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Eine Woche per Rad durch Sachsen und Brandenburg

Dresden, Bautzen, Berlin, Wittenberg, Dresden – so lauteten die groben Koordinaten meiner ersten Radreise durch Sachsen und Brandenburg.

Bis dato kannte ich den »Osten« nur von Geschäftsreisen, war also nicht wirklich dort, denn für passionierte Radfahrer gilt: »Nur wo man mit dem Fahrrad war, war man richtig« ;-)

Mit offenem Blick die Landschaft durchstreifen

»Die unmittelbare, unmotorisierte und unvermittelte Beziehung zur Welt, lassen den Radfahrer zu einem ungeschützten Gast der Landschaft werden, dem Klima und der Topographie ausgesetzt. Radfahren bedeutet, sich eine Landschaft mit eigener Kraft zu erschließen.«

Dieses Zitat von Steen Nepper Larsen umschreibt ganz gut, unter welcher Prämisse ich meine Reise geplant hatte. Ich hatte weniger im Sinn, Kulturdenkmäler und Städte zu besichtigen, mir ging es mehr darum, Landschaft und Orte »mit offenem Blick zu durchstreifen«.

Tag 01 | Hilfe – Navi statt Karte

Navi ist prima, wenn’s funktioniert.

Schon in Dresden ging es los. Der Track auf dem Navi entsprach nicht der Ausschilderung des Elbe-Radwegs! Zu diesem Zeitpunkt kein echtes Problem, denn der Elbe-Radweg ist fast nicht zu verfehlen. Schon gar nicht an einem sonnigen Sonntagmorgen – einfach den Massen hinterher oder entgegen. Also ein optimales Terrain, um erste Erfahrungen mit dem Navigationsgerät zu sammeln.

So schön Dresden und die Elbauen auch sind, mir war es bald zu voll auf den Radwegen und so war ich froh, bei Birkwitz das Elbetal in Richtung Bautzen zu verlassen.

Problemlos finden mein Navi und ich den Fernradweg D4 nach Bautzen, den ich quasi für mich allein habe, denn ab nun geht’s wunderschön aber immer bergiger durch die Sächsische Schweiz. Im ’rausgeputzten Stolpen kommt mir das malerisch gelegene Burgrestaurant für einen kulinarischen Zwischenstopp ganz gelegen. Danach wird die Gegend noch luftiger und ruhiger. Trotz Sonntag und Kaiserwetter begegnen mir auf den ruhigen Nebenwegen und Straßen kaum andere Radfahrer. Die Orientierung mit dem Navi wird auch immer besser und nur einmal drehe ich noch eine Ehrenrunde, als Route und Ausschilderung mal wieder getrennte Wege gehen.

Zwischen Neustadt und Neukirch führt der D-4 durch große Waldgebiete und völlige Abgeschiedenheit. Auf den vielen und zum Teil groben Schotterweg-Abschnitten bewähren sich die breiten Felgen und die nur mit zwei Bar befüllten Kojak-Slicks meines neuen Fliewatüüts bestens.

Hinter Schirgiswalde stoße ich schließlich auf den Spree-Radweg und auf verwinkelten Asphalt- und Waldwegen, immer wieder mit Kopfsteinpflaster, erreiche ich schließlich Bautzen, das politische und kulturelle Zentrum der Sorben. Tipp: die Besichtigung der Altstadt bewerkstelligt man besser zu Fuß, denn die Straßen des historischen Zentrums sind sehr grob gepflastert. Als Radlerunterkunft empfehlenswert ist das ruhig und zentral gelegene Hotel Dom-Eck. Tagespensum: 108 Km, 1.400 Hm.

Tag 02 | Schön, schöner, am schönsten

In der Sächsischen Schweiz meinte ein freundlicher Herr, beim Plausch über das Woher und Wohin, dass die Oberlausitz »nicht so schön wäre«, von wegen Tagebau und so.

Vielleicht war ich deshalb so angenehm überrascht, als ich mich nach der Bautzener Agglomeration unverhofft in einem Landschaftspark wiederfinde. Sicher, die ersten Kilometer aus Bautzen hinaus sind mühsam und unschön, aber dafür entschädigt die Strecke mitten durch die idyllische und kontemplative Teichlandschaft – ein einziges Pfeifen, Quaken, Unken und Gegluckse. Auch der weitere Routenverlauf durch die Biosphärenregion um das Örtchen Wartha bietet großes Landschaftskino sowie unzählige kleine Sehenswürdigkeiten und Skurilitäten.

Nach dem großen Bärwalder See folgt ein etwas eintöniger Streckenabschnitt (Truppenübungspatz…), den ich zügig hinter mich bringe, zur Belohnung für die Tempoeinlage gibt’s in Spremberg einen Latte und Erdbeerkuchen.

Nachdem ich den ganzen Tag durch wunderschöne und ruhige Landschaften geradelt war, erscheint mir Cottbus als unpassender Etappenort. Mag sein, dass diese Einschätzung dem von Plattenbauten umgebenen Discounter-Besuch geschuldet war (Einkaufsmöglichkeiten an der Strecke oder in den kleinen Orten sind Mangelware) – egal, ich verlängere die Etappe kurzentschlossen bis nach Peitz.

Eine gute Entscheidung, denn die liebevoll und abwechslungsreich geführte Strecke, sowie die letzten Kilometer durch das Peitzer Teichland in der Abendstimmung sind ein Radreise-Traum und würdiger Tagesabschluss. In der Pension Teich-GUT-Peitz (einem alten Gutshof) finde ich eine passende Unterkunft mit leckerem Fisch zum Abendessen. Tagespensum: 130 Km, 330 Hm.

Tag 03 | Streik der rechten Wade

Auf den ersten 40 Kilometern des neuen Tages habe ich den Spreeradweg quasi wieder für mich allein.

Diese Exklusivität findet im Städtchen Burg jedoch ein jähes Ende, denn hier taucht die Strecke in den pittoresken und gut besuchten Spreewald-Mikrokosmos ein. Auf schmalen Wegen geht’s mitten durch das Kanallabyrinth, zusammen mit Tagesausflüglern und Spaziergängern. Auf dem Wasser ist ähnlich viel Betrieb, die Kanäle sind gespickt mit unzähligen Paddelbooten und Stocherkähnen (Busladungen mit Senioren). Noch mehr Trubel dann in Leipe, spätestens hier mutiert die Kommerzialisierung und Inszenierung der »Spree-Idylle« zum Massentourismus (zumindest wenn man, wie der Chronist, aus der Weite und Leere kommt).

Plötzlich habe ich jedoch ein ganz anderes Problem: einen stechenden Schmerz in der rechten Wade, der ein Weiterfahren nahezu unmöglich macht. Eine kurze Pause bringt keine Linderung und so schleppe ich mich nach Lübbenau, dem nächsten Ort mit Bahnhof. Die Vorstellung, meine Reise nach nur zweieinhalb Tagen abbrechen zu müssen, macht mich traurig und wütend zugleich.

Also versuche ich es erstmal mit einer längeren Pause und finde beim Abtasten den marodierenden und knallharten Muskelstrang, den ich intensiv bearbeite. Danach ist der Schmerz nicht mehr punktuell stechend, sondern eher flächig-stumpf, wie bei einer starken Prellung – also auszuhalten. Und so fahre ich vorsichtig und mit kleiner Kraft weiter.

Bis nach Schlepzig geht es an Teichanlagen entlang, schön aber auch ausschließlich auf etwas mühsam zu fahrenden Schotterwegen. Da kam ein lauschig an der Spree gelegenes Café wie gerufen, wenngleich die Erzeugnisse allenfalls mittelprächtig waren.

Über zum Teil abenteuerliche Sandwege und durch einsame und lichte Kiefernwälder geht es dann immer weiter ins gefühlte Nirgendwo, bis ich in Alt-Schadow lande, das auf den ersten Blick wie ein Geisterdorf wirkt. Die Wade meldet, bis hierher und nicht weiter. Zu meiner Überraschung finde ich schon beim ersten Anlauf ein Zimmer samt Abendessen und Feierabendbier. Zur Verdauung gab’s noch ein paar lockere Kraulzüge im herrlichen Neuendorfer See – da frohlockte auch die Wade. Hätte ich allerdings vorher gewusst, was sich sonst noch im See tummeltTagespensum: 97 Km, 130 Hm.

Tag 04 | Berlin, ich komme

Am nächsten Morgen fühle ich mich ganz gut und sitze früh im Sattel, denn es sollte ein heißer und ungewollt langer Tag werden. Bis kurz vor Fürstenwalde war die Strecke ein weiteres Mal wunderschön und selbst der Streckenabschnitt entlang der Bundesstraße, ins beschauliche Beeskow mit seiner mächtigen Backstein-Kirche, war angenehm zu fahren. Inzwischen war es ziemlich heiß geworden, und da kam das kleine Flussstrandbad in Berkenbrück nach 50 Kilometern wie gerufen, wähnte ich mich doch schon auf halber Strecke zu meiner Abendessen-Verabredung in Berlin-Mitte.

Nach der tiefentspannenden Siesta dann die Ernüchterung. Auf dem ersten Hinweisschild nach ein paar Kilometern stand: Berlin-Mitte 84 Kilometer. Zu allem Überfluss wurde die Strecke vor und nach Fürstenwalde ziemlich miserabel, so dass kein zügiges Vorankommen möglich war. Logisch (nach Murphys Gesetzen), dass dann auch noch der Track und die Ausschilderung wieder mal nicht zusammenpassten –, aber alle Wege führen nach Berlin oder bis nach Erkner.

Nachdem ich das Ausschilderungs-Kuddelmuddel am Ortseingang von Erkner überwunden habe, geht es wieder zügig auf gut ausgeschilderten und schönen Wegen am Großen Muggelsee vorbei, immer weiter der Spree entlang in Richtung Zentrum. Es ist schon fein, wie »grün« man sich dieser 3,4-Millionen-Stadt annähern kann.

Die letzten 15 Kilometer durch den Großstadtdschungel werden dann aber doch noch sehr aufreibend. Die Radwegegestaltung und -führung ist abseits der Grünzüge gelinde gesagt suboptimal und das anarchisch-berlinerische Großstadtwesen trägt ein Übriges zum Chaosprinzip bei. Für kurze Alltagsstrecken sicher alles okay, für Reiseradler (vom Land) ein Stresstest. Aber ein schönes und überaus feines Abendessen beim Edelitaliener und der sommerliche Berlin-Mitte-Flair waren die Mühe allemal wert. Tagespensum: 134 Km, 300 Hm.

Tag 05 | Besuch von Batman

Auch am nächsten Morgen und einigermaßen ausgeruht, macht mir das mental anstrengende Stop and Go durch Berlin wiederum wenig Freude. Aber was soll‘s, das Leben ist kein Ponyhof – da muss man halt durch.

Sehr viel angenehmer wird es, als die Route in den Grunewald in Richtung Potsdam abzweigt. Nur die Rennradler, die sich pausenlos messen müssen (erst in den Windschatten schleichen und dann am Anstieg attackieren) nerven ein wenig. Nach Wannsee geht’s gleich in den nächsten Wald, und schon ist man in Potsdam, das man auf dem Radfernwanderweg leider nur von seiner unschönen Seite kennen lernt.

Kurz nach Potsdam zeigt mein Tacho schon 40 zurückgelegte Kilometer an, höchste Zeit für ein zweites Frühstück. Eine gute Einteilung, denn die Eckenhatz am Templiner- und Schwielow-See entlang ist nochmals eine zäh zu fahrende Angelegenheit, Seeblick hin oder her.

Hinter Ferch wird der Fernradwanderweg D-3 zum Europäischen Fernradweg R-1, und ab da geht es meist schnurgerade durch endlose und vor allem schattige Kiefernwälder. Irgendwann fordern die hochsommerlichen 30 Grad und der Gewaltritt vom Vortag ihren Tribut, wie schön, dass ich im sonst so skurrilen Borkheide (am Rande eines Truppenübungsplatzes) ein kleines Naturfreibad finde.

Der Euroradweg R-1 ist auf diesem Abschnitt übrigens vorbildlich mit Schutzhütten und Infotafeln ausgestattet, allerdings begegnen mir nur eine Handvoll anderer Radfahrer. Dafür gibt es viel Leerstand und Bauruinen an den Durchgangsstraßen und in den Gewerbegebieten. Ob der Radtourismus da wirklich eine neue Perspektive bietet, bleibt zu hoffen.

In Bad Belzig beschließe ich für heute Schluss zu machen und gönne mir ein Zimmer im Burghotel und ein stimmungsvolles Abendessen auf dessen Panorama-Terrasse.

Mitten in der Nacht dann ein merkwürdiges Geräusch und Geflatter. Ich brauche einen Augenblick bis ich kapiere, dass sich eine Fledermaus in mein Zimmer verirrt hat. In wilder Panik schwirrt das Tier durchs Zimmer und meine Bemühungen es zum Fenster zu dirigieren sind vergebens. An Weiterschlafen ist auch nicht zu denken, denn für »Bettdecke-über-den-Kopf-ziehen« ist’s zu warm. Also funktioniere ich kurzerhand ein Handtuch zum Fangnetz um und nach einigen Fehlversuchen gelingt es mir tatsächlich, den Batman unverletzt zu fangen und in die Nacht zu entlassen. Schweißüberströmt aber glücklich – Fledermaus und Nachtruhe gerettet – sinke ich wieder auf mein Bett… Tagespensum: 105 Km, 500 Hm.

Tag 06 | Die große Hitze

Beim Frühstück habe ich leider keine Gelegenheit, mein nächtliches Abenteuer mit anderen Gästen zu teilen. Mutterseelenallein sitze ich im drei Busladungen fassenden Frühstücksaal in Gesellschaft von zehn vor sich hinbrummenden Kühltheken. Vielleicht hatten die anderen Gäste ebenfalls nächtlichen Besuch und haben Reißaus genommen ;-)

Dafür geht’s vom ersten Kilometer an einmal mehr über feine Wege und durch wunderschöne Landschaften. Unbedingt empfehlenswert ist ein kurzer Abstecher hinauf zu Burg Rabenstein, auch wenn der Aussichtsturm erst ab 11:00 Uhr geöffnet ist.

Am späten Vormittag erreiche ich die Lutherstadt Wittenberg. Das belebte Städtchen hat neben der Kirchengeschichte noch recht viel zu bieten, eignet sich also prima als Etappenziel, auch wenn vor dem Jubiläumsjahr 2017 im Moment sehr viel gebaut und restauriert wird.

Zwischenzeitlich ist es ziemlich heiß geworden und das weitläufige Elbetal geizt mit Schatten. Die kümmerliche und träge dahin fließende Elbe bietet noch nicht mal eine visuelle Erfrischung, vielmehr hat man Sorge, dass der Wasserlauf gleich ganz im Sand verschwindet. Unvorstellbar, dass dieses Flussrinnsal Katastrophen verursachen und Wiederwahlen verantworten kann.

Im weiteren Verlauf zwingt mich die Hitze immer wieder vom Sattel in den Schatten. Das hat auch seine guten Seiten, denn sonst hätte ich nie die charmant-unfertige Burg Klöden entdeckt. Eine von Privatleuten umgetriebene Burganlage mit herrlichen Innenhof, netten Gasträumen und einem speziellen Museum.

Leider waren die Unterkünfte im schönen Torgau alle belegt, aber das Touristenbüro hat mir schnell und unkompliziert ein paar Kilometer weiter in Bennewitz ein Zimmer organisiert. Die Buchungsbestätigung wurde mir direkt aufs Smartphone geschickt – prima Sache und feiner Service.

Als ich dort ankam, war die erste mit- und einfühlsame Frage des Gastwirts der Zur Schmiede »erst das Zimmer ansehen oder Dehydrierung beheben«. Dabei hatte ich an diesem Backofentag sicherlich schon fünf Liter getrunken, es sollten noch drei – oder waren es vier? – süße Radler (Kohlenhydrate) im Biergarten der Schmiede folgen. Tagespensum: 122 Km, 500 Hm.

Tag 07 | Die Rekordhitze

An diesem Tag wurde in Torgau der historische Hitzerekord mit 38 Grad im Schatten eingestellt…

Bis 12 Uhr ist es noch einigermaßen erträglich, und zudem ist die Strecke etwas abwechslungsreicher als am Vortag. In Meißen fühle ich mich aber schon wie ein Trockenfisch und erst nach einer Stunde im Schatten und diversen Kaltgetränken habe ich wieder Energie für die Reize des so stolz über der Elbe thronenden Meißen.

Von Meißen ist es nur noch ein Katzensprung bis Dresden, und alle paar Kilometer gibt es lauschige und schattige Einkehrmöglichkeiten… Ich belasse es bei einem Abstecher ins heimelig-gemütliche Kötzschenbroda, dessen fein rausgeputzte und einladende Renommiermeile ein beliebtes Ziel für Hochzeitsgesellschaften zu sein scheint. Also ein idealer und kurzweiliger Platz, um bei einem großen Eisbecher meine Reise ausklingen zu lassen. Tagespensum: 95Km, 500 Hm, Gesamtstrecke 795,00 Kilometer.

Resümee

Auf den 800 Kilometern durch Sachsen und Brandenburg wurden meine Erwartungen fast immer übertroffen, oder ich habe genau das gefunden und erlebt, was ich mir von dieser Region erhofft habe. Insbesondere die Weite und relative Leere der Landschaft hat mir gefallen, und dass es naturgemäß viel mehr Ecken gibt, wo man die Dinge (und die Menschen) einfach mal »sein lässt«, auch wenn es mit Zerfall einhergeht. Hier im Großraum Stuttgart mit seinen exorbitanten Bodenpreisen, sind »nicht-optimierte« Landstriche inzwischen selten geworden.

Die gesamte Strecke lässt sich natürlich auch unter völlig anderen Vorzeichen fahren, also mit mehr Kultur, Städten, Aktivitäten, Sehenswürdigkeiten usw. Abgesehen von der Sächsischen Schweiz eignen sich alle Radfernwege auch sehr gut für Familien, da es viele Möglichkeiten gibt, die »Monotonie des Kurbelns« zu unterbrechen. Ich war in jedem Fall nicht zum letzten Mal im Mittel- und Nordosten Deutschlands unterwegs.

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