Älter
Neuer
News

Afghanistan – auf der Suche nach Ruhe

Einsam in der Wüste? Im Gegenteil. Velotraum-Markenbotschafter Jakob Tepler erregt die Aufmerksamkeit der einheimischen Bevölkerung und der Taliban, wo immer er sich aufhält.

Atemberaubend schöne Landschaften und freundliche, kommunikationsfreudige Menschen – diese Reizüberflutung kann auch das sonnigste Gemüt irgendwann überfordern.

Afghanistan

Von Jakob Tepler

Kaum ein anderes Land der Welt weckt so ein mulmiges Gefühl im Bauch. Über kaum ein anderes Land wird so einseitig berichtet, und man meint oft, vieles zu wissen, obwohl man selbst noch nie dort war. Wie ist es wirklich in Afghanistan? Wie begegnen mir die Menschen? Was denken sie und wie leben sie? Das wollte ich herausfinden. Deshalb bin ich vier Wochen lang mit meinem treuen Begleiter, meinem Velotraum Speedster S4, durch das Land geradelt.
Afghanistan – denkt man – ist Wüste oder Halbwüste. Das stimmt allerdings nur zur Hälfte, und für mich gilt das nur in der ersten Woche. Danach führt die Route ins Hindukusch-Gebirge, und nach und nach fahre ich auf über 3000 Meter über Null. Die Infrastruktur ist gefühlt noch schlechter im Vergleich zu Zentralasien. Geteerte Straßen verwandeln sich schnell in Schotterpisten, die wiederum rasch zu Matsch-, Staub- oder Felsbrockenansammlungen werden. Internet? Ja, manchmal, aber meistens nicht.

Das klingt nach Abenteuer – und genau das war es auch. Meine erste Tour führt mich von Masar-e Scharif im Norden des Landes entlang einer der Hauptverbindungsstraßen in Richtung Kabul. Da ich nach Ende des Ramadan immer mehr Aufmerksamkeit der Locals erhalte und vor dieser flüchten möchte, ändere ich kurzfristig meine Route und nehme eine kleine Abzweigung in Richtung Bamiyan, in der Hoffnung auf ruhigere Zeiten.
Das Interesse der Menschen an mir ist wohl darauf zurückzuführen, dass kaum Touristen nach Afghanistan reisen, geschweige denn in die abgelegenen Orte, die ich mit dem Fahrrad erreiche. Einerseits ist das ein riesiges Privileg, hier unterwegs sein zu dürfen – vor allem mit dem Fahrrad in jede Ecke des Landes zu kommen, um die Kultur hautnah zu erleben. Andererseits ist es auch sehr anstrengend und, um ehrlich zu sein, meistens enorm überwältigend, täglich mit so vielen Menschen in Kontakt zu treten, ihre Fragen zu beantworten und ihre Geschichten zu hören. Ich fühle mich manchmal wie ein volles Glas, in das immer weiter Wasser gegossen wird. Keine Zeit zum Nachdenken, keine Zeit, Dinge zu verarbeiten. Mehr Informationen, mehr Geschichten, mehr Begegnungen – mehr Wasser ins Glas.
Auf der vermeintlich einsamen Gebirgsstraße entdecke ich vieles: atemberaubend schöne Landschaften, freundliche Menschen, kleine Dörfer und vieles mehr – nur eine Sache fehlt: Ruhe.

Zu den Begegnungen mit der Bevölkerung kommen täglich mehrere Taliban-Checkpoints dazu. Die Fragen ähneln sich. Ein wesentlicher Unterschied: Die Taliban haben meist ein Maschinengewehr über der Schulter hängen und sind weniger gebildet. Probleme bekomme ich an diesen Checkpoints nicht. Die Taliban-Regierung möchte international anerkannt werden, freut sich über Touristen und behandelt diese entsprechend gut. Sind die Taliban deshalb meine Freunde? Nein.
Nach vier Tagen auf einem Schotterpass, auf dem ich mir ehrlich gesagt gewünscht hätte, dass mein Fahrrad kaputt geht, damit ich ruhigen Gewissens trampen kann (was nicht passiert ist), erreiche ich Bamiyan. Eine mittelgroße Stadt, in der ich ein Privatzimmer finde und Zeit habe, das Gesehene zu verarbeiten.

Von hier aus nehme ich ein Taxi zu den Band-e Amir-Seen, die wohl das landschaftliche Highlight Afghanistans darstellen. Es sind natürlich entstandene Seen auf etwa 3000 Metern über dem Meeresspiegel, umgeben von einer beeindruckenden Bergkulisse. Davon hatte ich noch nie zuvor gehört oder Bilder gesehen. Es passt eben nicht zum stereotypischen Bild von Afghanistan – von dem ich übrigens auch einiges zu sehen bekomme.

Zerschossene Militärfahrzeuge am Straßenrand, unfassbar viele Waffen und ein riesiger Panzerfriedhof. Es fährt mir ordentlich in die Knochen, so etwas zu sehen. Nachrichten über Krieg zu sehen ist ergreifend. Einen Panzer oder eine zerschossene Windschutzscheibe vor sich in der echten Welt zu finden und zu erahnen, welche Schicksale sich dahinter verbergen, ist brutal. Vielleicht hilft mir die ständige Überforderung mit den Menschen und dient als Ablenkung, um nicht allzu lange solchen Gedanken nachzuhängen.

Von Bamiyan fahre ich nun tatsächlich nach Kabul. Afghanistan, wissen wir ja, ein flacher Wüstenstaat – also geht es wieder auf über 3400 Meter über Null hinauf. Genau auf der Passhöhe, im Mondschein, glaube ich, eine sehr große graue Katze zu sehen, die durch den Schnee schleicht. Hier leben Schneeleoparden. Ich kann mir nicht zu 100 % sicher sein, was es genau war, aber nach ausführlicher Recherche weiß ich auch nicht, was es sonst hätte sein können. Ein einmaliges Erlebnis – eine echter „Once-in-a-Lifetime“-Moment.
In Kabul angekommen, treffe ich zum ersten Mal andere Touristen hier, und wir erkunden gemeinsam die Stadt. Von dort aus geht es über einen weiteren Pass wieder zurück in den Norden und dann über Kundus in Richtung Land Nummer 25 – Tadschikistan!

Der Pass hält mit Hagel, Schneesturm, Tunneln und fragwürdigen Straßenbedingungen noch einmal ordentlich Überraschungen bereit. Nichts, was man nicht bewältigen könnte. Mein Velotraum hält durch, ich halte meistens auch durch, und so verlassen wir Afghanistan nach 28 Tagen mit einer Menge Fragen im Kopf – mehr als bei der Einreise. Mentale Erschöpfung ist groß, aber ich bin um einige Erfahrungen reicher geworden.

Liebe Grüße und bis bald
Jakob

Kommentare

Kommentar verfassen

Mit dem Absenden dieses Formulars erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir die von Ihnen eingegeben Daten auf unserem Webserver speichern. Ihr Name und der Kommentartext werden für die anderen Besucher der Website angezeigt. Wir geben jedoch insbesondere Ihre E-Mail-Adresse nicht an Dritte weiter und nutzen diese auch nicht zu Marketing- oder Statistik-Zwecken. Sie können alle Daten zu einem späteren Zeitpunkt wieder entfernen lassen.