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Elektro-Velotraum

Seien Sie gewarnt, liebe Leser – es kann durchaus sein, dass Sie nach dem Lesen dieses Artikels weniger schlau sind als zuvor ;-)

Zumindest wir haben das Vorhaben, für das E-Rad eine eindeutige Position und klare Produktentscheidung zu finden, grandios unterschätzt. Ein Grund, warum auch dieser Artikel mit Verspätung erscheint und mit ziemlicher Sicherheit genauso viele Fragen aufwirft wie beantwortet.

Annäherung und Aneignung durch (Er)fahren

Auch die Idee (oder Hybris?!) etwas Allgemeingültiges über die neue Fahrzeuggattung herausfinden zu wollen, haben wir schnell ad acta gelegt. Wir hatten schon genug damit zu tun, für uns und unsere in der Tendenz ähnlich gestrickten Kunden zu einer Art von Resümee zu kommen. Zumindest sind wir im Moment sicher, dass die simple und umfassende Genialität des klassischen Drahtesels einzigartig bleibt. Allerdings verhilft der Rückenwind aus der Steckdose dem guten alten Fahrrad zu faszinierenden Erweiterungen, die aber auch völlig neue Fragen aufwerfen. Die Kunst wird es dabei sein, die Vor- und Nachteile der neuen Technik für die persönlichen Bedürfnisse richtig einzuschätzen, nur so werden die Vorteile schlussendlich überwiegen können.

Wir haben eine Art Selbstversuch durchgeführt, denn in einer Beziehung sind wir ein wenig stur: Technik, die grundlegend Neues vorführen will, wollen wir selbst erfahren haben. Insbesondere dann, wenn die Versprechen und Erwartungen an eine neue Technik so ins Kraut schießen wie beim E-Rad. Einfach nachmachen oder auf gut geschmierte Trends aufspringen ist nicht unser Ding. Dass wir, nach einem halben Jahr Erfahrungen sammeln, schließlich bei einer Lösung landen, die Andere schon seit langem als Standard anbieten, gehört zum »Risiko« dieser Velotraum-Schrulle. Zeigt aber immerhin, dass wir die Welt nicht partout neu erfinden müssen, also quasi lernfähig sind ;-)

Das e-Velotraum

Die Schreibweise gibt einen ersten und für unser Selbstverständnis entscheidenden Hinweis: Ein kleines »e« steht für den unterstützenden Elektromotor, der Schwerpunkt bleibt jedoch auf Velotraum und Fahrrad. Schließlich soll auch ein Velotraum mit Motorunterstützung hinsichtlich Anpassung, Wahlmöglichkeiten, Fahreigenschaften und Vielseitigkeit keine oder nur wenig Wünsche offen lassen. Hier gibt es ein zweiseitiges zusammenfassendes Info mit Ausstattung und Preis zum e-Velotraum (Pdf 300 KB).

Das Motorenkonzept

Vergleichsweise einfach war die grundlegende Entscheidung für das Motorenkonzept. Denn nur mit einem Motor, der in der Nabe steckt, können bestehende Velotraum-Rahmen verwendet werden, deren hohe Rahmensteifigkeit und Belastbarkeit gute Voraussetzungen für ein Rad mit Motorunterstützung bieten. Ebenfalls eindeutig war, dass der Motor in der Hinterradnabe stecken musste, denn nur so ist genügend Traktion auf rutschigen Wegen gewährleistet und die Lenkung frei von Antriebseinflüssen. Auch wenn damit der Verzicht auf die Nabenschaltung einhergeht.

Über Markus Storck sind wir im Sommer mit einem Alternativ-Antrieb in Kontakt gekommen, der uns als hochwertige und viel versprechende Alternative zum Bionx-System erschien. Ein Testmuster des Velomoto gab es dann leider erst Ende November – rechtzeitig zum Wintereinbruch – doch gerade elektronische Bauteile kann man schließlich nicht hart und praxisnah genug testen. Parallel dazu hatten wir das stärkste Bionx-Modell, den HP250-HT, im Einsatz. Beide Motoren regeln bei 25 Km/h ab, gelten also als so genannte Pedelecs.

Bionx schlägt Velomoto (noch)

Nach über dreimonatigem Wintereinsatz, mit Fahrern zwischen 70 und 100-plus-X Kilogramm Körpergewicht, Tagesstrecken zwischen 15 und 50 Kilometern und 100 bis 800 Höhenmetern am Tag, können wir ein eindeutiges Fazit fällen. Der von uns zunächst präferierte Velomoto hat sicherlich gute Anlagen und ein großes Potential für die Zukunft, braucht aber noch ein wenig Reifezeit.

Das Bionx-System ist zwar nicht perfekt, hat aber im Moment eindeutig die Nase vorn und zwar in allen Belangen. Egal ob Steuerung, Bedienung, Zuverlässigkeit, Display, Akku und gefühlte Unterstützung. Einziger Schwachpunkt im direkten Vergleich, die 9-fach Schraubkassette, die auch für den nur durchschnittlichen Schaltkomfort verantwortlich zeichnet.

Kritikwürdig am Bionx-Antrieb als »Ausstattungsoption« ist sicherlich die mangelnde Systemintegration. Akku und Verkabelungen sind nicht ins Fahrrad integriert, sondern sichtbar angebracht. Wir nehmen dieses leicht provisorische Erscheinungsbild aber doch in Kauf, die Flexibilität scheint uns im Moment wichtiger. Ein e-Velotraum ist einfach auf andere Systeme und Akkus umrüstbar, ein wichtiger Aspekt bei den kurzen Innovationszyklen von Elektro-Komponenten.

Auch der Rückbau auf reine Muskelkraft ist schwuppdiwupp erledigt. Eine prima Sache, wenn man das e-Velotraum zum Beispiel im Alltag mit Motor benutzt, bei einer Radreise aber lieber auf den Antrieb verzichten möchte. Und natürlich geht es auch darum, den Preis nicht noch höher zu treiben. Denn allein kosmetische Aspekte rechtfertigen – zumindest im Moment – noch keinen speziellen und kostentreibenden E-Bike-Rahmen.

Hoher Preis

Je nach Betrachtungsweise sind die 3.990 Euro angemessen oder hoch. Angemessen ist der Preis sicherlich dann, wenn man das e-Velotraum sowohl mit, als auch ohne Motor benutzt. Zwei qualitativ vergleichbare Räder würden über 5.000 Euro kosten.

Hoch ist der Preis als reine E-Lösung. Wobei der hohe Preis in erster Linie der üblichen Geschäftspolitik geschuldet ist, dass kleine Abnehmer wie wir die Rabatte der Großen bezahlen. – Unsere Einkaufskonditionen sind einfach miserabel, und gleichzeitig wollen wir das e-Velotraum nicht über die normalen Fahrräder quer subventionieren…

Eigentlich sind wir ungeeignete e-Testfahrer

Für Leute wie uns, die das Fahrrad wegen seiner Einfachheit, Unabhängigkeit, Leichtigkeit, Eleganz und Effizienz seit Jahrzehnten lieben, für die Anstrengung und Schwitzen eher positiv besetzt sind, ist das E-Fahrrad erst mal eine Zumutung. Schließlich stellt es eine ganze Lebensphilosophie in Frage. Jetzt, nach zirka 1.000 Kilometern e-Velotraum, sehen wir die neue Fahrradgattung viel entspannter und positiver und auch ein Stück klarer.

Ach ja, andere, weniger fahrradaffine Testfahrer haben wir in unserem Umfeld leider nicht aktivieren können, denen war es einfach zu kalt, zu glatt, zu dunkel… zum Radfahren im Winter ;-)

Unsere Erfahrungen mit dem e-Velotraum

Für Radreisen ist das E-Fahrrad sicherlich im Moment nur unter bestimmten Voraussetzungen geeignet. Also auf kurzen Etappen mit gut organisierten Ladestationen und einem Materialwagen. Für die klassische mehrwöchige Radreise, die auch mal in strukturschwache und dünn besiedelte Regionen führt, sind E-Räder völlig ungeeignet. Es sei denn, man zieht einen Anhänger mit Akkus und Solar-Paneelen hinter sich her. Das gleiche gilt für die Verwendung als Sportgerät – was ja schon ein gewisser Widerspruch in sich ist. Schließlich geht es beim Sport um das Sich-selbst-spüren, Anstrengung und Verausgaben. Bei Erkrankungen oder in der Rehabilitation kann das E-Rad wiederum ein sinnvolles Sportgerät sein.

Als alternatives Fortbewegungsmittel zu Auto, Bus und Bahn ist das E-Fahrrad aber eine wirklich feine Sache. Und zwar nicht nur in den Städten, sondern auch im ländlichen Bereich und in der Agglomeration, dem suburbanen Umland der großen Städte. Zumal sich hier eine umwelt- und menschenfreundlichere Mobilität und eine individuell dosierbare Aktivität und Anstrengung hervorragend miteinander verbinden lassen.

Aber auch für ambitionierte Radfahrer bietet der Zusatzantrieb vielversprechende Perspektiven. Zum Beispiel wenn die Strecke zum Arbeitsplatz mal über 20 Kilometer beträgt und mit bis zu 800 Höhenmeter Anstiegen gespickt ist, wie bei Markus Mehigan. Trotz der Abregelung ab 25 Km/h verkürzte sich Markus’ Fahrzeit um 15 Minuten, bei deutlich weniger Anstrengung. Insbesondere im Winter, wenn Spikereifen, Dunkelheit und Kälte den Fahrwiderstand um gefühlte 50% steigern, kann sich Markus vorstellen, in Zukunft regelmäßig – aber nicht ausschließlich – mit einem e-Velotraum zu fahren. Allerdings wünscht sich Markus ein »offenes« System, also keine Abregelung bei 25 Km/h. Zudem empfiehlt der durchtrainierte Vielfahrer niemals mit leerem Akku zu fahren: extreme Quälerei. Für die gelegentliche Nutzung empfindet er die Anschaffungs- und Unterhaltskosten als problematisch. Als leichter und durchtrainierter Fahrer kam er, wenn auch knapp, mit einer Akkuladung hin- und zurück.

Die Abregelung ist auch für Pit Heynhold die Spaß- und Überzeugungsbremse. Obwohl auch er seinen 25 Kilometer langen Arbeitsweg 15 Minuten schneller zurücklegte, würde er (noch) auf eine Motorunterstützung verzichten wollen. Denn auf flacheren Strecken macht sich die unangenehme Eigenschaft von Nabenmotoren – spürbar zu bremsen – besonders bemerkbar. Das leichtfüßige Gleiten ist nicht die Stärke von E-Fahrrädern, sprich – Fahren völlig ohne Unterstützung geht, ist aber kein Vergnügen! Als alter Haudegen würde Pit daher im Moment auf den Zusatzantrieb verzichten.

Für Jörg Hallmeyer als Kurzstreckenpendler kommt ein E-Bike auf keinen Fall in Frage. Seiner Meinung nach klaffen die Schenkel der Kosten-Nutzen-Schere zu weit auseinander. Auch die Entsorgung und die relativ geringe Lebensdauer der Akkus sind für ihn wichtige Gründe, auf den ansonsten als sehr angenehm empfundenen Komfort zu verzichten.

Das Gleiche könnte ich eigentlich auch für mich – Stefan Stiener – gelten lassen. Allerdings habe ich einfach mal ein paar andere Anwendungssituationen gesucht und ausprobiert. Ich werde zum Beispiel im Winter, wenn der Radweg wieder mal monatelang vereist ist, auf das e-Velotraum umsteigen. Denn damit ist für mich die autoarme Alternativstrecke auch mit Spikereifen und 15%-Rampen keine Quälerei mehr. Auch für Fahrten zum S-Bahnhof mit anschließender Bahnfahrt und Geschäftsterminen würde ich mich in Zukunft jederzeit auf ein e-Velotraum setzen. Und müsste ich täglich einen Kinderanhänger die Rampen der hiesigen Topographie hochziehen, wäre für mich die Wahl auch klar: pro E-Antrieb.

Positiv überrascht war ich, wie sehr die Unterstützung auch bei einem 100-plus-X-Kilo-Fahrer zu spüren ist und wie vergleichsweise wenig der Motor meinen Fahrstil beeinflusst. Es geht einem zwar etwas das Gefühl für das »was leiste ich, was der Motor« verloren, aber weder bei der Trittfrequenz noch beim Fahren im Wiegetritt hatte ich das Gefühl, mich dem Motor zu sehr anpassen zu müssen. Aber wie die Kollegen stört mich, je häufiger ich fahre, der Widerstand oberhalb von 25 Km/h, sobald der Motor abregelt.

Reichweite – »alles auf einmal geht nicht« (1)

Ernüchternd, aber im Alltag handhabbar, ist die Akkureichweite. Bei extremen Anforderungen (tiefe Temperaturen, schwerer Fahrer, hohe Unterstützung, steile und längere Rampen) ist nach 15 bis 18 Kilometer Wegstrecke Schicht im Schacht, und Ebbe im Akku!

Als nicht praxistauglich empfanden wir die Energierückgewinnung beim Bergabfahren, die so genannte Rekuperation. Damit wird der Motor zum Dynamo und erzeugt elektrische Energie. Wir konnten dabei nur einen marginalen »Gewinn« feststellen aber der Spaßfaktor bergab geht völlig flöten, da selbst bei einem Gefälle von über fünf Prozent das Rad fast stehen bleibt! Und wie sich 250 Watt Widerstand statt Unterstützung anfühlen erfährt man, wenn man vergisst, rechtzeitig vor Ende des Gefälles umzuschalten (mit Handschuhen und nachts sehr schwierig).

Natürlich erwartet den E-Rad-Fahrer ein erhöhter Wartungsaufwand. Speziell der Akku will gehegt und gepflegt werden, wenn er möglichst lange halten soll. Wie wenig die Hersteller da der Technik und dem Nutzer noch trauen, zeigen die kurze Gewährleistung von manchmal nur einem Jahr auf die 600 bis 800 Euro teuren Powerpakete.

Fazit

Auch ein Velotraum mit E-Motor bleibt ein richtiges Velotraum und ist, wenn Bedürfnisse und Anforderungen passen, schon jetzt eine gute und stimmige Lösung. Wir sehen die eigentliche Aufgabe und Weiterentwicklung des E-Rads nicht in erster Linie in der Systemintegration und Verhübschung (integrierter Akku, Kabel verdeckt, usw.) sondern erst mal in der weiteren Verbesserung von Steuerung, Antrieb, Akku-Technik, Akku-Anbringung (bei kleinen Rahmen bzw. TD-Rahmen) und der Gesetzeslage.

Denn die größte Spaßbremse war die Abregelung bei 25 Km/h und der damit einhergehende, höhere Fahrwiderstand über 28 Km/h. Für weniger sportive Fahrer und auf Kurzstrecken ist dieses Handikap aber sicherlich weniger relevant. Ob die Politik und die Verwaltung in Deutschland sich hier bewegt – im Gespräch sind 32 Km/h ohne Zulassung – bleibt abzuwarten. Der Aufwand und die Kosten für die Zulassung eines Velotraums mit Unterstützung bis 45 Km/h wäre im Moment leider zu hoch. Auch wenn diese »offene Klasse« sicherlich besser zu Velotraum passen würde…

Wenn das E-Rad ein Auto oder die Kosten für Bus und Bahn ersetzt, stehen die Kosten durchaus in einem angemessenen Verhältnis. Wahrscheinlicher wird es aber sein, dass die E-Räder einfach zusätzlich gekauft werden. Denn spätestens bei Regen, Kälte und Glätte werden nur noch die wenigsten auf dem Fahrrad sitzen. Außer vielleicht wir Schwaben – schließlich muss sich so eine Anschaffung ja rentieren – gell ;-)

Zum Schluss unser vielleicht wichtigster Tipp für Interessierte: Ausprobieren und testen! Damit meinen wir nicht die unsäglichen Testparcours auf Messen und auch nicht die Runde um den Block. Sondern Fahrrad für zwei Tage mit nach Hause nehmen und in verschiedenen Anwendungsbereichen testen. Alles andere ist Mumpitz. Die Leih- und Aufwandspauschale von 50 Euro rechnen wir beim Kauf natürlich an.

(1) aus »Das E-Bike« – Peter Barzel, Gunnar Fehlau

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