Gefederte Vorbauten sind nichts Neues. Die letzten 30 Jahre sind immer wieder Lösungen aufgetaucht und verschwunden ;-)

Ein ähnliches Schicksal teilten auch viele gefederte Sattelstützen, wobei sich die technisch überzeugenden Lösungen inzwischen etabliert haben. Genau das könnte dem Vecnum »FreeQENCE« auch gelingen.
Federung am Fahrrad – ein weites Feld
Das Bestreben, den Fahrer vom Untergrund zu entkoppeln, ist so alt wie das Fahrrad selbst. Speziell bei universell genutzten Fahrrädern ist es aber alles andere als trivial, eine dafür passende und angemessene Lösung zu finden. Hinzu kommt, dass die individuellen Erwartungen und Anforderungen an eine Federung ziemlich unterschiedlich sein können, selbst bei vergleichbarem Einsatzbereich.
Auch Modeerscheinungen und technische Entwicklungen spielen immer wieder eine Rolle. Als »Riese & Müller« vor 25 Jahren ihre vollgefederten City- und Tourenräder auf den Markt brachten, wurde kurz danach das Ende des ungefederten Drahtesels prognostiziert … Kurioserweise ist das völlige Gegenteil eingetreten: Das (voll)gefederte Gebrauchsrad wurde zum Auslaufmodell, bis das E-Bike – respektive Pedelec – die Vorzeichen wieder änderte. Inzwischen ist das Gros der E-Bikes mit einer Federgabel ausgestattet, egal ob der Kunde das nun braucht oder möchte. Und auch die Vollfederung gehört zum 35 Kilogramm schweren SUV-Pedelec wie ganz selbstverständlich dazu.
Mit »passiven« Federungselementen, die zwischen Fahrer und Fahrrad platziert werden, gibt es aber durchaus eine smarte Alternative. Denen haftet zwar noch der Makel der Verlegenheitslösung an, da nur der Fahrer und nicht Fahrzeug und Fahrer gefedert sind. Frei nach dem Motto: Wer würde schon an seinem Auto oder Motorrad einen Schwingsitz à la Traktor akzeptieren. Freilich hinkt diese Eins-zu-eins-Übertragung aufs Fahrrad gewaltig. Denn allein die geringe Fahrzeugmasse, die verhältnismäßig hohe Zuladung und die durch den Fahrer verursachten Lastwechselreaktion (z. B. Wiegetritt) machen einen grundlegenden Unterschied.
Starr oder gefedert – die Qual der Wahl
Während bei den meisten Fahrradmodellen der »Federungsgrad« unabänderlich vorgeben ist, kann der Kunde bei Velotraum selbst entscheiden, in welchem Umfang und in welcher Form der Federungskomfort mittels Reifenbreite, Gabel und Sattelstütze gewünscht ist. Während die Reifenbreite und die Sattelstütze auch zu einem späteren Zeitpunkt leicht zu ändern sind, ist die Entscheidung hinsichtlich der Gabel (starr oder gefedert) und der Fahrradwelt (nur Finder und Pedelec sind für Federgabel ausgelegt) mehr oder weniger endgültig. Zu allem Überfluss lässt sich bei der Beratung nicht immer eindeutig herausarbeiten, ob nun die gefederte oder starre die Gabel das Richtige ist. Denn meist wird das Komfort-Potential der Federgabel nur auf einem Bruchteil der Strecken benötigt. Hinzu kommt, dass man an einer Federgabel keine Packtaschen anbringen kann und die Fahreigenschaften weniger definiert sind. Ebenfalls nicht von der Hand zu weisen: Mit starrer in Rahmenfarbe lackierter Starrgabel, sieht der E-Finder noch schicker aus ;-)
Vecnum FreeQENCE aus dem Allgäu
Für eine solche Sowohl-als-auch-Gemengelage kann ein gefederter Vorbau die ideale Lösung sein – allerdings nur bei entsprechender Funktionalität. Während Sattelstützen von »bySchulz« und »Cane Creek» inzwischen eine bewährte Alternative zum gefederten Hinterbau sind, fehlt ein solches Pendant für vorne, also für die Federgabel. Wie Eingangs bereits erwähnt, haben wir da schon das eine oder andere ausprobiert – Lenker wie Vorbauten –, mit durchweg unbefriedigenden Ergebnissen. Daher war ich auch etwas skeptisch, als Vecnum uns einen Vorbau zum Testen schicken wollte. Doch bereits im Gespräch mit den Allgäuern wurde deutlich, dass die Leute dort wissen, was sie tun, und ein paar Tage später war das schwarze Prachtstück da.
Da ich beim Ausprobieren einen ähnlichen schnellen Gewöhnungseffekt wie bei der Verwendung von gefederten Sattelstützen erwartete, bin ich im Wechsel mit dem Vecnum einen starren Vorbau von »Ritchey« und einen gefederten Vorbau von »Redshift« gefahren.




Im direkten Vergleich wird dabei schnell klar, dass der Komfortgewinn durch den Vecnum-Vorbau deutlich und in jeder Situation spürbar ist, selbst bei einem E-Finder mit 65-584-Bereifung. Und selbst im direkten Vergleich mit dem ebenfalls gefederten Redshift ist der Vecnum ein Klasse für sich. Dabei ist der Komfortgewinn im Verbindung mit einem B-Plus-Rad wie dem Finder nicht spektakulär, dafür allgegenwärtig. Speziell bei längeren Touren auf Forstwegen bzw. Waldpfaden ist ein deutlich entspannteres Fahren möglich, und selbst auf Wurzelpfaden spürt man noch einen positiven Effekt: Man hat mehr Kontrolle und wird einfach spürbar weniger durchgeschüttelt.
Und wie verhält sich das Ding beim Wiegetritt? Da hatte ich mit dem üblichen Wegtauchen und Verwinden eines gefederten Vorbaus gerechnet. Doch Wunder über Wunder: das minimale Wegtauchen ist fast nicht spürbar und der Vorbau ist extrem steif, auch wenn 100 ±X Kilo dran wuchten. Ein ähnliches positives Verhalten zeigt der Freeqence beim kräftigen Bremsen. Auch hier macht sich – analog zur gefederten Sattelstütze – das überlegene, aber auch aufwändige Parallelogramm-Prinzip bemerkbar. Dennoch der unmissverständliche Hinweis: Den Federkomfort einer soliden Federgabel mit 100 Millimeter Federweg erreicht der Freeqence nicht! Das ist schon allein physikalisch völlig unmöglich.
Doch für alle, die sich hinsichtlich der Frontfederung zwischen Baum und Borke bewegen, ist der Freeqence eine spannende Sache mit folgenden Vorteilen:
- lässt sich technisch problemlos in fast jedes Fahrrad mit 1 1/8-Gabelschaft nachrüsten
- ermöglicht den gezielt-selektiven Einsatz wie zum Beispiel nur für die Radreise oder nur für den Alltag
- kann in verschiedenen Fahrrädern verwendet werden
- ist die perfekte Ergänzung zur gefederten Sattelstütze
- es gibt keine Einschränkungen beim Fahrstil (Wiegetritt)
- der Vorbau ist deutlich leichter und wartungsärmer als eine Federgabel
- vorne sind weiterhin Lowrider und Packtaschen möglich
- sympathisches, junges Unternehmen ;-)
Bei soviel Licht gibt es aber auch Schatten. Neben dem hohen, wenngleich berechtigten Preis von 300 EUR sind das vor allem die wenigen Längen: 90, 105, 120 Millimeter. Das ist bauartbedingt, denn ein leistungsfähiges Parrallelogramm benötigt einfach Platz. Somit sind Abstriche hinsichtlich der gewohnten Sitzposition sehr wahrscheinlich. Immerhin können wir unseren Kunden nach der Fahrradanpassung genau sagen, ob der Freeqence von der Passform im Bereich des Möglichen liegt. Weniger gravierend sind so Aspekte wie das Anbringen von Smartphone oder Tacho auf dem Vorbau oder einer klassischen Lenkertasche. Für Letzteres hat Ortlieb eventuell demnächst – Februar 2023 – eine smarte Lösung. Geschmacksache ist sicherlich die markante Optik, die auch als klobig empfunden werden kann.
Resümee – Insgesamt bin ich um die 300 Kilometer mit dem Vorbau gefahren und muss sagen, an das Ding kann man sich gewöhnen (auch optisch). Wie die gefederte Sattelstütze wird er zum unauffälligen, aber allgegenwärtigen Wegbegleiter, den man nicht mehr missen möchte. Beim SPEEDSTER oder KONZEPT ist der Komfortgewinn sicherlich noch spürbarer, da die schmäleren Reifen einfach »härter« sind. Summa summarum können wir uns zukünftig gut vorstellen, den Freeqence in unsere Wahlmöglichkeiten aufzunehmen.
Dazu liebe Leser würden wir natürlich gerne auch noch Eure Meinung* hören.
(*) Nachtrag am 27.09.2022: Die Kunden dezidiert nach ihrer Meinung fragen und dann die Kommentarfunktion versehentlich deaktivieren – mea culpa, ein typischer Vorurlaubsstress-Fehler. Aber der Urlaub ist bereits Geschichte und die Kommentarfunktion ist nun aktiviert ;-)
Kommentare
Also ich finde das eine gute Angebotserweiterung und würde es mir bei Neukauf eines KONZEPT-Rads auch zulegen.“Leider” funktioniert mein 12 Jahre altes Velotraum noch tadellos (-:
RADLERgrüsse,jörg
Für mein altes Velotraum genau das richtige, wenn meine alte Magura Viddar ihren Geist aufgibt. Aber diese alten Stahlfedergabeln sind zäh.
Im Reiseradeinsatz mit viel Gepäck mache ich Starrgabel und Lowrider rein, da wäre es auch sinnvoll.
Für die kürzeren Reisen in den Alpen mit nur zwei Gepäcktaschen und dafür alpine Pisten und Pfade brauche ich aber eine richtige Federgabel. Dafür muss dann wohl ein Finder her oder ein neues Konzept, sofern das wieder für Federgabeln tauglich wird (das hatten Sie doch auch mal angestrebt, wenn ich mich recht erinnere?).
Coole Sache sowohl für (E-)Finder mit Starrgabel und Bikepacking-Gedöns als auch für Konzept und Speedster! Hatte bereits Nachfrage von Kunden bei uns im Laden. Den eeSilk Stem von Cane Creek konntet ihr noch nicht testen?
@ Matthias: Den Cane-Creek-Vorbau haben wir noch nicht getestet. Allerdings glauben wir, dass er die gleichen »Eingelenk-Eigenschaften« wie der Redshift hat. Sprich, der Vorbau reagiert sehr stark auf Lastwechesel und die Federung wird zudem stark durch die gewählte Länge beeinflusst (Hebelarm).
Hallo Stefan, ich bin bei der Zusammenstellung eines Konzept-Rades auf diese Federung aufmerksam geworden und habe inzwischen mein altes starres Rad sowohl mit einem Vecnum-Vorbau, als auch mit einer by.Schultz LT Sattelstütze ausgerüstet. Ich bin total begeistert. Wir haben hier unglaublich schlecht gemachte Fahrradwege, die mich bisher immer durchgeschüttelt haben. Das war irgendwie normal für mich. Von Federgabeln und Teleskop-Sattelsützen halte ich nämlich gar nichts. Aber zum ersten Mal hat mich ein Federsystem überzeugt. Ich gleite gefühlt nur noch so dahin. An meinem zukünftigen Konzept-Rad werde ich das Ganze dann mal mit den jetzt angeschafften Bauteilen testen. Ich bin gespannt, ob dies trotz der voluminösen Reifen trotzdem noch viel bringt.
Herzlichen Dank für diesen guten und bebilderten Testbericht! Er hat mich inspiriert, mir weitere Testberichte anzuschauen und mich schließlich auch zu einer Kaufentscheidung für das Allgäuer-Modell von Vecnum geführt. Ich muss allerdings „gestehen“, dass ich zur „Stahl-Fraktion“ gehöre und seit 3 Wochen stolzer Besitzer eines Patria Ranger Hybrid. Sorry, liebe Veloträumer – ich finde Eure Modelle und Euer Konzept aber auch immer sehr inspirierend! Den freeQUENCE habe ich nun an meinem Speedlifter Twist der Firma by Schulz montiert. Ein KlickFix-adapter und die Shimano Displayhalterung passen gerade noch und haargenau. Bislang bin ich von dem Mehrwert an Federung SEHR zufrieden! Danke Velotraum und Vecnum! Gruss aus Neustadt am Rübenberge
Ich habe mir inzwischen so ein Teil zugelegt und bin damit eine Woche täglich zur Arbeit gefahren. Auf meinem Weg gibt einige Wege mit grobem Schotter oder sind stark ausgewachsen. Auch kleines Stück mit altem ausgebrochen Asphalt ist darunter. Trotz breiter Reifen ist es bei zügiger Fahrt eine hohe Belastung für die Handgelenke. Ich bin positiv überrascht, wie gut die harten Schläge gedämpft werden. Es ist sicher kein Vergleich zur Federgabel. Aber aus meiner Sicht wird für dieses Einsatzzweck ein ausreichend guter Komfortgewinn erreicht. Das Rad ist sehr stabil. Es gibt kein Aufschaukeln im Wiegetritt. Skeptisch war ich bezüglich Quersteifigkeit. Aber das hat sich als unbegründet herausgestellt. Ich bin bis jetzt begeistert. Der hohe Preis rechnet sich da ich jeden Tag damit unterwegs bin und alles, was zur Reduzierung der Belastung dient, langfristig hilft.
Für mein Alltagsrad war eine Federgabel nie ein Thema da die Wartung bei den vielen Kilometer als Alltagsradler zu hoch wäre. Das gilt insbesondere die Belastung mit Tausalz im Winter für die Magnesiumteile.
Ich kann das Teil empfehlen für alle die ihrer Gesundheit (Handgelenke) etwas Gutes tun wollen