Als kleinen Vorgeschmack auf die Life-Reportage am 7. Dezember 2024 hier bei Velotraum haben uns Anita und Andreas diesen spannenden Reisebericht zur Verfügung gestellt.
Also, macht es euch vor einem nicht zu kleinen Bildschirm gemütlich und taucht ein in eine abenteuerliche und großartige Radreise. PS: Wer das ganz große Kino möchte, sollte sich beeilen und noch für den 7. Dezember reservieren.
Zurück in den Anden
Text und Fotos NANDITA
„Kennst du den Film Avatar?“, meint Anita mit einem strahlenden Blick zu mir, als wir uns auf unsere bepackten “Veloträumer” schwingen und unsere Hände den Lenker berühren. Tief blicke ich ihr in die Augen. Worte sind überflüssig, ich weiß ganz genau was sie meint. Es ist immer eine spezielle Magie am Beginn eines neuen Abenteuers.
Denn sobald es losgeht, entsteht unmittelbar eine vertraute und innige Verbindung mit unseren treuen Wegbegleitern aus Weil der Stadt. All die Erinnerungen an das gemeinsam Erlebte erwachen in uns: Die Höhen die wir erklommen haben, aber auch all die Tiefpunkte und Anstrengungen … Und genau dieses unbeschreibliche Gefühl erfüllt uns gerade. Drei Jahre hat es gedauert, endlich ist es wieder so weit: Wir sind zurück. Zurück in unseren geliebten Anden. Viereinhalb Monate nehmen wir uns diesmal Zeit, um einige der einsamsten Regionen dieses faszinierenden Kontinents zu erkunden. Dass diese Reise zu unserem bisher größten Abenteuer werden wird, wissen wir zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht …
Warm-Up in der Cordillera Blanca
Im Gegensatz zu unseren vergangenen Reisen wollen wir uns diesmal ein paar Highlights herauspicken und dazwischen den einen oder anderen Bus nehmen. Zum „Aufwärmen“ wollen wir die legendäre Cordillera Blanca im Norden Perus umrunden, die wir zwar bereits auf unserer Radweltreise besucht, aber damals viel zu wenig erforscht haben. Als Startpunkt wählen wir die Stadt Huaraz. Obwohl wir uns hier bereits auf über 3.000 Meter Seehöhe befinden starren wir mit offenen Mündern hoch auf die umliegenden, schneebedeckten Bergriesen, die uns in einem weiten Bogen einschließen.
Endlich geht es los, ein neues Abenteuer beginnt. Bereits nach einer guten Woche „Einradeln“ auf Asphalt wollen wir mehr: Wir entschließen spontan, von unserem ursprünglichen Umrundungs-Plan abzuweichen. Anstatt die Reise entlang der majestätischen Berge fortzusetzen, wollen wir lieber mittendurch. So drehen wir unsere Lenker nach links und steuern die 4.700 Meter hohe „Portachuelo de Llanganuco“ an, einer Passhöhe die uns tief in den atemberaubenden Nationalpark Huascaran bringt. Eine immer schlechter werdende Schotterpiste führt uns stetig steigend hinein in ein grünes Tal. Unsere Freude über die sagenhaft schöne Bergkulisse währt leider nur kurz. Mitten in einer fiesen, grobsteinigen „Rampe“ verliert Anita die Kontrolle über ihr Vorderrad und stürzt unglücklich auf ihr rechtes Handgelenk. Fazit: Zwei mühsame Rückzugstage in die Zivilisation, die Hilfe einer Unfallchirurgin aus Innsbruck, die wir zufällig im Nirgendwo treffen – und ein angeknackster Knochen im Handgelenk. Unsere anfängliche Abenteuerlust erleidet einen abrupten Dämpfer.
Pläne ändern sich …
Eine gute Woche nach Anitas Sturz ist die Schwellung schon etwas abgeklungen, die Schmerzen halten sich in Grenzen – alles in allem fühlt sich ihre Hand recht gut an. Ausgerüstet mit einer eisenverstärkten Neopren-Schiene möchte meine tapfere Pedalritterin so schnell als möglich wieder aufs Rad, denn als nächstes steht der nördliche Teil der “Peru Divide” am Programm. 2019 sind wir den südlichen Abschnitt dieser unter abenteuerlustigen Tourenradlern wohlbekannten Route gefahren, diesmal möchten wir sie komplettieren. Doch leider läuft es nicht so wie geplant. Nach zwei harten “Probetagen” müssen wir einsehen dass Anitas Hand solche Strapazen noch nicht aushält, die Schwellung ist zurück. Um weitere Verzögerungen in der Heilung zu vermeiden, brechen wir unser Experiment “Peru Divide Nord” spontan ab. Die Moral von der Geschichte: Halbgas-Biken in Peru ist so gut wie unmöglich!
Am nächsten Morgen sitzen wir in einem schäbigen Bus, der uns in einer achtstündigen Fahrt zurück nach Lima bringt. Von dort aus nehmen wir den nächsten Bus nach Cusco im Südosten Perus, was weitere 24 Stunden an Bord eines zwar etwas besseren Busses bedeutet, aber immer noch gefühlt zehnmal mühsamer ist als ein harter Tag auf dem Bike.
Die einstige Inka-Hauptstadt Cusco ist nicht zu Unrecht eine der meistbesuchten Touristenattraktionen Perus. Hier treffen archäologische Stätten auf spanische Kolonialarchitektur, viele der alten Häuser und Kirchen wurden auf den Mauerresten einstiger Inka-Tempel und -Bauwerke errichtet. Für uns ist Cusco ein idealer Ort zum Rasten. Wir schlendern durch die steilen Gassen von San Blas und beobachten das Treiben am Hauptplatz. Wir nutzen die Zwangspause aber auch, um eine Region zu erkunden, die mit dem Fahrrad ohnehin nur schwer erreichbar ist. Für eine Woche tauchen wir ein in den Amazonas-Regenwald, dem grünen Herz Südamerikas. Ein starker Kontrast zu dem, was wir bisher von Peru gesehen haben.
Zwischen den Cordilleren
Drei Wochen später sind wir wieder bereit, auf die Räder zu steigen. Anitas Handgelenk sollte soweit wieder gut geheilt sein, uns hält es kaum noch in unserem einfachen Hostal. Etwas südlich von Cusco wollen wir eine Route unter unsere Stollenreifen nehmen, die sich unter Bikepackern einen legendären Ruf erarbeitet hat: Die “Ruta de las Tres Cordilleras“. Die beiden Bikepacking-Pioniere Michael Dammer und Cass Gilbert haben diese hochandine, sehr einsame und fordernde, etwa 700 Kilometer lange Strecke 2016 ausgearbeitet. Die fast vorwiegend abseits von Asphaltstraßen verlaufende Route verspricht ein wunderschönes und abgelegenes Bikepacking-Abenteuer zwischen Peru und Bolivien, immer entlang der drei Gebirgszüge Cordillera Real, Cordillera Apoloba und der Cordillera Vilcanota.
Viel Zeit zum Einradeln bleibt uns nicht, denn schon am Beginn der „Tres Cordilleras“ erwartet uns mit der Umrundung des 6.384 Meter hohen Ausangate der wohl schwierigste Teil der Route. Für die Inka war dieser majestätische Berg eine der Hauptgottheiten des Andenkults, für uns bedeutet er drei beinharte Tage mit viel Schieberei, Pässe von über 5.000 Meter, traumhafte Trails und einzigartige Eindrücke in einer traumhaften Landschaft, die dominiert wird von mächtigen Gletschern und türkisfarbenen Lagunen. Auch wenn es teilweise wirklich grenzwertig war für uns, möchten wir dieses Erlebnis nicht mehr missen. Und Anitas Hand? Ja, die hat die Tortur gut überstanden. Weiter geht es auf der “Tes Cordilleras”!
Die nächsten Wochen sind geprägt von bis zu 5.100m hohen Pässen, einsamen Bergdörfern und einer spektakulären Landschaft, die schwer zu beschreiben ist. Das golden erscheinende Punagras kontrastiert eindrucksvoll mit rötlich-braunen bis beigen Erd- und Gesteinsschichten, riesige Alpaka-Herden lockern das Landschaftsbild auf. Immer im Blickfeld die hohen “Nevados” (Schneeberge) der umliegenden Kordilleren. Eine der Haupt-Schwierigkeiten wird für uns das wechselhafte Wetter, die Regenzeit kündigt sich langsam aber sicher in Form mächtiger Nachmittags-Gewitter an.
Ein altes Sprichwort sagt: “Dort wo Fremde selten sind, sind sie willkommen”. Hier im wilden Südosten Perus erleben wir genau dieses Phänomen auf eigenem Leibe. Fast jede Begegnung ist von sympathischer Neugier geprägt, die Menschen gehen auf uns zu und fragen uns Löcher in den Bauch. Nicht nur einmal lehnen wir das Angebot einer Mitfahrgelegenheit ab. Für die Leute ist es dann meist unverständlich, warum man sich freiwillig auf einem Fahrrad mieseste Pisten auf über 4.500 Meter hochquält. Tja, und ehrlich gesagt ist es das für uns auch manchmal. Aber es sind genau diese Erlebnisse: Intensive Tage draußen in der Natur, ebenso intensive Begegnungen mit Menschen in einer Region, die nur selten fremde Besucher sieht und ein wenig Stolz, solch schwierige Routen mit eigener Muskelkraft bewältigt zu haben.
Der letzte Teil der „Tres Cordilleras“ bringt uns in eine Region, die ein leider nicht so schönes Gesicht Perus zeigt. In der Gegend rund um Ananea wird in großem Stil Gold abgebaut, das nahe La Rinconada hat sich als höchstgelegene Stadt der Welt einen zweifelhaften Ruf erarbeitet. Teils unter prekären Bedingungen arbeiten die “Mineros” in oft illegalen Minen, die Lebenserwartung ist ungewöhnlich niedrig und die Gewaltschwelle hoch. Wir navigieren zwischen mächtigen Schuttkegeln, verschmutzten Abwasserteichen und trostlos wirkenden Verarbeitungs-Anlagen hindurch. Schlussendlich finden wir uns aber rasch wieder in einer unberührten Landschaft. Nach viel auf und ab erreichen wir nach rund drei Wochen den Titicacasee, wo wir von Peru nach Bolivien einreisen. Das letzte Stück fahren wir auf einer Alternativ-Route am Ostufer des 8.300 Quadratkilometer großen Gewässers bis nach Copacabana, wo wir uns ein paar wohlverdiente Ruhetage gönnen. Doch lange hält es uns nicht in unserer bequemen Unterkunft mit herrlichem Ausblick auf den tiefblau schimmernden See, denn für uns Reiseradler gibt es eigentlich nur zwei Freizeitbeschäftigungen an Ruhetagen: Essen was das Zeug hält – und neue Pläne schmieden. Und so geschieht es, dass wir schon bald wieder in einem Bus sitzen, der uns in die Stadt La Paz bringt.
Ruta de los Seis Miles Norte
Obwohl La Paz aus touristischer Sicht so einiges zu bieten hat, zum Beispiel das längste urbane Seilbahn-Netz der Welt (übrigens gebaut von einem österreichisch-schweizerischen Joint Venture), haben wir diesmal keine Muße zum Sightseeing. Wir wollen in den nächsten Wochen das Abenteuer „Ruta de las Seis Miles Norte“ angehen, eine Nord-Süd-Traverse der Chilenisch-Argentinischen Hoch-Puna. Dieses ambitionierte Projekt steht seit einigen Jahren auf unserer Löffel-Liste, jetzt ist es endlich so weit. Auf bikepacking.com wird diese Route mit dem Schwierigkeitsgrad 10 von 10 bewertet, und das hat durchaus seine Berechtigung: Knapp 800 Kilometer Einsamkeit, faszinierende Mondlandschaften, verlassene Minen, eingestellte Bahnlinien, schwere Pässe bis 5.000 Meter, orkanartige Winde und schlechte bis kaum fahrbare Sand- und Rüttelpassagen warten auf uns. Erschwerend kommt dazu, dass wir aufgrund der Abgelegenheit Vorräte für rund drei Wochen und oft Wasser für drei Tage schleppen müssen. Zugegeben, ein wenig Bammel haben wir schon. Aber es erwartet uns das ultimative Abenteuer in einer der entlegensten Regionen Südamerikas! Und wenn wir jetzt nicht die Gelegenheit beim Schopf packen, wird es so schnell wohl nichts mehr damit …
Deshalb verbringen wir die Zeit in La Paz mit dem Studieren von Landkarten und GPS-Tracks, wir erstellen eine EXCEL-Liste für die Essensplanung, lesen Berichte von anderen Seismiles-Radlern und kaufen erste Vorräte ein. Ein weiterer Bus bringt uns nach ein paar Tagen über Uyuni an die bolivianisch-chilenische Grenze und schließlich in das Städtchen Calama in Nord-Chile. Nachdem wir dort erneut die Supermärkte geplündert und unsere Räder gepackt haben, machen wir uns auf eine zweitägige, gut 100 Kilometer lange „Probetour“ nach San Pedro de Atacama, dem offiziellen Startpunkt der „Seis Miles Norte“. Trotz des Zusatzgewichtes von etwa 12 Kilo Essen und 11 Liter Wasser pro Person lassen sich unsere Räder überraschend gut fahren. OK, vielleicht liegt es einfach daran, dass die Strecke Calama-San Pedro fast ausschließlich auf Asphalt verläuft und die Steigungen recht sanft ausfallen? Egal, dem Selbstvertrauen tut es gut und in den kommenden Tagen werden wir genügend Gelegenheit haben, unser Setup auf Herz und Nieren zu testen.
Etappe 1, San Pedro de Atacama – Paso Socompa und wieder zurück
Die erste Etappe der „Seis Miles Norte“ führt uns von der trockenen, brütend heißen Atacama-Wüste langsam hinauf in die chilenische Puna. Die ersten Tagesetappen gestalten wir bewusst kurz, wir wollen es gemütlich angehen und uns unsere Kräfte für die härteren Abschnitte aufheben. Nach und nach klettern wir hoch in eine kaum besuchte, immer rauer werdende Region. Für etwa 20 Kilometer radeln wir auf einer Eisenbahn-Trasse und campen in einem verlassenen Wagon, bevor wir nach fünf Fahrtagen den knapp 3.900m hohen Socompa-Pass erklimmen, der die Grenze zu Argentinien bildet. Dort findet unser Vorankommen ein abruptes Ende: „Ihr könnt schon weiterfahren, aber dann nähen wir euch ein“, meint der mies gelaunte chilenische Grenzpolizist mit eiserner Mine. „Seit Beginn der Pandemie im März 2019 ist der Grenzübergang für Touristen geschlossen, er wird so schnell nicht mehr geöffnet werden. Pech gehabt!“, erklärt er uns gleichmütig. Na toll! Wir haben uns extra vorab bei unterschiedlichen Stellen nach dem Status des Grenzüberganges erkundigt und bekamen grünes Licht! Unsere Erklärungsversuche beeindrucken die Herrschaften wenig, wir werden eiskalt abgewiesen und zurückgeschickt. Im Endeffekt kostet uns diese Aktion zusätzliche sieben Tage, bis wir uns schließlich wieder in den argentinischen Teil der Route einfädeln können.
Etappe 2, Tolar Grande – Vega Socompa
Eine Woche nach unserem „netten“ Grenzerlebnis am Paso Socompa erreichen wir das staubige Dörfchen Tolar Grande. Nach einem Ruhetag queren wir mit neuer Energie den Salar de Arizaro, den größten Salzsee Argentiniens. Der darauffolgende Tag wird anstrengend und lange, ab dem frühen Nachmittag haben wir mit einem für die „Seis Miles“ typisch heftigen Südwestwind zu kämpfen.
Da weit und breit kein Windgeschützter Lagerplatz zu finden ist, pushen wir weiter. Im letzten Tageslicht erreichen wir erschöpft die verlassene Estancia „Vega Socompa“, in dessen Kirche wir unser Zelt aufbauen. Von hier aus können wir die 13 Kilometer rauf zum Paso Socompa blicken, wo wir vor einer Woche zurückgewiesen wurden. Wir sind zwar ziemlich kaputt, aber irgendwie glücklich. Denn wir haben es geschafft, uns wieder in die Original-Route einzufädeln.
Etappe 3, Vega Socompa – Brea Farm
Noch etwas müde vom letzten Fahrtag starten wir mit jeweils 11 Liter Wasser im Gepäck zeitig zu unserer nächsten Pass-Etappe. Es wird eine mühsame Kletterei, ab dem späten Vormittag wird unser Fortschritt wieder von starken Winden eingebremst. Die rot-braunen Vulkane und das golden leuchtende Puna-Gras entschädigen für die Strapazen. Tags darauf nehmen wir eine weglose Route hinunter zum Salar de Llulaillaco, an dessen Ende bereits die nächste Bergwertung auf uns wartet. Am späten Nachmittag wollen wir auf 4.200m unser Lager aufschlagen, was aufgrund des extremen Sturmes zu riskant ist. Wir haben Angst, dass unser Zelt den heftigen Böen nicht standhält. In unsere Schlafsäcke eingehüllt müssen wir stundenlang ausharren, bis wir im nachlassenden Sturm dann endlich das Zelt aufstellen können. Wie gut, dass der nächste Tag bereits um die Mittagszeit bei der Mina La Casualidad endet. In der ehemaligen Kirche der 1979 aufgelassenen Schwefel-Mine schlagen wir unser Lager auf. Wir spazieren durch die bröckelnden Gebäude der Geisterstadt und bestaunen die alten, vor sich hin rostenden Anlagen.
Tags darauf queren wir gut ausgerastet den Salar de Rio Grande. Weiter geht es in ein weites sandiges Tal, wo ein grandioser, windgeschützter Lagerplatz unterhalb einer mächtigen Felskante auf uns wartet. Ab hier beginnt die Route härter zu werden. Anstrengende, tiefsandige und steile Schiebepassagen wechseln sich mit den üblichen starken Winden und dem ersten 5.000m-Pass ab, die Etappen sind lange und zehren an unseren Kräften. Nach einem sagenhaften Downhill durch eine an den Südwesten der USA erinnernde Gegend erreichen wir schließlich die wunderschön gelegene Winter-Farm der Familie Brea, der einzigen Ansiedelung auf unserer Route. Dona Inez ist überrascht, als sie uns erblickt. Seit der Pandemie hat sie hier keinen einzigen Radfahrer mehr gesehen. Ihr Mann ist vor sieben Jahren verstorben, seither kümmert sie sich meist alleine um die entlegene kleine Landwirtschaft. Wir verbringen einen lustigen Nachmittag mit der 72-jährigen rüstigen Dame, teilen unsere spärlichen Vorräte mit ihr und erfahren viel über ihr entbehrungsreiches und einfaches Leben hier draußen in der Einsamkeit.
Etappe 4, Brea Farm – Termas los Banos
Als wir am nächsten Vormittag von der Brea Farm aufbrechen, bläst uns ein eisig kalter Wind entgegen. Vor uns liegen 33 Kilometer übelster Rüttelpiste, wir queren den Salar de Antofalla. Grobe Salzschollen und tiefe Löcher bilden eine nahezu unfahrbare Oberfläche, über die wir uns viele lange und schmerzhafte Stunden quälen. Wäre die Landschaft nicht so schön, würde man wohl verzweifeln. Am Ende des Salars tanken wir je 11 Liter Wasser und beginnen den letzten langen Anstieg der „Seis Miles Norte“, ein knapp 5.000 Meter hoher sandiger Pass steht am Programm. Mittlerweile machen sich die 21 Fahrtage körperlich bemerkbar, wir sind ausgezehrt und schon etwas müde. Nach einer Zeltnacht auf knapp 4.000 Meter starten wir früh zur letzten Königsetappe, es ist eisig kalt und windig.
Glücklicherweise schiebt uns der Wind ausnahmsweise von hinten an, die Sandpassagen sind meist fahrbar. Schon zu Mittag haben wir die 1.000 Höhenmeter überwunden und „gleiten“ 16 sagenhafte Kilometer mit einer gigantischen Aussicht hinunter zur Laguna Purolla, wo wir im Schutz einer Steinmauer campen. Der heftige Wind schläft diesmal nicht ein und rüttelt die ganze Nacht an unserem Zelt. Am nächsten Tag radeln wir über mächtige Lavafelder und durch einen Vulkankrater an den Rand der Puna, die Landschaft beginnt sich schlagartig zu ändern. Plötzlich säumen grüne Büsche den Wegesrand, wir passieren kleine Bächlein und eine heiße Quelle lädt zum Waschen und Lagern ein. Vom nahen „Puesto“ werden wir mit frischem Brot versorgt. Juhu, der schwierigste Teil der Route ist geschafft!
Etappe 5, Termas los Banos – Fiambala
Verglichen mit den vergangenen Etappen sind die letzten zwei Tage der „Seis Miles Norte“ ein Kinderspiel. Ein 15 Kilometer langer, ruppiger Downhill bringt uns hinunter in ein tief eingeschnittenes Flusstal, welchem wir für weitere 30 Kilometer folgen. Wir futtern die letzten Vorräte, schälen uns aus unseren warmen Klamotten und erreichen schließlich die Asphaltstraße. Nach einer letzten Zeltnacht düsen wir die letzten 60 Kilometer auf perfektem Untergrund runter nach Fiambala, dem Ziel unseres bisher größten Bikepacking-Abenteuers.
Wir nehmen uns eine kleine Cabana (Hütte) am Campingplatz, plündern in einem wahren Kaufrausch die hiesigen Lebensmittelläden und heizen müde aber glücklich den Grill an. Wir blicken zurück auf rund 1.200 harte, aber grandiose Kilometer durch eine der wohl außergewöhnlichsten Landschaften Südamerikas. Jeder einzelne der gut 12.700 Gesamt-Höhenmeter war schwer verdient, aber nicht einen davon möchten wir missen. Wir haben unsere physischen und mentalen Grenzen ausgetestet und perfekt als Team funktioniert. Und nun? Jetzt ist es eindeutig an der Zeit unsere ausgezehrten Körper mit vieeeel Essen, Eiscreme und gutem Wein wieder aufzupäppeln – und alle Annehmlichkeiten der Zivilisation zu genießen :-)
Sommer, Sonne, Urlaub
Die letzten Wochen gehen wir entspannt an, wollen die argentinische Lebensweise genießen und näher bei den Menschen sein. Bis spät in die Nacht begleiten uns hochsommerliche Temperaturen, da kommen uns die Eisläden in den kleinen Ortschaften sehr gelegen! Unseren Essens-Rhythmus passen wir recht schnell den lokalen Gepflogenheiten an und belohnen uns abends mit der einen oder anderen Flasche Rotwein. Es kommt fast ein wenig Urlaubs-Feeling in uns auf.
Mit Mendoza erreichen wir den vorletzten Meilenstein unserer Reise. Die Stadt ist vor allem für ihren hervorragenden Wein berühmt, doch auch darüber hinaus hat Mendoza einiges zu bieten. Die “Mendozinos” verstehen es, das Leben zu genießen. In den zahlreichen Parks wird fröhlich flaniert, Mate getrunken und Sport getrieben. Die Restaurant-Straßen sind belebt und erwarten uns mit einer abwechslungsreichen Kulinarik auf Welt-Niveau. Als Krönung erleben wir die Live-Übertragung des Fußball WM-Achtelfinales gegen Australien, welches die Argentinier für sich entscheiden. Die Stimmung ist einfach grandios! Obwohl wir eigentlich keine Fußballfans sind, werden wir von der Leidenschaft der ausgelassenen Fans angesteckt.
Über den Paso los Libertadores gelangen wir schließlich nach Santiago de Chile. Wir verbringen drei angenehme Tage in der Hauptstadt Chiles, schlendern durch trendige Viertel und verpacken unsere Fahrräder für den Rückflug. Nach einem letzten Besuch bei Freunden heißt es für uns Abschied nehmen von 4 1/2 Monaten Südamerika. Es waren intensive Monate mit vielen Auf und Abs, und das nicht nur im topografischen Sinn. Wir haben einige der härtesten Routen auf diesem Kontinent unter unsere Stollenreifen genommen, gelitten, geschwitzt, gestaunt, gelacht, geweint. Wir freuen uns nun auf geruhsame Tage mit unseren Familien, auf Glühwein und Kekse und tief verschneite Winterlandschaften.
Doch als das Flugzeug vom Boden abhebt und wir hoch über den Wolken fliegen, träumen wir insgeheim schon wieder von holprigen Pisten, hohen Pässen und einsamen Zeltnächten unter dem unendlichen, südamerikanischen Himmel …
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Spitzentour!