Tanja und Johanna aus Wien haben nach 80 Rad-fahr-Tagen Botswana durchquert und sammeln nun erste Erfahrungen in Zambia.
№03 – Drahtesel trifft Dickhäuter
Von Tanja Willers und Johanna Hochedlinger
Wie oft bleibt man an einem durchschnittlichen Tag auf einer Radreise durch Afrika stehen? Wir haben nie gezählt, aber es sind einige Male – eine neue Schicht Sonnencreme, die Verschnaufpause nach einem anstrengenden Anstieg, das Gespräch mit Personen am Straßenrand, mal ein Keks oder eine Trinkpause im Schatten, ein Foto hier, eine kurze Notiz da … Meist eingeleitet durch die inzwischen schon geflügelten Worte: »Pause, wenn wir oben sind?« oder »Im nächsten Ort.« oder notfalls auch »Beim nächsten Baum da vorne!«
Und dann in Botswana: alles anders. Das Land ist flach – so viel wussten wir schon – die wenigen Asphaltstraßen, die es durchziehen, sind makellos und die Dörfer sind zum einen meist sehr zersiedelt und tief im Busch versteckt und jene Orte mit relevanten Einkaufsmöglichkeiten mehrere Tagesreisen voneinander entfernt. Also stellten wir schon bald fest, dass man seine Etappen hier nicht nach den wenigen strategisch günstigen Punkten oder Touristenzielen plant, sondern nach Kilometerzähler. Fortan hieß es: »Komm die 100 machen wir noch voll und dann lassen wir’s gut sein.« Ein schneller Blick in beide Richtungen, kein Auto zu sehen, 90 Grad nach links und ab in den Busch. An einem knisternden Feuer wurden dann unter wachsamen Blicken in die sich langsam in Dunkelheit auflösende Umgebung die Eindrücke des Tages geordnet.
Dieser Rhythmus klingt zunächst monoton, aber wir lernten ihn lieben – eventuell eine Art Stockholmsyndrom, weil wir tagelang keine andere Wahl hatten als zwischen den grünen Wänden beiderseits der Straße weiterzuradeln, aber als wir den ersten von mehreren das ganze Land durchziehenden Veterinärzäune hinter uns gelassen hatten, wurden Kühe, Ziegen, Esel und das gelegentliche Chamäleon schon bald von Elefanten, Zebras und Impalas abgelöst, die neben uns hergaloppierten oder uns –im Fall der gutmütigen Dickhäuter – interessiert beobachteten. Es wurde richtig aufregend.
Ausgeliefertheit – Obgleich wir schon durch unwirtliche Gegenden und sengende Mittagshitze radeln, uns durch biestigen Gegenwind und tiefen Sand kämpfen, Auto- und Insektenschwärme aussitzen durften, wurde dieses Wort erst hier zum Inbegriff unserer Reise. Unzählige der angesichts des Wildtieraufkommens nur etwa 60 km/h fahrenden Trucker und Pickupfahrer fragten uns, ob wir nicht Angst hätten und was denn wir zu tun gedächten, falls wir dem Löwen begenen. Zitat eines Zynikers: »You better pedal fast!« Tja, uns blieb nur der wissenschaftlich-statistische Pragmatismus der besagt: Löwen sind in der Regel tagsüber nicht in Jagdlaune und Elefanten sind in der Regel nicht bösartig. Trotzdem war das Fahrradfahren, Jausnen und Wildcampen in Botswana unterlegt von diesem leichten Prickeln der kompletten Ausgeliefertheit, dem Wissen um das überbordende und durch keinen Zaun von uns getrennte Tierreich in dem immer grüner werdenden Dickicht und dem immer größer werdenden Vertrauen in Informationen lokaler Farmer und die Basic Bush Rules.
Die »klassischen Touristenziele« hielten ebenfalls was wir uns in großer Vorfreude von ihnen versprachen – der ein oder andere Safariausflug war nebenbei auch eine willkommene Regenerationspause – und an einigen Orten setzten herzliche Begegnungen unserem Glück noch ein Sahnehäubchen auf. So wurden wir eines Abends von vier Deutschen Botswanaerkundern zum Essen eingeladen und konnten stundenlang Geschichten und Erfahrungen mit wie sich herausstellte ehemals hochpassionierten Radreisenden teilen. Eine weitere Zufallsbegegnung der Extraklasse war jene mit Sharita und ihrem Team von »Tour d’Afrique«, die sich samt zweier riesenhafter Begleitfahrzeuge auf Überstellungsfahrt von Kapstadt nach Kairo befanden, dem Ausgangspunkt der nächsten großen geführten Afrikadurchquerung per Fahrrad.
Dass unsere Räder (und wir) schlussendlch nicht doch noch Opfer einer nächtlich um unser Zelt streifenden und Äste brechenden Elefantenfamilie wurden, lag vermutlich nur daran, dass wir mangels negativer Erfahrungen mit den Schwergewichten ruhig bleiben und sie aus unserem kleinen Zelt heraus freundlich aber bestimmt um etwas Respektsabstand bitten konnten. Gerne gewährten sie uns diesen Wunsch und so schliefen wir schon wieder tief und fest, als etwas später der Löwe vorbeikam, dessen Spuren wir dann beim Frühstück fanden.
Die Zeit verflog und noch bevor wir den Anblick der mächtigen Victoriafälle auf unserem kurzen Abstecher durch Zimbabwe vollends verarbeitet hatten, fanden wir uns in einem zur Begrüßung klingelnden und hupenden Pulk aus Fahrradfahrer*innen wieder. Wer hätte das gedacht? In Zambia wird geradelt – voll beladen, mit weichen Reifen, lockeren Ketten und quietschenden Bremsen, im Singlespeedmodus, aber oft zu zweit, zu dritt und unübertrieben überall!
Daher gibt es auch alle Nase lang Fahrradmechaniker, die ihrer Arbeit mangels geeigneter Ersatzteile mit faszinierender Kreativität und unkonventionellen Techniken nachgehen. Daher sind die Autofahrer hier an Radfahrer gewöhnt mit wesentlich weniger Respektabstand zu uns unterwegs. Daher sind Elefanten hier angeblich nicht mehr so gutmütig, weil sie regelmäßg von verängstigten einheimischen Radlern mit Steinen beworfen werden. Daher ist neben fast jeder unbefahrbaren Sandstraße ein Singletrail auf festem Boden und selbst an den abgelegensten Orten eine frische Reifenspur zu finden. Und unser Rückschluss, wo viele Menschen auf den Straßen sind, wurden die wilden Tiere wohl bereits effizient »beseitigt«, bestätigte sich leider bald.
Was für ein Szenenwechsel. Die ruhigen Zeiten sind vorbei, das Wildlifekribbeln ebenso, stattdessen wird nach uns gepfiffen und gerufen, Kinder laufen neben uns her und es braucht eine gute Strategie, um einen ungestört Platz zum Pinkeln zu finden. Wir waren überrascht und begeistert, aber auch traurig und wehmütig, wollten spontan umdrehen und zurück ins wilde Botswana, waren skeptisch und genervt ob der vielen Menschen, aber mit der Zeit bereit die Qualitäten dieses neuen Reiseabschnitts zu schätzen.
Wir radeln jetzt nicht mehr alleine aber immer noch »in der Geschwindigkeit der Seele«, wie Johanna treffend bemerkte, und in konstantem Kontakt mit der unglaublich lieben und hilfsbereiten Bevölkerung dieses Landes – selbst, wenn mancherorts niemand auch nur ein Wort Englisch spricht und unsere fünf Worte Tonga für allgemeine Erheiterung, aber immer auch für schmelzendes Eis sorgen. Wir bleiben ausgeliefert, denn wir mögen es. Zambia, here we come!
Liebe Grüße aus Zambia :)
Tanja + Johanna
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