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Weite Fahrrad-Horizonte in München

Auf dem 3. Fahrradentwickler-Kongress und dem Tag der offenen Tür der Redaktionen von TREKKINGBIKE, TOUR und BIKE gab es Input satt.

Doch vor dem »Input« war erstmal »Output« angesagt. In einer schwachen Minute hatte sich der Chronist zu einem Fachvortrag für diesen Kongress überzeugen lassen. So eine Mischung aus geschmeicheltem Ego und Abenteuerlust…

Fahrradentwickler-Kongress – Entwicklungsziele transparent gemacht

Fahrradentwickler-Kongress, das hört sich ja schon mal reichlich pompös an, aber der Begriff bringt es in der Rückschau doch auf den Punkt. Der Seminarraum im noblen Novotel, unweit des Deutschen Museums, war gut gefüllt und die Teilnehmer bildeten einen repräsentativen Querschnitt durch die Fahrradbranche, von Canyon bis Derby-Cycles. Die Kongress-Schwerpunkte bildeten die Themen Ergonomie, Neuestes in Sachen Carbon, sowie Ausblicke und Anforderungen ans E-Bike.

Schwerpunkt Ergonomie

Mein Thema lautete »Sitzposition und Rahmengeometrie von Alltags- und Reiserädern« und die Herausforderung bestand darin, einen fundierten Vortrag zu halten und nicht zu viel Velotraum-Knowhow preis zu geben. Unter dieser Problematik leiden – so einer der Verantwortlichen – solche Veranstaltungen generell, denn in aller Regel vereinbaren Produktentwickler absolute Verschwiegenheit mit ihren Arbeitgebern. Es war also ein wenig die Quadratur des Kreises und verschlang viiiiiel Vorbereitungszeit (noch nie war ich so nervös und angespannt vor einem Vortrag…).

Zum Glück war ich der zweite Referent und nach überstandener Präsentation* konnten wir (meine Frau Patricia war mit von der Partie) uns voll und ganz auf die folgenden Vorträge konzentrieren.

Besonders gespannt waren wir auf den Vortrag von Andreas Bruch (Radlabor) und sein Thema »Sitzpositionsoptimierung im Rennrad- und Triathlonsport«. In der höchsten Ausbaustufe wird das Produkt-Versprechen »Radlabor« eindrucksvoll umgesetzt und es wird mit einem wissenschaftlichen Anspruch gearbeitet. Nicht von ungefähr werden inzwischen viele Spitzensportler vom Radlabor betreut. Sehr eindrucksvoll, die Möglichkeiten in der (Daten)Erfassung und Darstellung der Kinematik. Allerdings lassen sich damit – zumindest nach den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen – wenig bis keine »Gesetze« oder »Normwerte« ableiten, so Bruch. Die Bewertung und Beurteilung einer Sitzpostion oder eines Bewegungsablaufs bleibt weiterhin Aufgabe eines Spezialisten und Beraters.

Ansonsten deckt sich die Radlabor-Systematik in vielen Bereichen mit dem Velotraum-Standard. Die einfachen »Werkzeuge«, die das Radlabor z.B. Händlern anbietet, sind der Velotraum-Messmaschine (in Verbindung mit einem kompetenten Berater) nach unserem Dafürhalten unterlegen. Wesentlich weiter und tiefer als die Velotraum-Anpassung geht das Radlabor in der Profistufe, die an den Standorten Frankfurt, München und Freiburg angeboten wird. Nicht nur für Hochleistungssportler oder kinematische Problemfälle werden dort hervorragende und bislang einmalige Analyse- und Lösungs-Möglichkeiten angeboten.

Carbon – das schwarze Gold

Allein vier Vorträge befassten sich mit dem Thema Carbon. Doch statt uns an den Isarstrand zu verabschieden (draußen lockten 30°) ließen wir uns auf den neuesten Stand des Wissens beamen. Hier wird wahnsinnig viel Grundlagen- und angewandte Forschung an den deutschen Universitäten betrieben, sehr, sehr häufig mit EU-Fördergeldern und in Kooperation mit Fahrradherstellern, wie Canyon, Ghost, usw. – da machen wir wohl was falsch ;-)

Wenn man einmal von den neuesten Entwicklungen mit ihren extrem leichten Rahmen absieht (700–800 Gramm), wird das Material inzwischen von den Topherstellern (da gibt es aber nur eine Handvoll!!!) perfekt beherrscht und die Rahmen dürfen für sicher und sehr haltbar gehalten werden.

Zwar beendet ein Sturz, Misshandlungen beim Bahn- und Flugtransport, oder auch das Kippen gegen einen Laternenpfahl, weiterhin das Carbonrahmen-Leben und somit ist die Alltags- und Reisetauglichkeit als problematisch zu betrachten. Wobei auch das nicht mehr ganz stimmt, denn die Carbon-Spezialisten UBC aus Murr, präsentierten eine hochwirksame und von Zedler getestete Reparaturmethode.

Ein gravierendes Problem bleibt jedoch. Es ist bei Carbonrahmen (je nach Beschädigungsart) sehr schwer zu erkennen, wie stark und relevant eine Beschädigung tatsächlich ist. Während ein Metallrahmen, nach einem Sturz oder dem Kontakt mit einem Laternenpfahl, eine deutlich sichtbare Delle aufweist, kann ein Carbonrahmen oberflächlich völlig intakt aussehen aber dennoch gravierende Strukturverletzungen in den darunter liegenden Gewebelagen aufweisen…

Aerodynamik am Rennrad – Interaktion satt

Überraschungen auch beim Vortrag des langjährigen TOUR-Redakteur Robert Kühnen über das Thema »Aerodynamik am Rennrad«. Das Thema ist nur auf den ersten Blick weit von der Velotraum-Wirklichkeit entfernt. Während des Vortrags ergaben sich interessante Bezüge, denn bei der Aerodynamik geht es ebenfalls um die Betrachtung des Gesamtsystems Mensch und Fahrrad. Nach neuesten Windkanalversuchen von TOUR stehen die komplexen Gesetzmäßigkeiten in einem ziemlich großen Widerspruch zu den oft einfachen (Branchen)Wahrheiten. Einmal mehr lautete die Erkenntnis, dass man immer das Gesamtsystem betrachten muss, da alle Faktoren – »auf teilweise unvorhersehbare Weise interagieren«.

Man kann das Thema Aerodynamik aber auch mal mit dem immer wieder diskutierten Rollwiderstand von 26-Zoll-Laufrädern verknüpfen. So beträgt bei 30 km/h der Luftwiderstand bei einem Rennradfahrer 75 Prozent vom Gesamtwiderstand. Bei einem Alltags- und Reiseradler wird dieser Prozentsatz eher bei 80 bis 85 Prozent liegen, da er weniger aerodynamisch sitzt. Bleiben also noch 15 bis 20 Prozent Restwiderstand (Lager- und Rollwiderstand) übrig. Selbst wenn man nun dem 26-Zoll-Laufrad fünf Prozent mehr Rollwiderstand unterstellt, resultiert daraus maximal ein Prozent mehr Gesamtwiderstand! – Sprich ein Kleidungsstück oder allein die Schutzblechbreite hat also durch den verursachten Luftwiderstand eine nachweislich höhere Relevanz für den Gesamtwiderstand, als die Laufradgröße.

Aber auch zum Thema »Rahmengeometrie und Sitzposition« hatte Kühnens Vortrag einen überraschenden Querverweis zu bieten. Der geringste CW-Wert wird zur Zeit von einer Specialized-Zeitfahrmaschine erreicht, klarer Testsieger. – Allerdings nur solange man den Fahrer außen vor lässt. Bei der Gesamtbetrachtung, also dem CW-Wert von Fahrrad mit Fahrer hatte das Rad von Giant die Nase vorn und zwar aufgrund der besseren Rahmengeometrie. Die Ursache: Die Specialized-Zeitfahrmaschine war selbst in der größten Rahmengröße zu kurz gebaut und bot zu wenig Anpassungsmöglichkeiten an den Fahrer.

E-Bike – Aufmarschfeld für die »Großen« und »Ignoranten«

»Elektroantriebe ändern nicht nur ein paar Eigenschaften des Fahrrades zum Positiven. Sie greifen tief in die gesamte Struktur der Fahrradbranche und Nutzung, bestehend aus Entwicklung, Prüfwesen, Produktion, Montage, Wartung und Nutzung, ein«. So das Resümee des Vortrags »Praxisschäden und der CE-Kennzeichnung von E-Bikes« von Dirk Zedler.

Immer mehr große Firmen entdecken als Zulieferer diesen (noch) boomenden Markt. Viele von den Second-Movern machen einen sehr guten Job, ebenso wie viele (große) Fahrradhersteller. Denn, das E-Bike ernst zu nehmen und gut zu machen bedeutet, einen sehr großen Aufwand zu betreiben und auch größere Rückschläge verkraften zu müssen. Allein die vergleichsweise überschaubare CE-Kennzeichnung umzusetzen, ist alles andere als banal. Von den Problemen, wenn normale Fahrradkomponenten mit den vereinten Kräften von Elektro- und Menschen-Motor belastet werden, ganz zu schweigen. Ein unternehmerisches Gesamtpaket, das sich im Moment nur mit großen Stückzahlen (>10.000) bewältigen lässt. Dennoch versuchen noch viele E-Bike-Hersteller auf die »wo-kein-Kläger-da-kein-Richter-Methode« durch zu kommen. Eine »Methode«, die spätestens dann zum Problem für alle werden kann, wenn der Gesetzgeber um Missstände abzustellen (über)reagiert…, so ein weiteres Fazit des Sachverständigen-Urgesteins aus Ludwigsburg.

Tag der offenen Redaktion – Doppelte Horizonterweiterung mit Fahrrad

Auch am zweiten Tag in der bayerischen Metropole war erstmal Arbeit angesagt. Um zehn Uhr wartete schon Jörg Spaniol in der Redaktion zum Interview auf uns. Speziell dafür hatten wir auch noch zwei zum Thema passende Testräder mit dabei. Mehr verraten wir an dieser Stelle noch nicht, das Ergebnis wird sicherlich in einer der nächsten TREKKINGBIKE-Ausgaben zu lesen sein (und ehrlich gesagt wissen wir auch nicht im Geringsten, was die Redaktion aus dem Ganzen machen wird).

Inzwischen waren auch mehr und mehr Gäste zum »Tag der offenen Redaktion« eingetroffen und sammelten sich zu gemeinsamen Ausfahrten mit Rennrad, MTB und Trekking. Wir entschieden uns natürlich für die gemütliche und informative (Trekking)Tour mit Chefredakteur Tom Bierl und Technikredakteur Jochen Donner. Die führten uns durch ihr München und sparten nicht mit Hintergrundinformationen zur aktuellen Stadtentwicklung und dem Münchner-sein mit all seinen positiven wie negativen Aspekten (Stichwort Gentrifizierung von Wohnvierteln oder Eventisierung des öffentlichen Raums). Für uns – ein Fast-Architekt und eine Oberbaurätin – eine schöne und spannende Sache.

Besuch im »Hochsicherheitstrakt«

Bevor der ausschließlich kulinarische und gesellschaftliche Teil folgte, durften wir in kleinen Gruppen den »Hochsicherheitstrakt«, also die Werkstätten und Testlabore besichtigen. Tja, was man da zu sehen bekommt ist, gelinde gesagt, eindrucksvoll. Es wird sicherlich sehr wenige große Premium-Fahrradhersteller geben, die über einen ähnlichen Testparkur verfügen. TOUR und im Kielwasser der Straßenfraktion auch die BIKE haben mit ihren Mess- und Prüfmethoden Branchen- und Weltstandards gesetzt. Daher war natürlich Fotografieren streng verboten, schon beim Griff zur Kamera durchsiebten einen die Blicke der Testredakteure.

Allerdings werden Labortests sowie die obligatorische komplette Demontage eines Testrads nur von TOUR und BIKE praktiziert. Die TREKKINGBIKE hat da eine etwas andere Philosophie, bei der es mehr ums Erlebnis Fahrrad und weniger um den Stiffness-to-Weight-Faktor geht. Diese Ausrichtung hatten wir in der Vergangenheit etwas bedauert. Inzwischen empfinden wir es als passend, auch wenn wir selbst der Rahmensteifigkeit und Haltbarkeit allerhöchste Priorität einräumen. Letztendlich geht es um die Faszination Fahrrad-fahren in all seinen unterschiedlichsten Ausprägungen, die sich nur teilweise in Testkriterien fassen lässt. Da haben es die Spezialisten bei TOUR und BIKE etwas einfacher, die hatten aber nach ihrer Ausfahrt nur von Schnitt und Tempo zu berichten ;-)

  • Ganz schlecht scheine ich meine Sache nicht gemacht zu haben. Die Bewertung durch die Teilnehmer: 5 x ausgezeichnet, 11x sehr gut, 11x gut, 3x annehmbar, 0x schlecht