Für Reiseräder mit Rennlenker gibt es inzwischen faszinierende Lösungen, die dem Rennrad-Niveau wenig bzw. in nichts nachstehen.
Doch ausgerechnet bei der Kettenschaltung – über viele Jahre die Standardtechnik bei Reiserädern mit Rennlenker – gibt es mehr und mehr Einschränkungen.
So wird es beispielsweise immer schwieriger oder sogar unmöglich, eine wirklich Gepäck- und Pässe-taugliche Entfaltung zu realisieren. Die sollte sich für einen Randonneur idealerweise zwischen 1,50 und 8,50 Meter bewegen, also um die 570 Prozent Übersetzungsbandbreite bieten. Zur Orientierung: Rohloff bietet 520 Prozent und bei der GRX mit 2×11 sind maximal 474 Prozent möglich.
GRX-Tuning von 474 auf 585 Prozent
Bis jetzt boten wir für diese Anforderungen den Speedster SP1 mit einer 3×10-Kettenschaltung an, die einem Übersetzungsbereich bis zu 571 Prozent ermöglichte (vorne 48/36/26, hinten 11-34 Zähne). Zwar war bei dieser Lösung keine hydraulische Scheibenbremse möglich, aber was nützt die beste Bremse, wenn man den Berg erst gar nicht hoch kommt … Leider hat Shimano die Produktion jenes 105-Umwerfers eingestellt, mit dem man die weiter außen liegende Trekkingrad-Kurbel schalten konnte.
Vier Übersetzungsbeispiele
Jetzt kommt Veloträumer Moritz Pfrengle ins Spiel. Ihm war aufgefallen, dass die Kettenkäfige des GRX- und XT-Schaltwerks die gleiche Aufnahme aufweisen. Wichtig, wir reden hierbei vom GRX RD-812-Schaltwerk, das in Kombination mit einem Einfach-Kettenblatt (1×11) bis zu 42 Zähne schaltet. Die Idee war nun, das GRX-Schaltwerk mit dem längeren XT-Schaltkäfig (RD-M8000) auszustatten und somit die Gesamtkapazität zu erhöhen.
Gesagt, getan – Sowohl im Montage-Ständer wie auch bei der Probefahrt lässt sich die GRX mit nun 585 Prozent Übersetzungsbereich problemlos schalten, sogar klein/klein und groß/groß sind möglich, wenn auch nicht zu empfehlen. Noch etwas besser wird es mit der 11-40-Kassette. Soweit so gut, wäre da nicht die Produkthaftung. Denn, durch diesen Eingriff sind wir nicht nur Fahrradhersteller, sondern auch noch Komponenten-Hersteller mit allem was haftungs- und absicherungstechisch so dazugehört. Dabei liegt es auf der Hand, dass uns weder Shimano eine Freigabe für diese Lösung erteilen kann, noch dass wir diese Kombi durch alle (rechtlich) notwendigen Tests schicken können.
Wir stehen also vor der schwierigen Entscheidung, ob wir dieses zusätzliche Risiko und Wagnis eingehen können und wollen. Denn eigentlich wäre diese Lösung ebenso ideal wie zeitgemäß, und wir sind uns sicher, dass wir damit vielen Reiseradlern aus der Seele sprechen. Nüchtern und vernünftig betrachtet sollten wir die Finger davon lassen. Freilich, wären wir immer vernünftig gewesen, gäb’s Velotraum nicht – die Balance macht’s …
Ihr seht also liebe Velotraum-Freunde, wir stecken da in einer kleinen Zwickmühle und müssen noch ein wenig darüber hirnen. Ach ja, von Shimano ist – so zumindest der Importeur – keine Entwicklung in diese Richtung zu erwarten.
Velotraum – Preis/Leistungsempfehlung
Beim Lesen der aktuellen RADtouren mussten wir ganz schön schmunzeln, haben wir doch glatt den Preis-Leistungstipp erhalten. Nun gut, anhand des Testfelds relativiert sich die Auszeichnung etwas, denn das Gros der Mitbewerber liegt zwischen 4.500 und 7.000 EUR.
Da wir – für unsere Abläufe – sehr kurzfristig ins Testfeld gerutscht sind, kamen wir erst gar nicht in die Versuchung, einen ähnlich aufgerüsteten Randonneur (Speedster SP1 mit VT400-Stahlrahmen) ins Rennen zu schicken. Vielmehr musste ein am wenigsten benötigtes Ausstellungsrad die Velotraum-Flagge hochhalten, auch wenn wir um die Bewertungskriterien der RADtouren wissen (je hochwertiger die Ausstattung desto höher die Punktzahl). Damit hat es zwar nicht zu einer vermeintlichen Spitzenbewertung gereicht, doch wir freuen uns über diese eher ungewöhnliche Auszeichnung, denn nach wie vor umfasst unser Marken-Selbstverständnis auch das hochwertige Fahrrad mit pekuniärer Bodenhaftung ;-)
Kommentare
GRX-Tuning: Klingt perfekt! Die Produkthaftung wäre mir persönlich da egal – man könnte ja als Kunde bei dieser Spezialauswahl einen Zettel unterschreiben, dass man das auf eigenes Risiko macht, ohne Produkthaftung. Oder man kauft das Rad normal mit der GRX und tauscht den Schaltkäfig selbst aus. Gibt’s den Schaltkäfig der XT eigentlich separat als Ersatzteil zu kaufen? Sonst muss man eben ein neues XT Schaltwerk ausschlachten – Reserve-Pulleys inklusive.
GRX-Hacks gibt es ja nun schon so einige, die mal mehr mal weniger „safe“ sind. O.g. Dürfte zu den sichersten gehören, da das 1fach-GRX-Schaltwerk sauber unter die Kassette kommt und die Kapazität mit dem neuen Käfig erweitert wird.
Manche sagen, dass das 2fach Schaltwerk eh schon eine 40er Kassette bewältigen kann. Scheint aber vom Schaltauge abhängig zu sein. Alternativ kann man den Goatlink (nicht Roadlink) benutzen. Das 1fach Schaltwerk kann wohl auch ohne Käfigtuning hinten 11-42 und vorne 46/30 bei manchen schalten.
Auch gut: eine Kassette von SRAM mit 10-42. Braucht halt entsprechenden Freilauf.
Ich selbst bin immernoch bei 46/30 und 11-34 und komme damit klar. Wenn die Kassette komplett durch ist, probier ich mal ne 11-36 von SRAM und gut ist.
@Ulrich: Die Kettenleitbleche gibt es tatsächlich relativ günstig im Fachhandel, ich nenne jetzt mal nicht die Firma. Ob die Pulleys gleich sind, weiss ich allerdings nicht. Beim 2fach-GRX-Schaltwerk ist zumindest das untere grösser.
Die Zettel dass man als Kunde die Haftung abgibt sind leider nicht das Papier wert auf dem sie geschrieben sind.
Vor Gericht wird der Fachhändler so betrachtet dass er es im Zweifel besser weiß als der Kunde, also einen Haftungsausschluss nicht erteilen kann.
Das ist zwar schmeichelhaft heißt aber gleichzeitig dass solche Modifikationen vom Kunden privat durchgeführt werden müssen, der Händler stürzt sich Kopf voran in den weit offenen Schlund der Versicherung™️.
Wie die Lage beim Austausch von Schaltwerkskäfigen ist kann ich nicht beurteilen, das klassische Beispiel ist der Kunde der “nur einen Platten” repariert haben will, “ja dass die Bremsen nicht funktionieren weiß ich, macht die aber nicht ich unterschreib euch auch was”. Dieses Szenario wird zerfleischt vor Gericht, dementsprechend wird einem eingedrillt das nicht zu tun.
Ich dachte, das grx rd-rx812 Schaltwerk müsste doch auch gehen, oder?
Gem. Beschrieb ist das Schaltwerk kompatibel mit den 40 bzw. 42er MTB Kassetten …
s.
https://bike.shimano.com/en-US/product/component/grx-11-speed/RD-RX812.html
@dav: ketzt kommen vorne halt noch 16 Zähne Differenz dazu (2×11), die müssen auch noch wohin ;-)
oops, Du hast recht!
Hier habe ich eine aktuelle Ultegra Di2 11 fach mit langem Käfig, vorne 50/34 und hinten 40-11. Sprünge sind zum Teil etwas gross, aber schalten funktioniert einwandfrei. Hoffe es bleibt so.
Ok, und wer testet mit obigem Aufbau die 11-46 Kassette und steigert die Übersetzung auf unglaubliche 641% ??? Bin ich eigentlich der einzige, dem der schnellste Gang nicht taugt, weil alles über 40 km/h nix mehr für meine Nerven ist?
@Achim: Hast Du fuer Dein Ultegra-Tuning den gleichen Trick benutzt wie im Artikel oben, d.h. mit Schaltkäfig von der XT? Musstest Du die Schraube, die den Abstand Schaltwerk-Kassette reguliert, ziemlich an den Anschlag drehen? Kannst Du vielleicht noch mehr von Deiner Erfahrung schreiben? Das klingt sehr interessant, z.B. auch wegen des besseren Q-Faktors der Ultegra.
@Ulrich: Ich habe mich erstmal im Internet schlau gemacht und auch die entsprechenden Shimano Tabellen studiert. Schließlich habe ich mich auf einen grösseren Umbau gefasst gemacht.
Gekauft habe ich mir eine Sram 11fach shimanokompatible 36-11 Kassette und eine Shimano 40-11 11fach.
Meine Ultegra Di2 hat den langen Käfig und zu meiner freudigen Überraschung hat die 40-11 Kombination auf Anhieb, ohne irgendwelche weiteren Umbauten, sofort funktioniert. Übrigens besser als die 36-11 Kassette.
Glück gehabt. :-)) Ansonsten müsste man wahrscheinlich einen längeren XT Käfig einbauen oder gleich ein 11 fach XT DI2 Schaltwerk.
Die Schraube, die den Abstand reguliert musste neue eingestellt werden. Ist aber nict am Anschlag, da ist noch Luft.
Ich habe auch eine Ultegra mit 50/34 vorne und hinten 11-40.
Dazu habe ich einen Adapter namens Road-Link zwischen Ausfallende und Schaltung eingebaut.
Funktioniert seit fast 10.000 km einwandfrei – jedoch kann man vom großen Blatt vorne nicht alle Ritzel hinten schalten – sollte man aber sowieso nicht
Eine andere Alternative für leichtere Gänge ist eine Kurbel mit kleineren Kettenblättern. Nach langer Suche habe ich bei mir eine White Industries R30 VBC mit 38 / 26 Blättern verbaut, hinten 11-34, mit den normalen GRX Umwerfer/Schaltwerk auf 800 Niveau. Umwerfer ist ein paar mm zu hoch montiert (sonst wirds mit der Kettenstrebe knapp), aber funktioniert wunderbar.
Ich fahre mit recht hoher Trittfrequenz, und bin mit den 46+ Kettenblättern leider nie warm geworden. Weiterer Vorteil dieser Lösung, die Kette läuft (im bei mir persönlich meistbenutzen Bereich, vorne 38, hinten ca 3. kleinstes Ritzel) sehr gerade – so leise war noch nie ein Rad bei mir, absolut herrlich :-)
Ich kann den Ausführungen von René nur zustimmen. Ich habe an meinem Speester eine Sugino XD3 Kurbel (eigentlich eine Dreifachkurbel) mit 2 Kettenblättern (26-42) in Kombination mit einer 11-36er Kassette (Sram PG 1170) und der 105er Shimano Schaltgruppe verbaut. Diese Kombination lauft seit ca. 7500 km ohne Probleme. Für mich die absolut perfekte Kombination, wenn man nicht auf Highspeed auf der Straße aus ist und gerne im Gelände (evtl. auch mit Gepäck) unterwegs ist.
Ich kann bestätigen, dass die GRX-810 mit 42-11 hinten, vorne 2 × 11 mit 46/30 problemlos schaltet. Die B-Schraube ist zwar am Anschlag, aber der Winkel Schraube/Platte ist noch im grünen Bereich. Je nach Rahmen braucht’s evtl. noch ein Goatlink (im vorliegenden Fall funktionierte alles mit Standardkomponenten). Lediglich die Kettenlänge musste an die neuen Begebenheiten angepasst werden (im Internet kursieren zwar Videos von Umbauten mit der originalen Kette für 34-11, sieht aber zum fürchten aus) …
…und wer noch das letzte Quäntchen heraus holen will… von TA Specialites gibt es jetzt auch 2-Fach-Kettenblätter für die GRX. Damit lässt sich vorne eine 44/28 ohne viel Experimente machen. Und das sogar noch zu einem moderaten Preis. Ich hab es noch nicht getestet, habe mich aber schon gewundert, dass es so lange gedauert hat. Zusammen mit einer 11-40 Kassette gibt es eigentlich nichts mehr zu wollen…ausser vielleicht ein 42er Kettenblatt für 2fach vielleicht ;-)
@ Rainer: danke, dass ist wirklich ein interessanter Hinweis. Insbesondere, da zumindest ich solche Traditionsmarken – noch dazu aus Frankreich – etwas aus den Augen verloren habe.
Den Umbau habe ich auch schon hinter mir. Ich frage mich aber gerade, ob das neue 1×12 GRX SGS Schaltwerk dem Umbau ersparen kann. Dann hätte das 12-fach-Zeug schonmal was Gutes :-)
@Rainer: ich habe mir die TA Kettenblätter 28/44 gekauft und kann sie empfehlen. Es gibt keine Einbußen beim Schaltvorgang. Nur der Preis, naja.
Als nun pensionierter Weltenbummler möchte ich noch meine altmodische Konfiguration präsentieren, eine Lösung, welche mich inkl. schwerer Ladung die letzten 10 Jahre über alle Berge gebracht hat: Deore M590 9-Speed 22/36/46Z (modifiziert von 26/36/48) und 11-34 (anfänglich 11-32).
Nach 19 Jahren und etwas mehr als 90’000km mit Velotraum steht ein Recycling an, der Rahmen bleibt (aber neue Farbe), alles andere wird ausgetauscht. Bis zum heutigen Tag haben die LX V-Brakes, 3×9 LX Bremsschalthebel, XT-Umwerfer und XT-Wechsel gehalten. Sie würden auch noch weiter halten. Aber irgendwie brauche ich leichtes Face Lifting. :-) Dreifach wird aber bleiben.
Ganz oben heißt es, dass das Tuning beim GRX RD-812 Schaltwerk funktionietrt.
Ich habe das GRX FD RX 812…was ist da nun der Unterschied, bzw geht es damit auch?
@Guido: »FD« bezeichnet den Umwerfer und ein Schaltwerk mit der Bezeichnung GRX-FD… gibt es meines Wissens nicht.