten und (weiter) zuschauen, wohin die Reise geht, ist für uns keine Option, dazu finden wir das Schwaben-Getriebe viel zu reizvoll und wollen die sich anbahnende Entwicklung (vielleicht wird da ja eine Erfolgsgeschichte à la Rohloff daraus) mit gestalten und Erfahrungen sammeln.

Für Velotraum bedeutet dies, dass wir in der ersten Serie zum Beispiel keine Riemenoption vorsehen werden und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die bisher gezeigte Pinion-Lösung für die Kettenführung (mittels Spanner) beibehalten. Die Alternative, die Kette mit verschiebbaren Ausfallenden zu spannen, hat für unser Dafürhalten einfach zu viele Nachteile (Gepäckträger- und Schutzblechbefestigung, Felgenbremse, Komponentenvielfalt, Handling), die wir höher gewichten, als die Vorteile der verschiebbaren Ausfallenden. Auch mit diesen vermeintlichen Zugeständnissen an die Mach- und Bezahlbarkeit wird ein Velotraum-Pinion ein ausgereiftes Fahrrad sein und unvergleichlich »reifer« und »stimmiger« sein, als unsere ersten Rohloff-Räder vor neun Jahren!

Laufrad- und Bremsen-Vielfalt

Das Velotraum-Pinion wird wie alle Velotraum-Räder wahlweise mit Felgen- oder Scheibenbremsen ausrüstbar sein. Speziell bei der Scheibenbremse hat Pinion einen kleinen Gewichts- und Preisvorteil gegenüber der Rohloff, da weder eine externe Klickbox noch eine spezielle Bremsscheibe benötigt wird. Auch die Option, das Rad mit einem zweiten Laufradsatz schnell und umfassend für einen anderen Einsatzbereich zu optimieren, gewinnt beim Pinion-Rad wieder an Charme und Bedeutung. So zum Beispiel robuste Alltagslaufräder gegen ein paar spritzige Leichtbau-Laufräder zu tauschen oder dergleichen.

Fazit

Ein wertender Vergleich zur Rohloff-Nabe oder Kettenschaltungen ist unserer Meinung nach nicht angebracht und hilft potentiellen Käufern nicht weiter. Denn, alle Schaltungssysteme haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Entscheidend sind schlicht die individuellen Anforderungen und Bedürfnisse. Den absoluten Überflieger, der alle Anforderungen und Wünsche an eine Fahrradschaltung abdeckt, gibt es auch weiterhin nicht.

Wir sehen im Pinion-Getriebe eine sehr schöne Erweiterung für das Velotraum-Konzept. Der große Übersetzungsbereich, die feinere Abstufung und die höhere Laufradflexibität passen perfekt zu unserem facettenreichen Fahrradkonzept. Darüber hinaus ist das Pinion-Getriebe auch ein echtes »Liebhaber- und Verfeinerungsobjekt«, für Menschen mit einer Schwäche oder Leidenschaft für das Besondere. Abstriche bei der Funktionalität muss dabei niemand machen.

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