»Nachhaltigkeit« – Ein Begriff, den man aufgrund seines inflationären Ge- und Missbrauchs nur in Anführungszeichen setzen mag.
Aber es hilft ja nix … Als Tanja und Johanna die arabische Halbinsel erreichten, wechselten sie von einem vermeintlich nachhaltigen Kontinent mit geringem CO2-Abdruck (von Südafrika abgesehen) in Länder mit dem weltweit höchsten CO2-Abdruck pro Person.
Während die meisten Länder Afrikas einen armutsbedingten, aber planetenverträglichen, niedrigen CO2-Ausstoß von unter einer Tonne pro Person haben (DE: 8T/P), emitieren der Katar, Oman und Saudi Arabien bis zu 36 Tonnen pro Person. In Anbetracht dieser Diskrepanz wollten wir wissen, ob das auch unsere so taffe wie reflektierte »heimradelnde Reisende« beschäftigt, oder, ob sie sich einen Eskapismus auf Zeit verordnet haben, frei nach dem Motto: Mit diesen Problemen müssen wir uns eh noch den Rest unseres Lebens herumschlagen … Bei vielen Reise-Bloggern auf YouTube und Instagram beschleicht einen genau dieses Gefühl.
Von Tanja und Jj kam dagegen folgende Antwort: »Du hast ein in unseren Augen sehr relevantes Themen auf den Tisch gelegt und treffsicher genau das, welches uns wahrscheinlich selbst am meisten beschäftigt und welches wir selbst auch am liebsten zu einem eigenständigen Text verarbeitet sehen möchten. Also, los gehts :)«
Ehrlich gesagt hatten wir auch keine andere Reaktion erwartet … ;-) – dennoch ein extragroßes Dankeschön an Roaming Pedals für diesen wiederholt famosen Bericht.
№08 – Ganz schöner Müll
Von Tanja Willers und Johanna Hochedlinger
»Trashtalk«
Südafrika: Das Geräusch der Bagger und Walzen dringt die ganze Nacht lang von jenseits des Orange River zu uns herüber. Je mehr Landschaft gnadenlos umgeackert wird, desto mehr Diamanten lassen sich im Hinterland des Nordkap finden …
Namibia: Hier macht man WAS?? Fly-In-Safaris? Wie geht sich das denn bitte sprittechnisch mit dem guten Gewissen noch aus? …
Botswana: Abfall so weit das Auge reicht. Die städtische Müllhalde von Kasane ist Treffpunkt hunderter mannshoher, hässlicher Vögel – Marabus. Sie sind immer dort zu finden, wo geschlachtet wird, oder etwas verrottet. Was hier schlussendlich mit den haushohen Bergen entsorgter Autoreifen passiert lässt sich besser nicht erahnen …
Zambia: So viele Fahrräder! Wo sind all die Autos hin? Die einzigen Kraftfahrzeuge auf Zambias Straßen scheinen böse, scheppernde und abgasschleudernde Lieferwägen und Sattelschlepper zu sein. Nicht wenige davon liegen frisch oder bereits seit Wochen im Straßengraben …
Malawi: Jetzt sind sogar die Taxis schon Zweiräder – schön dekorierte, fußbetriebene Klassiker. Aber woher kommt dann die dichte, schwarze Wolke, die auf einmal die Hauptstraße vernebelt? Stehenbleiben ist keine Option, es geht endlich bergab. Also halten wir die Luft an und sehen durch zusammengekniffene Augen wie ein Junge den schwelenden Müllberg nochmals umgräbt, um ihn anzufachen. Auf der anderen Straßenseite filetiert ein Mann ausrangierte Autoreifen zur Gewinnung von Gummispannriemen …
Tanzania: Bunte Haufen von Haushaltsgegenständen (Wannen, Kannen, Kanister, Karaffen, Stühle, Tischchen,…) säumen jetzt bereits seit Tagen die Straße. Alle haben sie eines gemeinsam: Plastik, Plastik, Plastik in allen Farben. Es wird mehr oder weniger sortenrein abgeholt und weiterverkauf … Ob zum Verbrennen oder Recyclen konnten wir nicht herausfinden, aber zumindest landen diese unverrottbaren, aber scheinbar doch nicht so unkaputtbaren Geschenke der Neuzeit nicht in der Natur …
Kenia: Ein kaltes 7-up für den Weg. Wie, wir dürfen damit nicht weiterfahren? Genervtheit schlägt blitzschnell in Freude um, als wir erkennen, dass die Glasgebinde hier zurückgegeben und recycled werden …
Saudi Arabien: Wir strampeln an kilometerlangen Industrieanlagen vorbei, deren Ausstöße die Sonne angenehm verdunkeln. Eine Plastikflasche fliegt aus dem Fenster eines vorbeifahrenden Autos … Cut.
Das Thema ökologische Nachhaltigkeit begleitet uns seit Beginn unserer Reise in all seinen Facetten unweigerlich auf Schritt und Tritt.
Wir verspüren mitteleuropäische Empörung über giftige Dämpfe von Müllfeuern und über rußschwarze Abgase alter Autos und Schiffe, die wir quer durch Afrika immer wieder einatmen müssen. Ein durchgesetztes Plastiksackerlverbot in Tanzania fällt in die fast schon unverschämte Kategorie »Naja, war ja wohl höchste Zeit«. Aber angekommen in Saudi Arabien werden wir gezwungen, alles bisher Gefühlte und Gesehene neu einzuordnen. Wir sind sprachlos – das hätten wir wirklich nicht erwartet.
So viel in der Natur herumliegenden und im Wind herumwirbelnden Müll wie hier haben wir noch nie gesehen. In Geschäften müssen wir zuweilen bis zu drei Mal darauf bestehen, dass unser Einkauf nicht zwangsverpackt wird und hin und wieder sogar physisch einschreiten, um die drohenden Plastiksäcke abzuwehren. In Restaurants wird jedem Gast ein neues Plastiktischtuch unterbreitet, das zum Schluss mitsamt dem Plastikgeschirr und den Plastikbechern als fesches Bündel entsorgt wird. Auf die intuitive Absicht, am Straßenrand eine herum kullernde Plastikflasche aufzuheben, folgt ein Blick in die Gegend und dann unmittelbar Resignation. Ich lasse die Flasche liegen. Das schmerzt.
Apropos Straße: Diesel kostet hier 20 Cent pro Liter und das macht sich im Fahrverhalten bemerkbar. Es wird buchstäblich überall mit dem Auto gefahren, sogar der »Strandspaziergang« erfolgt motorisiert. Gut für uns, denn es kommt vor, dass Einheimische bis zu 40 Kilometer Umwege in Kauf nehmen, um uns mit Snacks und Wasser aus dem nächsten Ort zu versorgen. Während des Einkaufen brummt der Motor selbstverständlich weiter – wie soll die Klimaanlage denn sonst ihren Dienst tun.
Ein Pakistani formuliert es eines Tages treffend, als er uns erklärt, der Arbeitstag eines Saudi sähe etwa so aus: »AC (Aircondition) at home, AC in the car, AC at work. The work day finishes at about 1pm, then he takes the AC car to go back to his AC home.« Und er übertreibt nicht, denn jeder Raum, jedes Restaurant, jedes Auto und öffentliche Verkehrsmittel scheint hier auf eine Zieltemperatur von 15 Grad programmiert zu sein. Keine Außenwand ohne die verdächtig surrenden und tropfenden Kisten. Städte wirken wie eine Ansammlung stehender und fahrender Kühlschränke.
Woher kommt die Energie, um diesen Bedarf an elektrisch betriebener Regulierung aufrechtzuerhalten? Über Solar- und Windenergie ist hier kein vernünftiges Gespräch zu führen; wir haben es probiert – warum auch, wenn fossile Brennstoffe ihren Job der Deckung von 99 Prozent des weltrekordverdächtigen Energiebedarfs so souverän erledigen?
Wir verleihen all unseren Beobachtungen das schizophrene Prädikat »Gänzlich fehlendes Bewusstsein für Umweltthemen trotz endlosen Reichtums, verrückter Zukunftsvisionen und der Vorgabe von Fortschritt und Weltoffenheit« und machen uns die gedankliche Notiz »Hausaufgaben nicht gemacht«. Müll am Straßenrand ist mit Sicherheit nicht der ausschlaggebendste Faktor in der globalen Nachhaltigkeitsdebatte, aber definitiv einer der sichtbarsten, wenn man auf Augenhöhe durch die Welt radelt. Und das Handeln des Einzelnen, Bildung, Bewusstsein und die Vorgaben von oben sind wie immer und überall auch hier dicht miteinander verwoben. »Wir waren bis vor 100 Jahren noch Beduinen, was erwartest du?« meint ein alter Saudi halb verständnislos, halb entschuldigend.
Warum wir diese Reise machen, werden wir oft gefragt – Nicht unsere primäre Motivation, aber schlussendlich oft mit aufgezählt: Um umweltschonendes Reisen zu bewerben – promoting Green Travel. Wir klopfen uns auf die Oberschenkel, erklären, dass wir mit reiner Muskelkraft unterwegs sind. Wir verbrauchen in diesem Jahr vermutlich keinen halben Tank Sprit (zum Kochen), beleuchten und heizen keine Wohnung und teilen uns 2 Liter Wasser bei der täglichen Dusche. Klingt doch toll.
Die unangenehme Erkenntnis: Du bist nur maximal gut, wie es die lokalen Umstände zulassen. Und dieser Tage sind wir definitiv Teil des Problems, bekommen 150 ml Wasserflaschen zugesteckt, verarbeitetes und dementsprechend verpacktes Essen zuhauf und entsorgen abends zeitweise einen Sack Müll, den wir in Afrika in zwei Wochen nicht hätten füllen können. Und ja, wir hätten unsere Reise bestimmt noch umweltfreundlicher anlegen können (einfach losradeln statt zum Ausgangspunkt zu fliegen beispielsweise), denn beim Anblick mancher hauptberuflicher Radblogger*innen, die wild von Kontinent zu Kontinent fliegen, um dort die Highlights für ihre Follower abzuradeln, kratzen auch wir uns kräftig am Kopf.
Aber jedes Projekt hat seinen Rahmen und wir sind nicht auf dem Steckenpferd einer Umweltaktion losgeritten und glücklicherweise auch nicht auf der geldmachenden Influenzerwelle sondern als heimradelnde Reisende, als neugierige Abenteurerinnen, als Berichterstatterinnen und Augenzeuginnen. Und als diese versuchen wir jeden Tag die vorbildlichste Version unserer Selbst zu sein, sprechen Dinge an, provozieren auch gerne mal, bekommen meist die etwas besorgte Bewunderung für zwei ganz offensichtlich wahnsinnige Frauen zu spüren und in wenigen wertvollen Fällen auch das Gefühl als Botschafterinnen gesehen zu werden, ein tiefergehendes Verständnis und eine geistige Verbundenheit in schwierigen Themen.
Wir werden heute nicht die Welt verändern, das passiert auch ohne uns, aber wir verfolgen das Spektakel höchst aufmerksam im Vorbeirollen.
Roaming Pedals auf:
Kommentare
Es ist immer ein wenig schwierig über die Verkehrs-, Energie oder Müllsituation aus der deutschen Perspektive zu reden (vor der eigenen Haustüre und so …)
Über die Komplett-Entsorgung der Tischdecken inkl. Geschirr und Resten über die Tanja schon im roaming-pedals berichtet hatte, war ich mehr als verwundert.
Vielleicht müsste man in dem Satz
»Gänzlich fehlendes Bewusstsein für Umweltthemen trotz endlosen Reichtums, verrückter Zukunftsvisionen und der Vorgabe von Fortschritt und Weltoffenheit«
das “trotz” durch ein “wegen” ersetzen, dann wären wir fast wieder zu Hause.
Danke für den Bericht !
So interessant, berührend; . . . und total fein, ein bißl von euch zu lernen, Eindrücke aus Gegenden zu bekommen, in denen ich nicht so unterwegs bin.
Ob ihr wohl ein Buch macht über eure Reise ? Und / oder Vorträge ? . . . wenn ihr wieder dahoam seid.
Ich freue mich sehr über euch !
Danke für diesen authentischen Bericht. Schön wärs, wenns mehr von eurer Sorte auf dieser Welt gäbe :-)
Es kommt immmer mehr ans Licht, dass es schwerwiegendere Probleme gibt als CO2, das bekanntlich essentiell ist. Buchstäblich alles was Leben ist oder Leben erhält (Nahrung) besteht aus C oder Kohlenstoff. Von der NAtur und dessen Kreator designte Kreislaufwirtschaft ist jedoch perfekt. Es gibt praktisch keinen “Abfall”. Alles zerfällt iregndwann u.a. zu CO2 und gelangt an jede Stelle des Globus, um erneut durch Photosynthese zuerst in Pflanzen und dann in Lebewesen “verbaut “ zu werden.
Der vom Menschen erzeugte Kunststoff ist ein schönes Beispiel, was der Mensch so kann. Allerdings habe ich auch keine Lösung für das Problem. Höchstens die Liebe könnte helfen. Wenn ich bei uns so sehe, was an Ampeln oder in Kurven vor Autobahnauffahrten – immer mehr – liegt, nämlich diese kleinen Filter aus unserem tollen C-Stoff. Die dann durch den Regen irgendwann im Meer landen und durch die Nahrungskette wieder auf dem Tisch landen. Was anders soll uns retten als die Liebe.