Seit Corona gibt es ein neues »Normal« in unserem Manufaktur-Alltag, dessen Skala sich von zermürbend bis skurril erstreckt.



Den aktuellen Beispielen aus unserem Alltag wollen wir aber eine wichtige Kernbotschaft vorwegschicken: Wir können (ziemlich) gut liefern.
Wir können (ziemlich) gut liefern
Nachdem nun die lange überfälligen VT-900 und FD-1300-Rahmen eingetroffen sind, verbessert sich unsere Lieferfähigkeit nochmals, insbesondere bei Rädern mit Rohloff und Pinion. Es zeichnen sich zwar für den Sommer die nächsten Engpässe (bei Shimano) ab, aber wer sich jetzt entscheidet, hat eine sehr gute Chance im Sommer ein neues Velotraum sein Eigen zu nennen.
Die Einschränkung »ziemlich« bezieht sich auf den Speedster, respektive die Shimano-GRX-Gruppe sowie den neuen SP400-Rahmen. Bei der GRX-Gruppe ist ein Ende der Engpässe nicht in Sicht, und von Shimano kommen »Meldungen« mit denen man entweder einen Comedy-Wettbewerb gewinnen kann bzw. – wenn man nicht aufpasst – im Burnout landet. Letzteres droht, wenn man weiß, dass zum Beispiel der Container mit GRX-Komponenten am 31. März in Hamburg angekommen ist, aber erst am 13. Mai entladen werden kann und dann nochmals ein bis zwei Wochen vergehen, bis die Teile bei uns eintreffen … Dass wir dennoch Speedster – wenn auch mit Verzögerung – liefern können grenzt an ein Wunder ;-)
Paletten-Hickhack
Vor nicht all zu langer Zeit haben sich Speditionen noch als Dienstleister verstanden und auch so verhalten. Inzwischen ist auch deren Geschäft unglaublich schwierig geworden und der Dienstleistungsgedanke bleibt dabei gerne mal auf der Strecke.
Speziell wenn es um die großen Rahmenlieferungen geht, benötigen wir jedoch ein Minimum an Planbarkeit. Daher erfragen wir mehrmals wöchentlich an verschiedenen Stellen den Status unserer Lieferung, denn eine verlässliche Avisierung findet häufig nicht mehr statt.
Und das ist ein Problem für uns, denn die zwei oder dreihundert Rahmen/Kartons müssen händisch in unser Rahmenlager in den ersten Stock getragen werden. Und viele Hände schnelles Ende trifft nur dann zu, wenn das ganze Velotraum-Team mit anpackt.
Richtig ärgerlich wird es, wenn das Schiff bereits in Rotterdam statt Hamburg entladen wird und die Ware unangekündigt zwei Tage früher kommt (haben wir noch per Zufall erfahren), der LKW dann zur falschen Lieferadresse fährt, schließlich um 18:00 statt 16:00 Uhr hier eintrudelt und die ganze Belegschaft zwei Stunden warten lässt. Zudem rangierte der völlig gestresste und nur polnisch sprechende Fahrer so ungeschickt, dass wir jeden Karton um den LKW herumtragen mussten. Um das Maß voll zu machen, weigerte sich der Fahrer nach dem Entladen auch noch die Tauschpaletten mitzunehmen, da half auch alles Bitten und gutes Zureden nichts. Darum durfte sich dann die Chefetage am nächsten Tag kümmern. Aber was soll’s – abhaken und Schwamm drüber.
Dafür ist unser Rahmenlager nun wieder gut gefüllt und die stichpunktartige Eingangskontrolle hat einmal mehr ergeben, dass die Verarbeitungsqualität und Maßhaltigkeit der Rahmen schlicht vorzüglich ist :-)
Rahmen auf »Kreuzfahrt«
Vor Corona waren die Containerschiffe auf ihrer tausende Kilometer langen Strecke pünktlicher als die Deutsche Bahn. Das ist Geschichte, dafür haben wir inzwischen eine gewisse Expertise in Sachen »Segellisten« erworben. Segel… was?! – Als Segellisten bezeichnet man ein Schiffsinformationssystem das Daten zu Schiffen wie Name, Standort und Fahrtdaten liefert.
Bisher hat uns das nicht die Bohne interessiert, schließlich waren die Schiffe nach fünf bis sechs Wochen in Hamburg – mehr gab es nicht zu wissen. Inzwischen sind die Laufzeiten nicht mehr kalkulierbar und dazu braucht es kein quer stehendes Schiff im Suezkanal. Zur Illustration haben wir mal die Informationen des 366-Meter-Dampfers abgebildet, auf dem sich zur Zeit unsere SP400-Rahmen »vergnügen«. Momentan irrlichtert das Schiff am Horn von Afrika umher und soll Ende Mai – normal wäre Mitte April – in Hamburg eintreffen. Wohlgemerkt soll … Für alle Kunden, die bereits sehnsüchtig auf ihren neuen Speedster mit SP400-Rahmen warten, haben wir nach den bereits vorangegangen Verzögerungen keinen wirklichen Trost mehr, allenfalls den Hinweis, dass wir uns bis zum Umfallen kümmern und andere Hersteller dieses Jahr überhaupt nicht (mehr) liefern können. Wir dürfen immerhin noch hoffen, frei nach Lale Anderson: »Ein Schiff wird kommen …« ;-/
Kommentare
Trotzdem ein schönes Lied. Gruß, Thomas
Zur Zeit von Lale Andersens Lied war ich gerade am Anfang der Pubertät, sehnte mich aber auch ebenso nach einem Fahrrad, weil Unabhängigkeit und Statussymbol. Nix gab´s. Alles unerreichbar. Probleme mit Komponenten, Rahmengeometrien oder Schaltungsphilosophien hatte ich nicht. Carbon, Alu, Magnesium in meinem damaligen Dasein schlicht nicht existent. Das Radfahren an sich war schön, wenn man eins hatte. Und nun ? Was erwartet uns, was erwarten wir? Besinnen wir uns und es geht irgendwie weiter, wetten wir?
Diese Probleme ergeben sich doch, weil die internationale Arbeitsteilung mit der Fertigung in Niedriglohnländern und den viel zu niedrigen Transportkosten (ökologisch gesehen) nicht mehr reibungslos funktioniert. Die Störungen durch Covid-19, die Extremsituation bei den Containerfrachtern mit dem chinesischen Lockdown und der drastische Anstieg der Energiekosten durch den brutale Angriffskrieg Russlands in der Ukraine sind offensichtlich und werden sich nicht mehr beseitigen lassen.
Ist es da nicht höchste Zeit, die Fertigung der Fahrradrahmen wieder nach Deutschland oder doch nach Europa (z. B. Portugal mit dem Bike-Valley) zurückzuholen?
Es ist ökologisch bedenklich, einen Fahrradrahmen 20000 km durch die Welt zu transportieren, um danach ein “schwäbisches Produkt” herzustellen.
Manche Produkte wird man immer importieren müssen, aber ein Fahrradrahmen sollte doch hier hergestellt werden können.
Um ein passendes Lied dazu vorzuschlagen, verweise ich auf: “Junge, komm bald wieder nach Haus”.
Falls das zu volkstümlich ist, sei auf den alten Song von Simon and Garfunkel verwiesen: “Homeward Bound”.
Mit freundlichen Grüßen
Heribert Bittner
@ Heribert: Der Globalisierung verdanken vor allem wir Deutschen einen Großteil unseres Wohlstands und es stimmt, den »Preis« dafür haben wir (der eine mehr, der andere weniger) meist verdrängt … Ob aber eine Deglobalisierung die richtige Antwort ist sei dahin gestellt, die Lösung wird sehr wahrscheinlich in der Mitte liegen, frei nach dem Maler Paul Cézanne: »Solange man kein Grau gemalt habe, sei man kein Maler.«
Für Velotraum selbst kann ich nur sagen, dass unsere Rahmen nicht in einem Niedriglohnland sondern in Taiwan einem Hightech-Land hergestellt werden, in dem die Züge pünktlich fahren und die Leute gutes Geld verdienen.
Warum sind wir dort? Weil wir dort im Moment die beste Qualität bekommen. Natürlich hätten wir nichts dagegen die gleiche Qualität in Europa fertigen zu lassen, ganz im Gegenteil. Aber speziell das angesprochene Portugiesische »Bicycle Valley« ist dazu im Moment noch nicht in der Lage und ist mehr ein Medienereignis. Zudem würde der LKW-Transport von Portugal nach Weil der Stadt einen größeren CO2-Abdruck erzeugen, als die Schiffsfracht aus Asien ;-)
Nichtsdestotrotz hast Du mit Deinem generellen Anliegen völlig recht: Weiter so, ist kein Option und auch in der Fahrradbranche werden hinter den Kulissen die Weichen neu gestellt :-)