Routinierte Ganzjahresradler wissen darum: Ohne Spikereifen durch den Winter ist eine Wette mit dem Schicksal …
Apropos Wette – »… dummerweise vor Weihnachten mit dem Rad auf eisiger Straße ausgerutscht und bin noch ziemlich gehbehindert …«, so schrieb mir unlängst eine Freundin.
Moderne und hochwertige Fahrradtechnik sowie Funktionskleidung nimmt dem Fahrradwinter viel von seinem Schrecken. Allerdings scheuen sich die meisten Ganzjahresradler davor im Winter die richtigen Reifen aufzuziehen. Denn, ein Stollenreifen allein reicht meist nicht aus, ebenso wenig sogenannte »Ganzjahresreifen«. Beide funktionieren auf der Ebene, einer festgefahrenen Schneedecke oder im Neuschnee ganz gut. In unseren Breiten hat man es aber entweder mit Glatteis zu tun, oder der Neuschnee verwandelt sich spätestens nach zwei Tage in eine brisante Mischung aus Schneematsch und vereisten Spurrillen …
Schwalbe Ice-Spiker-Pro
Wer unter solchen Bedingungen noch sicher und entspannt unterwegs sein möchte (auch bei Dunkelheit), kommt um richtige Spikereifen nicht herum. Je nach Strecke und Fahrkönnen mit entsprechender Profilausbildung und Spikeanzahl.
Für besonders extreme Bedingungen und/oder hohe Sicherheitsreserven gibt es von Schwalbe den Ice-Spiker-Pro mit 344 Spikes pro Reifen. Seit diesem Winter auch im Format 65-584, also ideal für den Finder und E-Finder.
Soweit so gut. Nun wissen alle Spikereifenfahrer, dass die Dinger auch eine »B-Seite« haben. Je nach Anzahl der Nägel gehen das Gewicht, der Rollwiderstand und das Abrollgeräusch (Kettenfahrzeug lässt grüßen) nach oben.
Daher hat es auch den Chronisten einiges an Überwindung gekostet bzw. erste Radfahr-Entzugserscheinungen gebraucht, bis er die gut 1.200 Gramm schweren Ice-Spiker auf seinen E-Finder montiert hat. Trotz der frischen drei Grad im Fahrrad-Abstellraum, wird einem da warm beim runter-und raufwürgen der Tubeless-Reifen ;-)
Nun die erste Ausfahrt bei den hier so klassischen Winterbedingungen. Die ersten zwei Kilometer geht es noch auf geräumten Straßen durch den Ort und die wenigen Passanten schauen etwas verdutzt ob meines Kettenfahrzeug-Sounds. Der Antrieb kompensiert dankenswerter Weise schon im Eco-Modus vollständig das höhere Gewicht und den höheren Rollwiderstand.
Sobald der Schnee erreicht ist, ändert sich das Bild. Hier verhält sich der Ice-Spiker völlig normal, außer, dass man Griff ohne Ende hat. Anfangs bin ich noch etwas skeptisch und vorsichtig, mit jedem Brems- und Lenkmanöver steigt jedoch das Zutrauen in die 700 Wolframcarbid-Krallen. Ganz bewusst wähle ich bekannt-problematische Strecken und versuche mich an die Grenzen der Reifen heranzutesten, was mir nicht gelungen ist. Allerdings waren die Bedingungen noch nicht extrem, die kommen erst nächste Woche, wenn auf strengen Frost ein mildes Niederschlagstief folgt. Mit dem Ice-Spiker kann man sich da fast schon drauf freuen ;-)
Noch ein paar Worte zu den Asphalteigenschaften, die natürlich recht bescheiden sind. Der Reifen fährt sich leicht kippelig und eiert etwas durch die Kurven. Bei der üppigen Stollenhöhe – die alle Spike-bewehrt sind – ist das aber nicht überraschend. Daher würde ich den Ice-Spiker weniger für das urbane Umfeld empfehlen, es sei denn, man hat Spaß daran seine Mitmenschen zu verblüffen und stört sich nicht an verängstigt-bellenden Hunden. Ich persönlich werde das Asphalt-Gerassel mit stoischer Gelassenheit ertragen (zumal der Steps-EP8-Antrieb den höheren Widerstand verschwinden lässt) und dafür die winterlichen Waldstrecken besonders entspannt genießen ;-)
Da der Reifen relativ schmal ausfällt, lässt er sich auf Felgen mit 30 bis 40 Millimeter Hornbreite aufziehen und passt mit viel Luft unter unser breites A75-Schutzblech. Die Faltversion kostet runde 90,00 EUR und ist tubeless-ready, was allerdings für ein häufiges Wechseln nicht sonderlich empfehlenswert ist.
An den Reifenhersteller Schwalbe – einer der wenigen, der Spikes herstellt – hätten wir noch eine Bitte. Es wäre schön, wenn es den famosen Johnny Watts in der Größe 65-584 auch als gemäßigte Spike-Ausführung geben würde. Denn, dieses Reifenformat mausert sich zu einem gewissen Standard für besonders vielseitige Pedelecs, die häufig auch von Ganzjahresfahrer verwendet werden.
Nachtrag vom 13.01.2021
Die Wetterprognose sollte recht behalten. Tauwetter, Schneeregen und strammer Nachtfrost sorgten auf meiner Arbeitsstrecke für eine fast »durchgängige« Eisdecke, von der Haustür bis zum Ende des Radwegs in Weil der Stadt. Ich bin zwar nicht mehr »entspannt« unterwegs gewesen, da fehlte mir unter so extremen Bedingungen doch noch das Vertrauen in und die Erfahrung mit dem Reifen, aber ich bin sicher und ohne einen einzigen Ausrutscher im Betrieb angekommen. Das größte Risiko war das Anhalten und Absteigen um die Bilder zu machen ;-)
Kurzum, wie bereits erwartet ist der Ice-Spiker-Pro auch unter solchen Bedingungen eine Wucht!
Kommentare
Hallo Stefan,
sehr vernünftig, dass du nach dem großen Aua letztes Jahr nun auch zur Spikereifen-Fraktion zählst! Aus meiner Sicht gibt es für Winterfahrer zu Spikes keine Alternative.
Hierzu eine Geschichte: im letzten Winter bin ich mit Spikes zur Arbeit gefahren. Mein Weg führte am Neckar entlang. Ich hatte auf einem Teilstück bemerkt, dass mir ein LKW im Schritttempo und mit Warnblinker entgegenkam und ich wunderte mich etwas. Kurz darauf musste ich an einer Ampel anhalten und bin beim Absteigen gestürzt (also im Stehen). Die Straße war durch überfrierenden Nebel spiegelglatt, was ich beim Fahren so gar nicht bemerkt hatte.
Ich habe das Thema Reifenwechsel nun so gelöst, dass ich auf einem alten Trekkingrad (26er) ganzjährig die Spikes drauflasse. Daher entfällt das mühsame Wechseln der Reifen zur Winterzeit. Zudem kann ich morgens je nach Witterung spontan entscheiden, welches Fahrrad (altes Trekkingrad mit Spikes oder Velotraum-Speedster ohne Spikes) ich für den Weg in die Arbeit nehme. Schneller geht´s immer mit dem Speedster :-)
Grüße von Guido
Schöner Bericht und ich bin etwas neidisch auf den verschneiten Nordschwarzwald!
Zum Ice Spiker Pro: Den nutze ich ebenfalls, inzwischen den dritten Winter in 60-559/54-559 am VR/HR. Stefans Erfahrungen kann ich voll bestätigen.
Auf Asphalt muss ich zwar ziemlich die Zähne zusammenbeißen um die Geräuschkulisse zu ertragen, aber in Artgerechter Umgebung ist er z.b. dem Marathon Winter und dem Nokian W160 deutlich überlegen.
Und ich finde er rollt noch erstaunlich gut für ein derart brachiales Profil. Vermutlich liegt das an der etwas flexibleren Karkasse.
Auf vielbefahrenen Feldwegen, wo festgefahrener Schnee sich gerade in Eisplatten voller Spurrinen verwandelt, will ich nichts anderes mehr fahren.
Hallo
Ist nicht so ein edles Bike nicht zu schade für Eis Schnee und Salz.
@ Stefan: Ich verstehe Deinen Gedanken, aber umgekehrt wird ein Schuh draus. Je »edler« und somit kostspieliger ein Rad ist, um so mehr sollte man damit fahren. Denn jeder Kilometer mehr senkt die Kosten pro Kilometer, und die sind auf längere Sicht entscheidend – vom dem größeren Fahrvergnügen ganz zu schweigen ;-)
Aber klar, eine entsprechende Wartung und Pflege gehört speziell im Wintereinsatz unbedingt dazu!
Ich kann nur zustimmen: Winter-Pendeln ohne Spikes geht nicht. Ich hatte lange einen Bogen um Spikes-Reifen gemacht. Vor 3 Jahren dann ein vermeintlich harmloser Sturz auf einer Eisplatte unter Neuschnee. Die Folgen: Knie geprellt, ein paar Schrammen am Rad, Bremsgriff und Hydraulikleitung abgerissen. Dazu die Funktionsjacke und die Hose durchgescheuert. Da sind 500€ Schadenssumme schnell erreicht, von den Schmerzen ganz zu schweigen.
Seither fahre ich auch Spikes. Rollwiderstand und Geräusch nervt, vor allem wenn man mit dem lautlosen Neodrives unterwegs ist. Also jedes Jahr die gleiche Frage: wann umrüsten?
Mittlerweile habe ich das Problem auf die komfortabelst Möglichkeit gelöst. Neben dem VK12E steht noch ein Finder patat. Das Konzept-Rad wird rechtzeitig mit Spikes ausgerüstet und solange das Wetter passt fahre ich Finder. Kommt dann Glätte und Schnee ins Spiel steht das Konzept bereit und punktet mit Pinion-Getriebe und Gates-Riemen besonders bei Salz und Schnee.
An einem Tag wie heute halten mich die Kollegen für komplett durchgeknallt. Ich freue mich auf die Heimfahrt durch den verschneiten Schönbuch, während sie sich überlegen, wie sie mit ihrem Auto wohl nach Hause schlittern.
Noch ein Wort zu den Reifen. Für alles rund ums Winter-Biken ist 45Nrth mehr als ein Geheimtipp. Vier verschiedene Spikesreifen jeweils als Draht-oder Faltreifen in Größen zwischen 26“ und 29“ stehen zur Auswahl. Die Reifen fallen groß aus, der Gravdal in 50-559 geht gerade noch mit dem nötigen Freigang unter die Schutzbleche.
@ Uli: Danke, 45Nrth ist in der Tat ein guter Tipp.
@ Alle: Übrigens, heute morgen »durfte« ich die Ice-Spiker-Pro unter extremen Bedingungen testen. Eindrücke davon gibts im Nachtrag am Ende des Blogartikels
@Stefan: Die 45Nrth haben heute morgen auch bei mir ihr bestes gegeben.
Das beste bei der Wetterlage: unter 0°C kommen meine 45Nrth Wölvhammer Boots zum Einsatz – das beste was ich gegen kalte Füße auf dem Rad kenne.
Ich stimme auch voll und ganz zu. Ich habe mir vor zwei Jahren (noch bevor ich mein Velotraum bekam, aber nach der Bestellung) Weihnachten im Abverkauf die Ice-Spiker Pro gekauft in 559-54, die es aber mittlerweile nicht mehr als Faltversion gibt.
Diesen Winter habe ich sie das erste Mal aufgezogen und bin damit auch in Weil der Stadt bei Velotraum kurz vorbeigekommen. Im Vergleich zu meinen Schwalbe Mondial Evo sind sie ca. 10-20% langsamer und die Haftung ist auf Asphalt auch nicht ganz so gut. Auf Schnee und Eis hatte ich aber sehr gute Haftung und fühle mich auch sehr sicher. Ich sogar zufällig auf eine Trail gekommen, den ich selbst bei Trockenheit mit der normalen Bereifung nicht problemlos hätte fahren können. Mit den Ice Spiker Pro ging es, es lag aber auch nur dünner, lockerer Schnee.
Die einzige Frage, die ich mir stelle ist, wie schnell bekomme ich das Geld für ein zweites Velotraum zusammen, um ein Zweitrad für schnelle Sommertouren bzw. Spikes zu haben. Und wo habe ich Platz, um das Fahrrad unterzustellen.
Ich habe Spikereifen schon einige Winter im Einsatz. Die Spikes sind mittlerweile leicht abgenutzt und an den Kontaktflächen angerostet. Einzelne Spikes fehlen schon, aber trotzdem ist man bei den aktuellen Witterungsbedingungen sicher unterwegs damit.
Man benötigt sie nicht oft. Je nach Wetterlage kommen abwechselnd zwei Fahrräder mit oder ohne Spikes zum Einsatz.
Ich fahre die erste Saison mit Ice Spiker Pro. Gestern war mein Telearbeitstag, von daher hatte ich nicht das Vergnügen, diese Reifen dme ultimativen Härtetest zu unterziehen. Aber der Winter ist noch jung.
Was die Abrollgeräusche angeht: ich kaufe mir kein E-Mountainbike, um mich anzuschleichen! Von daher passt sie Geräuschkulisse für mich und macht auch einen Teil des Fahrgefühls aus
Ich kann auch nur dringend zu Spikes bei drohender Glätte raten. Meine Lösung, um häufiges umrüsten der Laufräder oder unnötige Nutzung der Spikes zu vermeiden: ein zweites Laufrad für vorne mit den Spikes drauf. Bei Glättegefahr wird auf das Spikes-Rad gewechselt, Laufradtausch ist eine Sache von zwei Minuten und Spikes nur vorne geben genügend Sicherheit. So komme ich seit 2010/11 sicher durch jeden Winter.
Als Reifen habe ich den Schwalbe Marathon Winter (mittlerweile nur noch als Marathon Winter Plus zu haben), den kann ich empfehlen, wobei er sicher nicht an den hier besprochenen Reifen rankommt.
Bei Spikes nehme ich gern an der Diskussion teil ;-)
Ich fahre schon seit ca fünf Jahren (also auch schon vor meiner “Speedster-Zeit”) im Winter mit Spikes. In meinem ersten Spikes-Winter hatte ich vorne und hinten Spikes drauf. Seit dem Winter darauf fahre ich – ähnlich wie Holger – nur noch vorne mit Spikes. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich subjektiv die Zunahme beim Rollwiderstand quasi nicht merke, wenn die Spikes nur vorne drauf sind. Ein zusätzliches Laufrad habe ich daher nicht. Bei mir wird der Spikes-Reifen ein mal zu Beginn des Winters montiert und am Ende des Winters wieder demontiert.
Hinsichtlich dessen, dass unter die Schutzbleche meines Speedster maximal 50-584 Reifen passen (@Stefan Stiener: bitte verbessern falls ich falsch liege ;-)), war ich allerdings in der Auswahl des Spike-Reifens stark eingeschränkt und habe nur einen einzigen Reifen gefunden, der passt: Schwalbe Winter. Der Reifen hat das gleiche Profil wie der von Holger erwähnte Schwalbe Marathon Winter, allerdings fehlt die Pannenschutzeinlage (das habe ich ausgeglichen durch Tape unter der gesamten Lauffläche) und er hat nur die Hälfte der Spikes. Es lassen sich allerdings weitere Spikes montieren. Davon habe ich Gebrauch gemacht und wenn der Reifen auf das Rad aufgezogen ist, dann funktioniert die “Installation” weiterer Spikes auch ohne größere Probleme. Das entsprechende Werkzeug hierfür gibt es bei Schwalbe.