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Nachlese – »Spazier-Stern-Fahrt« nach Stuttgart

Bei bestem Wetter haben am 21. Mai zirka 5.000 Radler an der fünften Stuttgarter Radsternfahrt teilgenommen.

Das ist in jedem Fall ein schöner Erfolg für die ehrenamtlichen Organisatoren.

Ein Erfolg oder gar Fortschritt fürs Fahrrad als Verkehrsmittel freilich weniger. Denn das Schneckentempo und die vielen Zwangspausen auf der Sternfahrt weisen unfreiwillige Analogien zur realen Fahrradverkehrspolitik auf.

Allerdings ist dies nicht den Organisatoren anzulasten! Denn einmal mehr können wir nur zutiefst den Hut ziehen, angesichts der überwiegend ehrenamtlichen Leistung von ADFC, Critical Mass Stuttgart, RadL, VCD, BUND und Naturfreunde ziehen. Danke, danke liebe Leute, dass Ihr diese Mammut-Veranstaltung ermöglicht habt.

Alltag versus Symbol-Veranstaltung

Sehr wahrscheinlich liegt unsere eher kritische Wahrnehmung auch darin begründet, dass wir als gestandene und langjährige Alltags- und Ganzjahresfahrer von dem Schneckentempo in Politik und Verwaltung zunehmend ernüchtert, frustriert und gar verärgert sind und uns Symbol-Veranstaltungen im Alltag einfach nicht helfen.

Denn in unserem Radler-Alltag hat sich in den letzten Jahren so gut wie nichts verbessert, es ist eher schlechter geworden. Denn mehr, schnellerer und rücksichtsloser Autoverkehr macht selbst das befahren von Nebenstrecken immer mehr zum Spießrutenlaufen. Da nützt einem auch die Einsicht wenig, dass sich die meisten Autofahrer nicht willentlich und wissentlich rücksichtslos verhalten. Wenn man von zwei Tonnen Blech umgeben ist und hunderte PS unter dem rechten Fuss hat, lebt man in einer anderen Parallel-Welt. Und das ausweichen in die Wälder hat – siehe oben – andere Tücken ;-)

Die Sternfahrt

Diese Stagnation oder sogar Veränderung zum Schlechteren – siehe auch die Ergebnisse des aktuellen Fahrrad-Klima-Test – spiegeln sich nach unserem Empfinden auch in der Stuttgarter Sternfahrt. So zum Beispiel die Stagnation der Teilnehmerzahlen. Wenn ich als Bundesland oder Stadt und Gemeinde das Fahrrad als Verkehrsmittel stärken möchte, dann muss ich halt auch was tun und das Fahrrad nicht nur als Freizeitgerät in die Mitte der Gesellschaft holen. Dazu kann eine Sternfahrt allerdings nur dann beitragen, wenn Sie von den durchfahrenen Landkreisen, Städten und Gemeinden mit Herzblut unterstützt und gelebt wird.

Wie zum Beispiel durch den stellvertretenden Landrat von Böblingen Martin Wuttke, der durchaus glaubhaft einen Abriss über die Radverkehrs-Ambitionen des Landskreis Böblingen gab. Allerdings hören die Ambitionen (leider) an der Kreisgrenze zu Calw auf. Es ist immer wieder »spaßig«, dass wir zwar in einer globalisierten Welt leben, aber beim Thema Radinfrastruktur mittelalterliche Zustände herrschen. – Sprich jeder Landkreis, jede Gemeinde/Stadt verfolgt ihre eigene, oft klägliche Agenda…

Thema verfehlt. – Eine eher peinliche Vorstellung gab da ausgerechnet unsere »Heimatgemeinde« Weil der Stadt ab. So war der Startpunkt nicht etwa die »gute Stube«, der Markt(meist Park)platz, sondern die Schmuddelecke Bahnhof. Die Begrüßungsrede eines hiesigen Gemeinderats bestand nur aus Stadt-Tourismus-Phrasen, kein einziges Wort zum Fahrradverkehr. Dabei hat sich in Weil der Stadt schon ein Muggaseggele bewegt in Sachen Fahrradfreundlichkeit. Ironischer Weise hatte jener Gemeinderat den selben Nachnamen wie der frühere Deutschlehrer des Chronisten, allerdings hätte ich damals eine glatte »6« für ein so eklatantes »Thema verfehlt« erhalten ;-)

In Schleich(Spazier)fahrt und immer schön auf Nebenstraßen oder gar Landwirtschaftswegen – bloß nicht den MIV-Sonntagsverkehr behindern – ging es dann nach Leonberg. Eine positive Veränderung zu den Vorjahren war, dass wir schon als richtig große Gruppe in Leonberg eingefahren sind.

Die Ernüchterung dann in Leonberg. Kein bereits gut gefüllter Marktplatz, sondern nur eine überschaubare Gruppe Radler, immerhin gab’s eine Begrüßungskapelle (zu Keans-Leidwesen). Die offizielle Begrüßung und Ansprache viel dann irgendwie einer organisatorischen Panne zum Opfer (nicht schlimm) und nach einer sehr langen Pause ging es schließlich weiter.

Schneckentempo. – Auf der Nebenstrecke nach Ditzingen wurde die Sternfahrtschlange von einem mit Kinderwagen joggenden Familien-Vater überholt. Das schmerzt, quasi die »Höchststrafe« für einen Radfahrer ;-)

Auf Nebenstrecken und seeeeeeehr gemütlich ging es nun nach Gerlingen, Weilimdorf und Zuffenhausen. Ein sich zäh hinziehender Radler-Lindwurm, der mal hier mal da weitere Radler aufsammelte, aber ansonsten weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit seine Wege in die Landeshauptstadt suchte. Erst in Zuffenhausen kam dann so langsam echtes Sternfahrt-Gefühl auf.

Für den Chronisten ging die Sternfahrt allerdings erst so richtig auf dem Pragsattel los. Hier trafen sich mit großem Hallo und Geklingel die Richtungen Leonberg/Weil der Stadt und Ludwigsburg und okkupierten eine der Hauptverkehrsschneißen – die B27 – hinunter in den Stuttgarter Kessel. Ein wirklich phantastisches Erlebnis, dass für die Durststrecken zuvor entschädigte. Auf der einen Seite das Fahrradvolk, auf der anderen Seite die Blech-Schlange, die – dem Sonntag sei dank – sich sogar bewegte ;-)

Ebenfalls sehr eindrucksvoll, diesen Teil der Stadt einmal völlig neu wahrzunehmen. Denn, an der B27/Heilbronner Straße ist eine regelrecht großstädtische und repäsentativ-protzige Architektur entstanden, die man sonst so nie zu Gesicht bekommt (konsequent autogerechte Stadt, weswegen z.B. auch die U-Bahn auf weiten Strecken unterirdisch verläuft…).

In der Lautenschlager Straße war der Fahrspaß dann aber erst mal für eine gute halbe Stunde vorbei. Auch das Vorrücken auf den Arnulf Klettplatz/Bahnhofvorplatz (zum Verständnis: das ist inzwischen eine sechsspurige Straße, der eigentliche Platz ist unter der Straße) wurde mit einer weiteren halben Stunde Wartezeit erkauft. Schließlich ging es gemeinsam, also alle 5.000 Radler auf einmal, auf die launig-fröhliche Innenstadtrunde, die auch am Feinstaub-Schwerpunkt am Neckartor vorbei führte…

Déformation professionnelle. – Patricia und der Chronist rollen langsam an zwei gestylten Radlern vorbei. Der Eine zum Anderen: »Hey schau mal, ein Steps 8000«. »Oh, sogar in einem Velotraum – sind die schon lieferbar?«. Der Blick der beiden Radler wandert von der Technik nach oben zur Fahrerin und unisono brechen wir in lautes Gelächter aus. Denn bei den Beiden handelte es sich um die uns gut bekannten Branchen-Urgesteine Uwe Weissflog und Conrad Weyhmann. Merke: Männliche Radschaffende gucken immer erst auf die Technik, egal was drauf und drüber thront… ;-)

Spätestens beim Einbiegen auf den Schlossplatz landeten wir von der Fahrradfahrer-Utopie in der Realität. Denn VFB-Aufstiegsspiel, Flohmarkt und das sonntägliche Großstadt-Treiben verschluckte die Sternfahrt einmal mehr, da würde man sich mehr Auffallen und Aufmerksamkeit wünschen. Hinzu kommt, dass sich die Sternfahrt-Teilnehmerschaft nach dem Abstellen der Räder auf dem Schlossplatz ratzfatz verläuft und man auch wenig bis keine Information bekommt wo und was denn nun noch weiter läuft.

Nachdem der Redner-Punk Adi G. – Mitglied der Radbande Marbach – seine Wut- und Frustrede beendet hatte und die Musik der »Black Pearl« im wahrsten Sinne des Wortes vom Hausherrn des Neuen Schloß (Landesregierung) abgedreht wurde, machten wir uns auf den langen Heimweg über und durch die real-existierende Radwege-Situation zwischen Stuttgart und Bad Liebenzell. Die gut gemeinten aber austauschbaren Reden der »Offiziellen« haben wir geschwänzt, ebenso wie die immer gleichen Ausstellungsstände.

Sehr wahrscheinlich kommen wir dennoch nächstes Jahr wieder, allerdings wohl eher als »Direktfahrt» zur Innenstadtrunde und einem Rendezvous mit der »Black Pearl« ;-)

Wie man die Radsternfahrt allerdings auch erleben kann, zeigt das unten stehende Video, welches uns Christoph Schradi freundlicher Weise zur Verfügung gestellt hat.

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