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Materialbruch – Vor dem Brechen kommt (meist) das Knacken …

Ein Ärgernis für Radfahrer und ein Schreckgespenst für jede Fahrradwerkstätten – Knackgeräusche am Fahrrad.

Manchmal ist die Abhilfe ganz einfach, manchmal eine unendliche Geschichte. Meist sind die Ursachen völlig harmlos, manchmal kündigen Sie aber auch einen Kapitalschaden an.

Vor Letzterem sind auch vermeintlich erfahrene Profis wie der Chronist nicht gefeit …

Geräuschanfällige Fahrradtechnik

Eine technische Besonderheit am Fahrrad ist die offenliegende Technik, bei der das Schalten und Walten der Mechanik sicht- und nachvollziehbar ist. Dazu sind Fahrräder flüsterleise, so dass man die Bienen summen und die Kette surren hört. So weit so gut. Freilich haben diese wunderbaren Eigenschaften auch ihre Schattenseite: Nässe und Schmutz können sich in jede Fuge und Ritze setzten, und selbst dezente Knack-, Knarz- und Schleifgeräusche sind für Radfahrer deutlich zu vernehmen. Und je nachdem auf welche Nutzer-Disposition diese Störgeräusche treffen, bedeutet dies Achselzucken oder Weltuntergang, und in der Fahrradwerkstatt-des-Vertrauens steht das Telefon nicht mehr still ;-)

Meistens handelt es sich bei den indifferenten Knack- und Knarzgeräuschen um ein sogenanntes Setzungsknacken, das überall da auftreten kann, wo zwei Bauteile aufeinander treffen und Kräfte übertragen werden. Und solche Stellen gibt es am Fahrrad zuhauf … Verschmutzung und verflüchtigte Montagepaste tun dann ihr Übriges. Für viele Radfahrer, insbesondere Alltagsradler, gehört eine gewisse Geräuschkulisse ein Stück weit zum Radfahren dazu. Denn wer hat schon Zeit und Lust stundenlang nach den meist banalen Ursachen zu suchen. Allerdings können Knack- und Knarzgeräusche ihren Ursprung auch in losen Verbindungen oder versagenden Bauteilen haben. Das Tückische dabei ist, dass Setzungsknacken sich ähnlich anhören kann wie die Rissbildung im Lenker oder der Kurbel. Ein idealer Nährboden für Apokalyptiker ;-)

Der Experten-Bias und kostspieliger Erkenntnisgewinn

Für vermeintliche und echte Experten gibt es dann aber noch eine ganz spezielle Falle: die Voreingenommenheit (Bias). Ausgerechnet im Urlaub musste der Chronist da reintreten.

Wie bereits erwähnt, knackt ein intensiv genutztes Alltagsrad immer mal wieder irgendwo oder sogar an mehreren Stellen gleichzeitig. Mit der Zeit kennt man die Ursachen, und wenn es zu nervig wird, oder der Urlaub ansteht, macht man sich ans Abstellen. So auch bei meinem FD2E. Der knackte seit Wochen munter vor sich hin, und ich war felsenfest davon überzeugt, dass es – mal wieder … – die Motorenaufnahme sei. Für den Urlaub – bella Figura – hatte ich das Rad gründlich gereinigt, durchgecheckt und diverse Passungen abgefettet. Auf den letzten Fahrten vor dem Urlaub war das Rad damit frei von Geräuschen. Heisa, der Urlaub konnte beginnen.

Doch schon auf der ersten kleinen Tour im Gran-Paradiso-Nationalpark gingen die Geräusche wieder los und zwar in einer neuen und sehr dringlichen Tonlage, die eindeutig kein Setzungsknacken mehr war. Auf die Schnelle konnte ich unterwegs nichts Gefährliches feststellen. Dennoch bin ich wie auf rohen Eiern zum Campingplatz zurück geradelt. Inzwischen hatte ich auch einen konkreten Verdacht, der sich am nächsten Morgen bestätigen sollte: Am hoch belastetem Hinterrad war die feine DT-Swiss XM551-Felge gleich an mehreren Stellen gerissen. Nach 25.000 Kilometern der erste richtige Defekt an dem Rad …

Nach einer kurzen Lageanalyse war klar, dass eine Reparatur nicht in Frage kommt. In dieser entlegenen Ecke des Piemont ein Radgeschäft zu finden, dass ein solche Felge am Lager hat und dann noch professionell umspeichen würde, war sehr unwahrscheinlich. Daher musst ein Ersatz-Laufrad aus der Heimat her … Also die Reisepläne umschmeißen, einen Campingplatz finden, bei dem in der Nachsaison die Rezeption durchgehend besetzt war, und denen per Mail die Lieferung avisieren. Glück im Unglück, lies sich alles mit ein paar E-Mails organisieren. Dass ich zweieinhalb Tage später schon wieder im Sattel sitzen konnte, verdanke ich aber dem Umstand, dass in Weil der Stadt gerade ein passendes Hinterrad zur Hand war und das VT-Team das Ersatzrad umgehend auf den Weg brachte. Ach ja, 250 Euro will DHL für so einen Expressversand von Weil der Stadt nach Alba. Für einen Kunden wären da noch der Preis für das Hinterrad (zirka 600,00 EUR) und eine Aufwandspauschale dazugekommen – also ein verdammt teurer Spaß …

Und was lernen wir daraus …

  • Selbst das beste Material hält nicht ewig – Da habe ich noch vor dem Urlaub einen Erfahrungsbericht über die zweiten 10.000 Kilometer geschrieben und dabei irgendwie verdrängt, das die Matrialermüdung auch um ein Schwergewicht wie mich keinen Bogen macht. Jedem Kunden hätte ich den Rat gegeben, bei einem derart beanspruchten Fahrrad vorbeugend die Felgen zu tauschen, ebenso wie Vorbau und Lenker.
  • Auch das Unwahrscheinliche bedenken – Der DT-Swiss-Felge ist kein Vorwurf zu machen, die hat ihr Ableben über Wochen im Voraus akustisch angekündigt, nur leider in der gleichen »Tonlage« wie das hinlänglich bekannte Setzungsknacken der Motorenaufnahme. Da ich das Fahrrad und die Laufräder vor dem Urlaub gereinigt hatte, bin ich mir ziemlich sicher, dass allenfalls feinste Haarrisse – die man als Ü60 nur noch mit der Lupe sieht – vorhanden waren.
  • Zuverlässigkeit kann nachlässig machen – Bei Material und Technik ist es wie mit den Menschen und Kollegen. Wer immer alles klaglos wegsteckt und einfach funktioniert, der wird von unserem chronisch überlasteten Problem-Radar aussortiert. Also vor jeder größeren Reise oder Tour mental einen Schritt zurücktreten und den Tatsachen ins Auge sehen ;-)
  • Einen Plan-B vorausdenken – Nicht jeder hat wie der Chronist eine Fahrradmanufaktur im Hintergrund, bei der man mal kurz anrufen kann und dann alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, damit dem Chef nicht der Urlaub versaut wird. Daher macht es durchaus Sinn, sich im Vorfeld zu überlegen, an wen z. B. Velotraum Ersatzteile senden kann und wie die Sachen eventuell in exotische Länder kommen.

Postskriptum – Die 250 Euro waren im Rückblick hervorragend investiert. Denn wir sollten noch einige wunderschöne Traumtouren in diesem Urlaub machen, von denen ich keine Einzige missen wollte :-)

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