Älter
Neuer
News

Auf der Velo-Route »3« durch die Schweiz

Auf historischen Transitwegen führt die Nord-Süd-Route des Veloland Schweiz von Basel über den Gotthard nach Chiasso.

Eigentlich stand ja die einsame Jura-Route – die »7« – noch weiter oben auf meiner Wunschliste, aber in der Reisewoche schickte ein atlantisches Tief mächtigen Wolkennachschub und da schien die Zentral- und Südschweiz etwas regenärmer.

Geht nicht, du spinnst – mehr als eine Radreise

Mit dieser einwöchigen Radreise erfüllten sich für mich gleich mehrere kleine und große Träume. Es war nicht nur die seit drei Jahren erste Radreise, auch diese häufig mit dem Auto zurückgelegte Strecke über den Gotthard, mit ihren historischen und kulturellen Dimensionen hat mich seit langem gereizt.

Der größte und zuletzt in weite Ferne gerückte Traum war jedoch, überhaupt wieder mit Sack und Pack los radeln zu können und sei es nur für eine Woche. In den letzten Jahren war immer etwas dazwischen gekommen. Mal der Velotraum-Neubau, dann der Umzug, ein eingeklemmter Nerv und diesen Winter drei Wochen Krankenhaus und vier Monate danach keine körperliche Belastung.

Und so war das Loskommen zu dieser Reise besonders schwierig, denn mindestens 10 Stellen im Körper und Kopf signalisierten: Geht nicht, du spinnst.

Tag 1 | Basel – Aarau 81 Km

Das wunderbare an den neun Schweizer Velo-Routen ist die perfekte Dokumentation und Infrastruktur. Ideal für Kurzentschlossene wie mich, die sich nicht mit Streckenauswahl und –suche belasten wollen und schon beim Verlassen des Bahnhofs in Basel stößt man an prominenter und unübersehbarer Stelle auf das erste Hinweisschild. Vor lauter Lampenfieber bin ich zwar doch in die falsche Richtung los geradelt, aber dagegen hilft auch die beste Ausschilderung nichts ;-)

Die ersten 30 Kilometer schleuste einen die »3« durch den Ballungsraum von Bern und Liestal und lässt einen hautnah erleben, dass die Schweiz in weiten Bereichen weniger ein Bergidyll, sondern ein hochentwickeltes und sehr wohlhabendes Industrieland ist. Dabei haben es die Schweizer zu einer gewissen Meisterhaft gebracht, den Wohlstand in eine Art von besonders wertigem und auf Qualität bedachtem Understatement zu verpacken.

Wie dicht städtische Agglomeration und Landleben aufeinander folgen, erlebe ich dann hinter Gelterkinden. In den verträumten Weilern ist die Kirschernte im Gange und die Zeit scheint auf den ersten Blick stehen geblieben zu sein. Sehr, sehr harte Realität sind jedoch die mit drei Steigungspfeilen versehenen Rampen zur Geissflue hinauf. Verdammt, was musste ich auch das schwere Schloss und vor allem die schwere Kamera mitschleppen, vom anderen »Ballast« ganz zu schweigen…. Gut, dass dies am ersten Tag die einzigen topografischen Herausforderungen bleiben. Am Etappenziel Aarau wird das eine Hotel gerade renoviert und das andere übersteigt mein Budget, aber schon ein paar Kilometer weiter werde ich fündig und genieße einen warmen Sommerabend in der Gartenwirtschaft.

Tag 2 | Aarau – Gersau 90 Km

Am nächsten Morgen sind die atlantischen Tiefausläufer angekommen, es schüttet wie aus Kübeln. C’est la vie – ich frühstücke einfach etwas länger. Um 10:00 regnet es nur noch und ich radle los um sogleich zu spüren, dass die 80 Kilometer vom Vortag 5 von 10 Wehwehchen verscheucht haben. Etwas eintönig – wahrscheinlich dem Grau-in-Grau-Wetter geschuldet – und sehr einsam geht es das weite Suhretal hinauf bis zum Sempachersee. Bei ungemütlichen 16° fällt der Sprung ins Wasser flach, höchstens mein Rad könnte eine Wäsche gebrauchen. Die letzten 10 Kilometer ging es über aufgeweichte, reifen-festsaugende und fahrrad-einsauende Schotterwege.

Luzern empfängt mich erstmal mit der überall gleich aussehenden, gesichtslosen Ballungsraum-Peripherie bevor man in die gute Stube rollt. Hier ist es sehr gediegen aber auch modern, schmuck und quirlig, was mich erst mal ganz benommen macht. Mische mich eine Weile unters bunte Touristenvolk, bis es mich wieder weiter zieht, auch der wieder dunkler werdende Himmel mahnt zur Weiterfahrt.

Bis nach Stans geht es nun zum Teil wunderschön und so gut wie verkehrsfrei am Vierwaldstättersee entlang. Zwar fährt man öfters hinter den vielen Seevillen – quasi in der »zweiten Reihe« – aber oft genug führt die Strecke direkt am kristallklaren Wasser entlang. Und auch an Stellen, an denen man aus der Ferne kein Durchkommen für Radfahrer vermuten würde, taucht wie von Zauberhand eine eigene Fahrspur für Radfahrer auf – Radreisen deluxe. Am Fähranleger angekommen, fängt es mal wieder an zu regnen, vor drei Jahren hatte ich hier Sonnenschein und über 30°… Aber dieser fjordartige See verzaubert mich auch bei diesem Wetter. Alles wirkt dann sehr gedämpft und sehr kontemplativ. In Gersau gönne ich mir ein Hotelzimmer in der »ersten Reihe« und genieße die Galavorstellung von See- und Bergkulisse und bin stolz und zufrieden bis hier her gekommen zu sein. Im Speisesaal läuft die Trauerfeier von »Jacko« dem King of Pop, draußen verschwindet die Sonne in einem Lichtspektakel hinter den Bergen.

Tag 3 | Gersau – Andermatt 62 Km

Es regnet zwar mal wieder am Morgen, aber der Frühstücksaal im Hotel »Seehof du lac« mit grandiosem Panoramablick lädt eh zum Verweilen und Weiterträumen ein.

Zwischen Brunnen und Flüelen fährt man meist direkt neben der stark befahrenen Bundesstraße, auch durch Tunnels und Galerien. Das ist zwar nicht gefährlich, aber bringt einen doch wieder auf den Boden der »motorisierten« Tatsachen. Willkommene Auszeiten vom Motorenlärm sind die kurzen Abschnitte auf der alten Trasse, hier hat man Ruhe und den See und die Berge für sich. Hinter Flüelen schieben sich die Berge immer dichter zusammen und auch die Routenführung der »3« wird immer abenteuerlicher bis es hinter Amsteg auf die alte Passstraße geht und der Anstieg zum Gotthard beginnt. Das Schild »steigt 1.560 m auf 34 km« lässt da keine Zweifel aufkommen.

Angesichts meines sehr mäßigen »Trainingszustands« hatte ich mir wohlweislich nur die ersten 1.000 Höhenmeter bis Andermatt vorgenommen und das war auch gut so. Mit dem Radfahrer-Mantra, atmen-treten-atmen-treten…, kämpfte ich mich die Steigungen hinauf. Bei aller Anstrengung zog ich jedoch innerlich den Hut vor jenen Menschen, die diesen Weg in früheren Zeiten begangen oder befahren hatten. Ohne glatten Asphalt und den vielen anderen Segnungen der heutigen Zeit. Ich zumindest fühlte mich auch im Jahre 2009 ziemlich klein und verletzlich, als ich mich durch dieses wilde, enge und eindrückliche Tal hinein und hinauf arbeitete.

Nicht minder beeindruckend sind die vielen Straßen- und Bahntrassen, die die Schweizer durch das enge Tal gelegt haben. Das hat zwar für den Radfahrer den Nachteil, dass man oft in Sicht-und Hörweite der Schnellstraße fährt, aber dafür sind die vielen Eindrücke und das Hochgefühl hier nicht mit Motor- sondern Beinkraft hinauf zu fahren mehr als ein Ausgleich.

In Andermatt hat die Enge und Anstrengung ein Ende. Das Hochtal ist weit und sonnig, ein beliebter Touristenausgangspunkt in die umliegende Bergwelt und ein gutes Etappenziel für einen müden und erlebnissatten Radler.

Tag 4 | Andermatt – Roveredo 112 Km

Es ist zünftig kalt als ich früh am Morgen aus Andermatt hinaus rolle und es scheint die Sonne! Direkt nach Hospental beginnt die Steigung hinauf zum Pass. So früh am Morgen ist noch wenig Verkehr und gut erholt vom gestrigen Tag ist es wirklich ein Genuss, die 600 Höhenmeter zur Passhöhe hinauf zu kurbeln.

Vielleicht zuviel Genuss, denn als vier Kilometer vor der Passhöhe die historische, gepflasterte Passstrasse beginnt, kann ich nicht widerstehen. Zwar wird auch diese Straße von den Schweizern perfekt in Schuss gehalten, rollt aber doch spürbar schlechter und die letzten 4 Kilometer werden länger als gedacht… Die Passhöhe selbst ist nicht sehr schön, aber das Gefühl wieder mit dem Fahrrad auf einer großen Passhöhe zu stehen, ist dennoch für eine Gänsehaut gut, und es fällt mir nicht schwer den ganzen Zirkus um mich herum auszublenden. Besichtige noch die Festung (schaurig), mache ein paar Fotos vom Treiben auf der Passhöhe und hinunter geht’s nach Airolo. Auch hier nehme ich die wunderschöne alte gepflasterte Straße, auch wenn ich es nicht so laufen lassen kann ;-)

Scheinbar unendlich geht es hinunter und wie so oft bei Abfahrten geht mir durch den Kopf, »Wahnsinn, das Gleiche bist Du auf der anderen Seite hochgefahren«. Nach Airolo lasse ich mich treiben, genieße die Wärme, den südlichen Flair und die ruhige Straße. Im hektischen und leider völlig ausgebuchten Bellinzona fasse ich spontan den Entschluss nicht bis Chiasso zu fahren, sondern – der Passvirus hat mich wohl wieder erwischt – auf die Route »6« umzuschwenken. Also wieder nach Norden über den San Bernardino. Es ist zwar etwas mühsam den Abzweig auf die »6« zu finden, aber nach ein paar mal Verfahren holpere ich auf übelsten Wegen bis nach Roveredo, wo ich in der netten Albergo »Santana« das letzte Zimmer bekomme und ein feines Abendessen :-)

Tag 5 | Roveredo – Chur 113 Km

Morgens zum Frühstück sind schon alle anderen Gäste abgereist und ich habe das Haus und den Frühstücksraum und die Kaffeemaschine für mich allein – mal was ganz anderes.

Mit geschätzten 2 Liter Milchkaffee im Bauch rolle ich erstmal gemütlich das beschauliche Valle Mescoliina hinauf. Mein Tagesziel ist das 1.300 Meter höher gelegene S.Bernardino, den Sprung über den Passo del S. Berardino möchte ich erst am nächsten Tag machen. Bis Mesocco geht es schon richtig giftig hinauf. – Sapperlot, irgendwie schienen die gefühlten und gefahrenen Höhenmeter heute nicht so richtig zusammen zu passen. Aber das schöne Wetter, der wenige Verkehr, die gute Straße und die prachtvolle Bergkulisse machen die Plagerei erträglich und ich wollte es schließlich auch nicht anders: atmen, treten, atmen, treten…

Nach einer längeren Pause, zwei Cappuccinos und einer Überlebensration Schweizer Armeeschokolade im wenig einladenden San Bernardino fühle ich mich wieder fit genug für die restlichen 450 Höhenmeter zum Passo hinauf. Ohne den Lärm der Autobahn – die donnert 400 Meter tiefer durch den Fels – und nicht besonders steil, wird auch dieser Schlussanstieg mehr zum Genuss wie zur Plagerei (aber wer weiß schon, welches Wundermittel die Schweizer in die Militärschokolade mischen). Die Passhöhe hat zwar eine Motorradfahrer-Horde aus Berlin unangenehm laut in Beschlag, aber irgendwie scheint das ein andere Welt zu sein und daher weit weg. Für eine längere Pause ist es eh zu frisch hier oben und bald schon rausche ich die unzähligen Kurven ins Hinterrhein-Tal hinunter.

In Stufen geht es dann immer weiter hinunter, vorbei am Suther See, der Viamala bis nach Thusis. Und da ich an diesem Tag gar nicht mehr aufhören will mit Radfahren, folge ich der Route, die zum Tagesabschluss nochmals wunderschön oberhalb des Rheintals verläuft, bis kurz vor Chur.

Tag 6 | Chur – Friedrichshafen 92 km

Die letzte Etappe, das Rheintal bis zum Bodensee, ist topografisch eine sehr einfache Strecke. Es geht zwar ab und zu nochmals zu schönen Winzergemeinden hinauf, doch sonst meist eben durch Obstbaugebiete und Weideland und ab und zu sehr langweilig und mit viel Gegenwind auf dem Rheindamm. Dort erlebe ich wie eine Ladung holländischer Touristen gerade zum Radfahren ausgeladen wird: flach, Wasser und Wind von vorne – alles wie zuhause in Holland ;-)

Eigentlich ein Klacks, doch die letzten beiden Tagen haben mein vom Fahrradsattel entwöhntes Sitzfleisch ziemlich strapaziert, so dass jeder Positionswechsel auf dem Sattel nur mit zusammen gebissenen Zähnen möglich ist. Selbst zentimeterdick aufgetragene Sitzcreme bringt keine Linderung. So ein Mist, dass war mir ja noch nie passiert…

Während ich auf der ganzen Tour nur eine Handvoll anderer Reiseradler gesehen habe, sind hier im Flachen jede Menge schwer bepackter Radler unterwegs. Mir persönlich sind so gewaltige Bergtäler wie das untere Rheintal schnell zu eintönig, zumal wenn dicke Wolken jeglichen Blick auf die Bergwelt vereiteln. Nochmals einen Schwenk in die Bergwelt scheint aber angesichts der tief hängenden Wolken auch keine Alternative zu sein und nicht nur das malträtierte Sitzfleisch signalisiert: lass es sein!

In Altstätten gebe ich mich dann von meinem schmerzenden Hinterteil geschlagen und nehme für die restliche Strecke bis zur Fähre in Romanshorn den Zug . So komme ich auch noch in den Genuss, der einfach nur vorbildlich zu nennenden Schweizer Bahninfrastruktur und bin kein bisschen traurig darüber, für einen Moment nicht auf dem Rad zu sitzen. Die Fährfahrt über den in der Sonne glitzernden Bodensee ist nochmals so richtig zum Seele baumeln lassen und ein schönes Reiseende.

Rückschau

Jetzt, drei Wochen nach der Tour kann ich immer noch nicht so richtig glauben, dass ich das alles nicht nur geträumt habe. Doch so intensiv und nachhaltig kann man gar nicht träumen, von den Schwielen am Hintern ganz zu schweigen. Es ist ein verdammt gutes Gefühl wieder mal so richtig erlebt und gespürt zu haben, welch einzigartiges Reise- und Erlebnisvehikel das Fahrrad ist und wie intensiv das Reisen mit dem Fahrrad ist.

Die Schweiz hat sich dabei mal wieder als sehr angenehmes Fahrradreiseland erwiesen – bis auf die hohen Berge ;-) Zwar hat mir im Vergleich die Route 4 noch besser gefallen, da man hier weniger an großen Straßen und durch Ballungsgebiete fährt, aber auch die »3« ist unbedingt ein Empfehlung wert.

Mein Reisegefährt war der neue cross crmo-Rahmen mit Alu-Gabel und eine der letzten hydraulischen HS66-Felgenbremsen. Ein, wie erwartet perfektes Reisegefährt in allen Lebenslagen. Ob auf Schotterpisten, schnellen Asphaltabfahrten, in gepflasterten Haarnadelkurven oder im Kriechtempo berghoch, immer hatte ich ein gutes und absolut sicheres und souveränes Fahrgefühl. Und selbst die große, schwere und überladenen Lenkertasche (nicht zur Nachahmung empfohlen) konnte daran nichts ändern.

Kommentare