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Roaming Pedals | №06 – Gedanken und Erfahrungen zum Thema »Gefahren«

Vor einigen Wochen haben wir Tanja und Johanna per E-Mail zwei einfache Fragen gestellt …

Eine der beiden Frage lautete: »Ist Afrika, soweit Ihr es bisher kennen gelernt habt, noch ein richtiges (gefährliches) Abenteuer?«.

Zumindest der Chronist hat bisher beim Lesen der wunderbaren Roaming-Pedals-Berichte den Eindruck gewonnen, dass die beiden taffen Frauen durch Afrika gleiten, wie ein Messer durch heiße Butter. Zum Aspekt »gefährlich« haben Johanna und Tanja nun eine ebenso differenzierte wie umfassende* Antwort aus Afrika gesendet. Einmal mehr, ein herzliches Dankeschön dafür nach Afrika!

  • (*) Wir waren ja vorgewarnt, denn bei der Fahrrad-Abholung vor sieben Monaten ließ Tanja die Bemerkung fallen: »Ich schreibe sehr gern« ;-)

№06 – Wie gefährlich ist Afrika?

Von Tanja Willers und Johanna Hochedlinger

Nach unserem letzten Newsletter wurden wir von Stefan mal was wirklich einfaches gefragt: Wie gefährlich ist es denn nun wirklich, so quer durch Afrika zu radeln?
Angestachelt von dieser überwältigend unpräzisen Frage haben wir uns durch alle Ebenen von »gefährlich« gebrainstormt und folgendes zusammengetragen:

I. Kriminalität

Die erste Gefahrenkategorie, an der man nicht vorbeikommt, wenn man seine Radreise in Kapstadt/Südafrika beginnt, ist die KRIMINALITÄT. Bestohlen, bedroht oder gar verletzt und ausgeraubt zu werden, ist in manchen Teilen Afrikas sicher nicht unüblich; wir fanden uns bisher aber glücklicherweise in keiner dieser Situationen wieder, auch wenn sich die Geschichte vom Radreisenden, der am zweiten Reisetag vor den Toren Kapstadts ausgeraubt wurde (Rad & Gepäck) nur wenige Wochen nach uns tatsächlich ereignete. Wir richten uns bei der Routenwahl häufig nach den aktuellen Nachrichten, die beispielsweise gerade jetzt einige der schönsten Provinzen Kenias aufgrund anhaltender Banditen- und nun auch Militäraktivität unbesuchbar machen. So schade es auch ist, aber da sind wir definitiv defensiv. Auch die Berichte anderer Radreisender bilden einen hochrelevanten Teil unserer Recherche- und Planungsarbeit, wobei wir hier immer wieder objektive Gefahren aus oft sehr subjektiven Berichten herauszufiltern versuchen.

Entgegen manch anderer Meinung war für uns die Mitnahme mehrerer hochsicherer (hier wurde kein Gramm Extragewicht gescheut) Fahrradschlösser – freundlicherweise gesponsort von Trelock – ein absolutes Muss! Und wir scheuen nicht davor zurück, sie nicht nur beim Wildcampen, sondern auch in einer Unterkunft oder vor den kleinen Holz- oder Blechhütten, in denen wir uns am Wegesrand stärken, ausgiebig zu verwenden. Lieber einmal zu oft aneinander und im Idealfall an etwas (Baum oder Bett) festgesperrt – auch wenn uns dafür hin und wieder Skepsis oder Misstrauen unterstellt werden.
Ganz generell versuchen wir, Ballungsräume zu meiden und kommen am liebsten ganz weit draußen (Zelt in der Einöde) oder ganz drinnen (Privat oder in gemieteten Zimmern) unter. Wir radeln nicht bei Nacht, und sollten wir es einmal nicht schaffen, ganz fernab jeglicher Zivilisation anzukommen, dann warten wir mit dem Zeltaufbau – paradox, aber wahr – gerne mal bis zur einsetzenden Dämmerung, um nicht schon stundenlang von Leuten ins Visier genommen zu werden, oder gehen aktiv auf unsere »Nachbarn« zu, was meist eine Einladung in die sicheren vier Wände oder in das umzäunte Grundstück zur Folge hat.

Kleine Abzocken und überhöhte Preise gehören zum Alltag des weißen also offensichtlich reichen Reisenden. Geschickte Informationsbeschaffung von unbeteiligter Seite, meist in Kombination mit Grundkenntnissen der lokalen Sprache und dem unermüdlichen Verlangen nach Fairness helfen enorm, um nicht in die Rolle des hilflosen Touristenopfers zu rutschen.
Wir kommunizieren außerdem höflich, aber direkt und sind schon sehr geübt darin, uns selbst und uns gegenseitig aus unangenehmen oder beengenden Situationen zu befreien bzw. unsere persönlichen Grenzen zu verteidigen, ohne sich – ganz mitteleuropäische Wattekugel – dafür schlecht zu fühlen.

II. Verkehr

Nach einem halben Jahr auf dem Rad können wir aber mit Sicherheit behaupten, dass es für uns viele wesentlich alltäglichere und banalere Kategorien der Gefahr gibt als die klassische Kriminalität. So zum Beispiel den größten Feind des Radlers – den VERKEHR. Wir sind begeistert vom großzügigen Abstand, mit dem uns der Schwerverkehr überholt, wenn er denn kann! Kurvenreiche Bergstraßen, viel zu schmale oder nicht existente Pannenstreifen, schlimmstenfalls in Kombination mit Gegenverkehr und der schlechte Zustand vieler Fahrzeuge und Straßen stellen eine unmittelbare Gefahr für ganz und gar ausgelieferte Radlerinnen auf Afrikas Straßen dar. Aber man lernt schnell, das panische Lass-mich-vorbei-Hupen vom freundlichen Gruß-Hupen zu unterscheiden und verlässt die Straße notfalls über einen 50cm Drop in den Graben / Busch, um das Schlimmste zu vermeiden. Nicht selten kommen wir auch an umgefallenen LKWs und hoffnungslos von der Straße abgekommenen Sattelschleppern vorbei und gratulieren uns jedes mal wieder dazu, nicht im falschen Moment am falschen Ort gewesen zu sein. Reifenplatzer unmittelbar neben uns kamen schon mal vor und auch der hastig einem Schlagloch ausweichende PKW kam uns das ein oder andere Mal verboten nahe, ganz zu schweigen von den wild winkenden manchmal auch noch telefonierenden LKW-Fahrern.
Wir feiern unsere mittlerweile schon recht ramponierten, aber nicht wegzudenkenden Rückspiegel und fahren – wie auch zu Hause – defensiv bzw. falls notwendig (wie beispielsweise in Lusaks Rush Hour, Dar Es Salaam und Nairobi) zügig und mit dem manchmal durchaus angsteinflößenden Flow der Großstadt.

Die immer wieder auftauchenden Police Checkpoints an Provinzgrenzen und Stadtein- und -ausfahrten sind, genauso wie die zahlreichen Bremsschwellen, bisher eher nervig als »gefährlich« (Stichwort: Korruption) und gruselige oder unberechenbare Gestalten am Straßenrand werden großräumig umfahren.

Das technische Bike-Know-How ist in diesem Zusammenhang unserer Meinung nach im Sinne der Unabhängigkeit und Flexibilität vor allem in abgelegenen oder zwielichtigen Regionen essenziell, aber auch hier hat sich gezeigt, dass man in den meisten Fällen auf herzliche Hilfsbereitschaft zählen kann (ob die nötigen Ersatzteile dann verfügbar sind, ist – wie auch in Europa zzt. – ist eine andere Frage).

In die laut besorgter Stimmen gefährlichsten Situationen beim Reisen von A nach B haben wir uns jedoch auf unseren Mitfahrten mit klapprigen, zu schnellen oder undichten Verkehrsmitteln begeben. All diese Erfahrungen – das vor dem Wind zuckelnde Dhow von Zanzibar zurück aufs Festland, das mit Zucker voll beladene und mit Wasser vollaufende Frachtboot quer über den Malawisee, der rasende Pickup auf dessen Ladefläche wir unangeschnallt durch die namibische Einöde bretterten – möchten wir nicht missen, vermuten jedoch, dass wir auf unseren Rädern selbstbestimmt herumrollend auf Dauer wesentlich besser aufgehoben sind.

III. Wetter

Also strampeln wir dahin und wappnen uns immer und immer wieder gegen die unwirtlichen Natureinflüsse, die uns aus der Gefahrenkategorie WETTER entgegenschlagen. Sonnencreme ist zwar fast in allen größeren Städten zu finden, aber wer einmal den Fehler gemacht hat, statt der sündteuren Importprodukte eine günstigere Creme zu kaufen, während er durch die Tropen radelt, der wird zwangsläufig in die kreative Kunst des alternativen Sonnenschutzes eingeführt (wilde Konstruktionen aus Kappe, Buff, Tüchern, Langarmshirts und ausgiebigen Schattenpausen), bis Wochen später endlich die heiß ersehnte – richtige – Sonnencreme erstanden werden kann.

Dann schon lieber Radeln im Regen, sofern der Poncho bei der Hand ist und/oder die Temperaturen annehmbar sind. Nächtliche Gewitter oder zu erwartende große Niederschlagsmengen während der Regenzeit und die damit einhergehende Möglichkeit einer plötzlichen Überflutung lenken das inzwischen geschulte Auge bei der vorausschauenden Zeltplatzwahl. Hierbei waren anfangs sicherlich desöfteren mehr Glück als Verstand im Spiel. Die unpassierbar gewordenen Straßen/Wege in Zambia dürften dem geneigten Follower noch in Erinnerung geblieben sein. Die auf Afrikas Straßen häufig warnend erwähnten Crosswinds (Seitenwinde) haben uns noch nicht ernsthaft in gefährliche Situationen geweht.

IV. Wildlife

Aber nun zu etwas ganz anderem, auf zu jener Kategorie, auf die nicht nur wir beim Wort Afrika sehnsüchtig hinfiebern: WILDLIFE. In Afrika wimmelt es je nach Gegend von fiesen (Hyänen, Pavianen), nächtlich jagenden (Leoparden, Löwen), riesigen (Elefanten, Giraffen), unlustigen und unberechenbaren (Büffel, Hippos), scheuen (Gazellen, Böcke), giftigen (Skorpione, Schlangen), melodiösen (Frösche, Vögel), bedrohten (Nashorn, Wildhund) und nahezu unsichtbaren (Erdferkel, Stachelschwein, Ginsterkatze) Tieren. Das ist primär wunderschön, sekundär aber ein triftiger Grund beim Wildcampen die »Basic Bush Rules« zu kennen und zu berücksichtigen: Auch wenn es uns anfangs in Namibia übertrieben vorkam, schlüpfen wir konsequent mit einsetzender Dämmerung ins Zelt – der Tagesrhythmus passt sich im Handumdrehen an. Die Regeln »kein Essen im Zelt«, »nicht blind in und unter Gegenstände greifen«, »keine nächtlichen Ausschweifungen« und der regelmäßige Taschenlampen-Kontroll-Schwenk beim Pinkeln sind heute ebenso verinnerlicht und lieb gewonnen wie das gemütliche und schützende Lagerfeuer, wenn das Kochen doch mal länger dauert.

Wir hören Hyänen und Schakale, finden früh morgens Löwenspuren in Zeltnähe, lernen Hippospuren zu erkennen und zu meiden und bekommen einmal sogar nächtlichen Besuch von fünf Elefanten, die jedoch einen höflichen Respektabstand einhalten, nachdem sie unsere nervösen Stimmen vernommen haben.
Glück? Wir werden es nie wissen. Gänzlich anders gestaltet sich der Umgang mit diesem Thema während der täglichen Stunden am Rad. Die komplette Ausgeliefertheit auf ewig langen Streckenabschnitten durch Löwenterritorium können wir uns lediglich versuchen mit Pragmatismus und Statistik schönzureden – der latente Thrill bleibt. Ansonsten gilt: Lokale Infos einholen, Abstand zu wilden Tieren einhalten und den wunderschönen Anblick unaufdringlich genießen.

Wildlife – Turtle-Attack

Langsam aber unaufhaltsam (»Ich krieg dich«, aus »Ein Fisch namens Wanda« lässt grüßen …) kriecht die Bedrohung heran …
… will aber offensichtlich nur kuscheln ;-)

V. Krankheiten

Lustig aber wahr: Die mit Abstand größte Angst wird einem im Vorfeld einer solchen Reise vor den unsichtbaren Gefahren gemacht. KRANKHEITEN wie Cholera, Typhus, Hepatitis, Tollwut, Meningokokken und Gelbfieber werden nach mitteleuropäischer Tradition ohne lang zu fackeln niedergeimpft. Vor Malaria und Bilharziose wird gewarnt und ggf. ein sündteures Prophylaktikum verschrieben. Was einem nicht gesagt wird: Medikamente für lokal auftretende Viren und Infektionen bekommt man in der Regel am spezifischsten und zu einem Bruchteil des Preises direkt vor Ort. Und Diagnosetests liefern in Windeseile verlässliche Ergebnisse – bis ein entsprechendes Ergebnis in Europa vorliegt ist es oft schon kurz nach rechtzeitig.

Für die meisten Touristen stellt Wasser aus dem Wasserhahn, dem Brunnen oder einem unetikettierten Gebinde den größten Feind überhaupt dar. Wir haben uns für all diese Fälle mit hochqualitativen Wasserfiltern ausgerüstet, diese jedoch erst ein einziges Mal verwendet, obwohl wir nur ebenjenes Wasser trinken – genauso wie die lokale Bevölkerung auch. Wenn man sich zu einem Leben inklusive Essen entlang des Straßenrandes bekennt, dann ist man geistig so weit zu akzeptieren, dass es so etwas wie eine ununterbrochene Kühlkette oder streng kontrollierte Hygieneauflagen hier nicht gibt. Es wird in der Küche geniest, Ratten springen zwischen den Töpfen herum und den Becher, in dem dir Wasser zum Essen gereicht wird, haben heute schon einige Leute vor dir benutzt. Und ja, jede von uns hatte bereits ihre persönliche Verdauungsheimsuchung, aber wir weigern uns »Essen und Trinken« als eigene Kategorie in den Gefahrenkatalog aufzunehmen.

Das Thema akuter Verletzungen ist da schon etwas anderes: Es bleibt fraglich, ob im Ernstfall (den wir bisher glücklicherweise nicht erfahren mussten) auf eine funktionierende Rettungskette gezählt werden kann. Mit einer umfassenden Erste-Hilfe-Ausrüstung, unzähligen Erste-Hilfe-Kursen und einem Satellitentelefon (Garmin 66i) versuchen wir uns selbst für den absoluten Notfall abzusichern. Zusätzlich haben wir eine Reiseversicherung abgeschlossen – die Hoffnung auf Bergung und Behandlung stirbt zuletzt. Und die Erste-Hilfe-Ausrüstung und Hausapotheke haben sich schon in zahlreichen undramatischen Situationen bezahlt gemacht: Eingetretene Dornen, ein eingewachsener Zehennagel, der rostige Nagel im Oberschenkel, undefinierbare Ausschläge und Insektenstiche, ein Sonnenstich, stinknormale Verkühlungen – Voltarencreme und Schmerzmittel, olè.

VI. Überlastung

Zu guter Letzt wollen wir uns einem Thema widmen, das möglicherweise oft unterschätzt wird: die Gefahr der körperlichen oder mentalen ÜBERLASTUNG. Anstehende Strapazen in ungewohntem Klima über einen langen Zeitraum hinweg erfordern genaue Planung bzgl. Tageszielen, Routenwahl, eine gesunde und realistische Selbsteinschätzung und im Sinne eines krafteffizienten Vorankommens ein durchdachtes Gepäck- und Ausrüstungskonzept sowie smarte Logistik bezüglich Essen und Wassertransport. Wir versuchen nie, mehr zu schleppen als notwendig, sind jedoch nie am letzten Drücker unterwegs. Wir besprechen abends im Zelt den anstehenden Tag und richten uns nach der Straßenbeschaffenheit, Anstiegsmetern, dem Wetter und unserem aktuellen Befinden. Denn nichts ist schlimmer als dauerhafte, unbemerkte Überforderung.

Körperliche Ausgebranntheit hat sich in den ersten Wochen unserer Reise nicht nur einmal in Gereiztheit und unnötigem Konfliktpotenzial niedergeschlagen, und das ist ein schlichtes No-Go. Wir sind seit Zambia fast täglich damit konfrontiert, um Geld, Essen, unsere Fahrräder und neuerdings auch Wasser angebettelt zu werden, und für die Verarbeitung alles Erlebten bzw. die tägliche Lektion in respektvoller Abgrenzung und Auseinandersetzung brauchen wir jeden Funken Extra-Energie. Also machen wir ausgiebige Pausen, essen ausreichend und so gesund wie möglich, achten auf unseren Wasserhaushalt und versuchen mit unterschiedlichen Verarbeitungsstrategien (Gespräche, Tagebuch, Fotos, Recherche,…) Ordnung im Kopf und Platz für das tägliche Abenteuer zu machen.

Resümee nach 10.000 Kilometer

Wir wissen, dass es da draußen Leute gibt, die der Gefahr in den Geschichten über ihre (Afrika)Radreise mehr Bühne bieten. Vielleicht sind wir auch besonders hartgesotten oder abgestumpft, aber das Eintauchen in neue Lebenswelten geht unserer Meinung nach mit einem unvermeidlichen Perspektivwechsel einher, denn eine andauernde Beurteilung nach mitteleuropäischen Kriterien würde uns aus dem Verwundert- oder Empörtsein nicht mehr herauskommen lassen. Wir sind hier, und es ist wie es ist – so gefährlich ist unsere Radreise durch Afrika.

Roaming Pedals auf:

  1. auf Wordpress
  2. auf Instagram
  3. im ORF.at

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