Als erster großer Hersteller bietet Schwalbe nun auch für OEMs sogenannte TPU-Schläuche aus thermoplastischem Polyurethan an.
Nach eher ambivalenten Erfahrungen mit TPU-Schläuchen anderer Hersteller wollen wir einen neuen Versuch wagen und die Schwalbe Aerothan-Schläuche im Alltag testen.
Doch warum soll man sich überhaupt knapp dreimal so teure Schläuche in sein Fahrrad einbauen, insbesondere mit Blick auf die immer ausgereiftere Tubeless-Technologie? Die wichtigsten Vorteile der TPU-Schläuche gegenüber den Butyl-Klassikern sind:
- Aerothan-Schläuche sind nur halb so schwer wie die profanen »Gummischläuche«.
- Aerothan-Schläuche haben ein deutlich kleineres Packmaß, sind also zusammengerollt nur halb so groß.
- Aerothan-Schläuche sind signifikant pannensicherer und hitzebeständiger.
- Aerothan-Schläuche haben einen deutlich geringeren Rollwiderstand.
Welcher Aufwand dafür getrieben werden muss, um den guten alten Fahrradschlauch neu zu erfinden, verdeutlicht das nachstehende Schwalbe-Video ganz gut.
Für den reinen Sporteinsatz (Rennrad, MTB, Gravel) müssen sich die Aerothan-Schläuche an den inzwischen bewährten Tubeless-Eigenschaften messen lassen. Und hinsichtlich Rollwiderstand und Pannensicherheit hat da Tubeless tendenziell die Nase vorne – zumindest solange Tubeless problemlos funktioniert, also einen nicht durch unerklärlichen Luftverlust zum Verzweifeln bringt … Auch ohne Kompressor oder spezielle Pumpe mal geschwind den Mantel wechseln, ist bei Tubeless ein Glücksspiel respektive bzw. schnell mal zum Scheitern verurteilt.
Bei Alltags-, Touren- und Reiseradlern stellt sich die Lage freilich nochmals etwas anders dar. Zwar punkten auch in diesem Einsatzbereich die genannten Vorteile der TPU-Schläuche, doch wie sieht es mit der Alltagstauglichkeit und Anwenderfreundlichkeit aus? Der Butylschlauch ist zwar eine gefühlte Steinzeittechnik, aber er ist vergleichsweise robust und verzeiht auch schon mal eine suboptimale Behandlung. Und wenn bei der Montage oder beim Flicken mal was schief geht, kommt zum Ärger nicht noch der finanzielle Aderlass dazu ;-)
Wichtig für die Anwendungspraxis sind noch drei weitere Aspekte:
- TPU-Schläuche sind nicht so dehnbar wie Butyl-Schläuche. Daher ist es besonders wichtig, die zur Reifengröße passende Schlauchgröße zu verwenden.
- Während sich Butylschläuche ohne Luft auf die Ausgangsgröße zusammenziehen, behalten TPU-Schläuche die einmal erreichte Größe bei. In der Praxis bedeutet das: Wenn man zum Beispiel die Größe »21E« für die Reifengröße 54/62-684 in einem Reifen der Größe 62-684 verwendet, lässt sich der gleiche Aerothan-Schlauch nicht mehr in einem Reifen der Größe 54-584 verwenden. Also von breit zu schmäler geht nicht, allerdings von schmäler zu breiter ist möglich. Diese Eigenschaft kann einem eventuell auf die Füße fallen, wenn man auf einer Radreise nicht die gewünschte Reifengröße bekommt.
- Sensible Ventile – In unserer Praxis waren bisher die Ventile die Schwachstelle. Denn hier wird der klassische Ventileinsatz aus Metall in den TPU-Kunststoff eingeschraubt. Und speziell diese Verbindung ist bei weitem nicht so belastbar, wie das Ganzmetallventil in Butylschläuchen. Insbesondere die von uns bevorzugten Handpumpen mit aufgeschraubtem Verbindungsschlauch, können eventuell den Ventilsitz überlasten oder nicht dicht halten. Hier kann zwar eine Fixierung des Ventileinsatz mittels Loctite Abhilfe schaffen, aber alltagstauglich ist das nur sehr bedingt …


Dennoch werden wir es auf einen neuen Test ankommen lassen, denn für performante Alltags-, Touren- und Reiseradlern gibt es noch ein weiteres Argument für die Aerothan-Schläuche:
- Neuste Reifenentwicklungen wie z. B. der Schwalbe-Efficiency oder der Conti-Contact-Urban sind echte Leichtlaufwunder, die geradezu nach einem entsprechenden Schlauch-Pendant schreien, da es diese Reifen bis auf weiteres nicht in tubeless geben wird ;-)
Kommentare
Ich finde, dass an dieser Stelle einmal Anerkennung und Dank fällig sind, schließlich gibt es wohl keinen anderen Hersteller, der so umfassend über neue Komponenten informiert, wie Velotraum.
Was die Pannensicherheit anbelangt, bin ich etwas skeptisch, ob die Reifen nicht wesentlich entscheidender sind, denn ich denke, dass, wenn ein Fremdkörper einmal den Reifen durchdrungen hat, er den Schlauch früher oder später auch durchdringen wird, durch die unvermeidlichen kleinen Bewegungen beim fahren. Auf jeden Fall bin ich gespannt auf die Erfahrungen.
Auch von mir Dank und Anerkennung wer liefert einem sonst solche Informationen und so schöne Berichte mit wirklich schönen Fotos .
Liebe Grüße
Markus Hub
@Markus und Berthold: Danke für die Anerkennung und das Lob. Ich gebe zu: das tut gut. So ganz ohne Feedback überkommt mich schon ab und zu das Gefühl vor »leeren Rängen» zu schreiben ;-)
Ich schaue regelmäßig vorbei, poste aber recht selten.
Die Arbeit ist nicht umsonst, vielen Dank und wenn es dann mal wieder ein neues Velotraum wird, dann hat sich die Arbeit richtig gelohnt.
@stefan Ich kann mich Henning nur anschließen. Ich lese regelmäßig mit und nun freue ich mich auf die Erfahrungen mit diese Schläuchen, die ich auch schon in Betracht gezogen habe.
Auch ich kannn mich nur anschließen und schaue regelmäßig wegen den News und Tests vorbei. Danke und weiter so :-)
Liebes Velotraum-Team, Euer Beitrag zu den neuen TPU-Schläuchen von Schwalbe ist sehr wertvoll! Ich hatte sie gerade auf der VELOBERLIN am Schwalbe-Stand gesehen und schon in Betracht gezogen. Der Hinweis auf das Kunstoffventil als möglichen Schwachpunkt ist wichtig – ich werde jetzt erst einmal abwarten, was Euer Praxistest ergibt! Vielen Dank! By the way: Was ist eigentlich aus den Klapppedalen von Byschulz in Euerem Praxistest geworden? Gibt es da schon erste Eindrücke oder gar Ergebnisse? LG aus Berlin, Andree
@ Andree: Wir sind das Pedal gefahren, aber nur vergleichsweise kurz und können dazu nur sagen: es funktioniert. Ein echter Praxistest kam nicht zustanden, da wir entweder mit Klick-System fahren oder MTB-Flat-Pedalen und drauf will irgendwie keiner verzichten ;-)
Danke für eure Test,
für Reifen gibt es ja diese Übersicht. Kennt ihr auch wissenschaftliche Messungen zu den Schläuchen. Die unterschiede, gerade bei den Reifen, sind ja immens. Weil 12 Watt (Beispiel Schwalbe Supreme vs Marathon plus) sind dann schon als Bio-Biker am Ende des Tages bei längeren Touren mit Teer merkbar. Bei den Schläuchen habe ich kein Gefühl für den Effekt. Den Schwalbe Supreme und den Conti Contact Urban finde ich auch deswegen so gut, weil die nicht nur gut laufen, gute Haftung haben, aber auch einen nicht abrupten Übergang zum rutschen haben.
Grüße Stefan Mangold
@Stefan: Ich kenne keine aktuellen Messungen zu Schläuchen, aber ich erinnere mich an frühere Messungen von Schwalbe. Da wurden zwischen einem Standard- und Extraleichtschlauch so 1-2 Watt Unterschied gemessen, da einfach weniger Material verformt werden musste (weniger Walkwiderstand). Die TPU-Schläuche werden da sogar noch ein Muggeseggele besser sein ;-)
Ich finde leider das Video nicht mehr, aber ich meines es war der “GCN Tech” Kanal auf YouTube, die versuchten (mittels Silikon?) die Reibung zwischen Mantel und Butyl-Schlauch zu reduzieren, um so mit einer Art “Schlauch-Tuning” schneller zu rollen; Das Vorher/Nachher-Ergebnis auf dem Prüfstand war allerdings eine unerwartete Zunahme der Verluste durch das Herabsetzen der Reibung (!). Mein Interpretations-Versuch: Bei ausreichendem Reifendruck und nicht zu holprigem Untergrund geht ein Butyl-Schlauch eventuell gar eine kraftschlüssige Verbindung mit dem Mantel ein, und ein Herabsetzen des Kontakts sorgt u.U. erst für Bewegung und Verlust. Eine klare Antwort für alle wird es m.E. so leider nicht geben, da ist wohl der Selbsttest gefragt…
Und “weniger Gewicht” ist auch nicht so einfach zu bewerten, denn: Schwungmasse kann je nach Gelände/Strecke und Fahrweise sogar förderlich sein; Hier zeigen kürzliche Tests des deutschen GMBN Kanals keinen pauschalen, nennenswerten Unterschied zwischen schwerem und leichtem Systemgewicht (okay, die Jungs von jenem Kanal fahren aber auch eher in üblem Gelände bergab…). Ich für mich finde allerdings ein möglichst leichtes Laufrad einfach angenehm zu fahren, und werde mir vermutlich alleine unter diesem Aspekt meinen nächsten Schlauch in TPU-Variante kaufen…
Es gibt schon erstaunliche Unterschiede von Reifen zu Reifen, ohne dass das Innenleben (Schlauch – schlauchlos) ein anderes wäre.
Als mein Onza Natrix irgendwann fertig waren, wurden nochmal die alten Kojaks rausgeholt und aufgetragen. So richtig gut fühlte sich das nicht mehr an. Das Gummi wird mit der Zeit härter und insbesondere mit geringerem Luftdruck spürt man das. Über die Seite https://www.bicyclerollingresistance.com/ bin ich auf den Conti Contact Urban gestossen und das Fahrgefühl entspricht tatsächlich den sehr guten Werten. Der Reifen “fluppt” sauber in die Felge und bedarf keinerlei Justage. Besonders überraschend fand ich, dass die Haftung bei Nässe alle bisherigen Reifen übertrifft. Wenn man täglichg die gleiche Strecke pendelt, hat man ein gutes Gefühl dafür, wie das Rad an welcher Stelle, bei welchem Wetter reagiert. Leider wird die Liefersituation für 26” immer schlechter – ich sollte hier gar keine Werbung machen.
Zuletzt habe ich unser Tandem auf den Contact Urban umgerüstet, selbst da ein wirklich spürbarer Unterschied zum Vorgänger Marathone Supreme – was selbst die Stokerin bestätigt ;-)
Im Inneren habe ich grundsätzlich die leichtesten Schwalbe-Schläuche. Die wenigen Pannen verteilen sich auf Fehler bei der Montage (kommt vor), eine Zeit lang Ärger mit dem Felgenband (selbstklebend, mittlerweile auf High-Pressure gewechselt) und der Rest ist klassisch.
Solange ich meinem 23 Jahre alten 26-Zöller treu bleibe, kann ich bei Innovationen wie TPU nur interessiert mitlesen …