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Roaming Pedals | №07 – Reflexion über »Off«, »On« oder Off-On«

Vor dem Internet- und Smartphone-Zeitalter ist man als Reisender am Horizont verschwunden und irgendwann dort wieder aufgetaucht …

Es soll Zeitgenossen wie den Chronist geben, die das am liebsten immer noch so handhaben würden ;-)

In der Regel ist die Situation heute eine völlig andere. Die digitale Nabelschnur begleitet uns in allen Lebenslagen, und es ist eine individuelle Aufgabe und Herausforderung, wie man das eigene Mitteilungsbedürfnis, die Erwartungen von Familie, Freunden sowie Sponsoren mit der Vorstellung von Auszeit und Abstand einer Reise zusammenbringt. Und genau um diese Gemengelage kreist unsere zweite Frage an Tanja und Johanna von Roaming Pedals.

№07 – Everything, Everywhere, all at once

Von Tanja Willers und Johanna Hochedlinger

Nach einer abenteuerlichen Überfahrt zurück aufs tanzanische Festland, der erfolgreichen Umrundung des Kilimandscharo, der Durchstreifung von Serengeti und Maasaihochland, der Süd-Nord-Durchquerung Kenias und mental anspruchsvollen Kilometern in Äthiopien stehen wir heute auf Arabischem Boden.

Wir können und wollen die Erlebnisse der letzten zweieinhalb Monate nicht nacherzählen (für ganz Interessierte sind sie aber in unserem Wordpress Blog nachzulesen), denn Stefan hat es schon vor einiger Zeit angesprochen als er fragte: »Wie sehr ist man denn wirklich weg, wenn man regelmäßig Blog und Social Media bespielt und somit permanent verbunden ist?«.

Also haken wir genau da ein und verraten gleich mal vorweg: Wir sind nie ganz weg, denn irgendwo sind wir ja immer da. Nur wo ist dieses »da«? Und warum ist es nicht immer genau hier?

Unsere Tage sind zum größten Teil von aktiver Fortbewegung geprägt. In diesen fünf bis sechs Stunden reiner Fahrzeit sitzen wir in den Sätteln, schauen ab und zu auf die Karte, beobachten unsere Umgebung, verarbeiten Eindrücke und reagieren auf Umwelteinflüsse wie hupende Autos, rufende Menschen und über die Straße laufende Tiere. Wir plaudern, planen, koordinieren unsere Bedürfnisse und manchmal ziehen wir uns auch ganz zurück und hören Musik oder Hörbücher.
Während der etwa drei Stunden Pause die unsere Fahrzeit tagesfüllend verdünnen, sind wir meist auf der Suche nach Essen, befüllen unsere Wasserflaschen, ruhen uns im Schatten aus, besichtigen interessante Orte oder plaudern mit jenen Menschen, die uns eben noch angehupt haben.

Zuletzt ist ein »normaler« Wildcamping-Abend von der Suche nach einem geeigneten Zeltplatz geprägt. Scheint dieser gefunden folgt eine eingespielte Routine aller vier Hände: Zelt aufbauen, Matten aufblasen, Bett machen, Campingdusche befüllen (1,5 bis 2 Liter zu zweit), Kocher zusammenbauen, Wasser aufsetzen, Kochutensilien vorbereiten und dann – endlich – still sitzen. Mit dem Kochen wechseln wir uns ab, daneben bleibt vielleicht etwas Zeit zum Schreiben, Lesen, Tag rekapitulieren und – da sind sie ja endlich – Instagram Beiträge machen. Nach dem Essen muss abgewaschen und weggeräumt werden, die salzigen Körper möchten im Schutz der Dunkelheit geduscht werden und wenn die Räder abgesperrt und die Zahnbürsten verstaut sind, dann sirrt der Zippverschluss des Innenzeltes zum letzten Mal und es kehrt Ruhe ein. Wenn die Augen nicht schon beim ersten Mattenkontakt zufallen, dann geht sich vielleicht noch ein paar Notizen für den nächsten Newsletter und an ganz besonderen Abenden noch ein Film aus – offline speichern macht’s möglich, Kino unter Sternen, wie surreal.

An anderen Tagen sind wir Gäste in einem fremden Zuhause, in einem fremden Rhythmus. Wir genießen die Abwechslung, die Einblicke, das gemeinsame Lachen, kämpfen gegen unsere Müdigkeit an und schlafen am Ende eines langen Abends meist schon beim Anblick eines Betts im Stehen ein.

Wir sind also verdamnt viel da, wo wir uns auch physisch herumtreiben, also genau hier und jetzt. Die Zeit, die wir tatsächlich mit Schreiben und Posten verbringen ist verhältnismäßig kurz, abe – ertappt – die Zeit, in der wir uns gedanklich mit möglichen Inhalten von Newsletter und Social Media Beiträgen befassen ist nicht zu unterschätzen. Da wir von einigen Firmen mit großartigem Material unterstützt werden, das unsere Reise in dieser Form überhaupt erst möglich macht, ist diese Arbeit ein essenzieller und indiskutabler Teil des Reisepakets. Sie ist nicht immer einfach, manchmal anstrengend oder nervig, aber schlussendlich immer gut, denn sie setzt sich – entgegen mancher Vermutung – ja meist nicht mit dem Zuhause, mit einer anderen weit entfernten Realität auseinander, sondern mit der Verarbeitung, der Verbalisierung und Verbildlichung unserer täglich erlebten Realität. Diese Arbeit ordnet unsere Köpfe, vergleichbar mit Multimedia-Tagebuchschreiben, und bringt den Vorteil mit sich, dass man viel direktes Feedback von begeisterten Followern, empathischen Leser*innen bekommt und man ein Jahr später auch im Freundes- und Familienkreis nicht von von Null mit dem Erzählen beginnen muss.

Dann gibt es da noch die klassischen »Rausreißer« wie Whatsappnachrichten und objektiv gesehen belanglose Informationen aus der Heimat, über die wir uns aber von Zeit zu Zeit sehr freuen, weil sie uns einerseits das Gefühl von Vertrautheit geben und uns außerdem zeigen, dass wir dort nicht in Vergessenheit geraten, nur weil wir gerade hier sind. Die Zeit am Handy, im Internet, in sozialen Medien browsend ist aber hier wie dort ein heikles Thema, das vor allem Selbstdisziplin und -reflexion erfordert – da erzählen wir euch aber sicher nichts Neues. Besonders knifflig wird es, wenn nicht nur klassische Nachrichten für die Reiseplanung, die Routenrecherche, Ermittlung der Sicherheitslage etc. herangezogen werden, sondern auch Social-Media-Profile anderer Reisender und die persönliche Kommunikation mit Leuten vor Ort, oder wenn einem dann der Instagram Feed das Video eines Babyaffen einspielt, der mit drei Entenküken kuschelt.

Fazit: Die Handyzeit ist auf unserer Radreise definitiv ausufernder als auf früheren Reisen, ein großer Anteil ist aber Ordnungs- und Verarbeitungsstrategie, und ein weiterer Löwenanteil planerisch absolut Notwendig und ersetzt viele Stunden, die wir uns auf früheren Reisen in Internetcafes über langsame Modems ärgern mussten.

Was einen wirklich wegholt aus dem Hier und Jetzt, das sind wie wir inzwischen wissen meist die eigenen Gedanken und – zumindest bei uns Nicht-Solo-Reisenden – Gespräche. Besonders Gespräche in unserer Muttersprache, Kommentare auf Mühlviertlerisch und Wienerisch, verbalisierte Gedanken, die unwillkürlich an Orte und in Momente der Vergangenheit schweifen. Es gibt Diskussionen zu heiklen Themen, wichtige Entscheidungen, die gefällt werden wollen, Erinnerungen an Erlebnisse mit Freunden und Familie und spontane Eingebungen, die prompt geteilt werden. All das holt uns täglich vom hier ins dort und plötzlich sind wir kurz nur mehr physisch wirklich da, wo wir durch unwirkliche Landschaften rollen. Ich hatte sogar schon mehrfach Träume, in denen wir plötzlich in Wien aufwachen, unsere Reise aus unerfindlichen Gründen unterbrechen mussten. Der Ärger über diese eindeutige Fehlentscheidung und die Machtlosigkeit in der geträumten Situation waren sehr echt und jedes Mal war ich nach dem Aufwachen sehr erleichtert.

Ist dieser mentale Mehrgleisigkeit nun schlecht, oder gut, oder ganz normal? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen ist, dass der Gewinn des gemeinsamen Reisens für uns noch immer überwiegt. Das Teilen des Erlebten, die Möglichkeit, sich mutig in die Wildnis zu schlagen, das Backup der Anderen zu spüren, wenn mal wieder komische Geräusche ums Zelt schleichen, die Andere als Ausrede, um sich einer mühsamen Situation elegant entziehen zu können, das Schwelgen in Erinnerungen und das Gefühl mit allem nicht alleine zu sein … Die Liste ist endlos.

Den letzten großen Rempler hat unser Hier-Sein vor zehn Tagen kassiert. Zwischenzeitlich war unser Reiseflow sogar recht dramatisch gebrochen von der nicht ganz freiwilligen Entscheidung einen Flug aus Äthiopien nach Saudi Arabien zu nehmen (der gesamte Entscheidungsprozess ist ebenfalls im roaming_pedals Blog nachzulesen). Wir haben uns fremdbestimmt gefühlt, haben mit unseren Vorsätzen gehadert, der gesamte Reisemodus war plötzlich sabotiert. Aber wir sind wieder am Boden, die Räder sind wieder raus aus der Kiste, wir rollen mit durchschnittlichen 15km/h durch das bisher heißeste Land unserer Reise und knabbern Datteln und Oliven. Unsere Reisegeschwindigkeit ist unser stärkster Puffer zwischen Hier und Jetzt und Dort und Damals, unsere Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit sind unsere größten Schätze und wenn der Zeltzipp sirrt, dann wird es ruhig. Offline.

Roaming Pedals auf:

  1. auf Wordpress
  2. auf Instagram
  3. im ORF.at

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