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Kein Riemenantrieb bei Velotraum für 2010

In den letzten Wochen haben sich die Rahmenbedingungen für den Einsatz des Gates Carbon Drive stark verändert.

Dabei ist »verändert« eigentlich der falsche Begriff. Es haben sich vielmehr neue Anforderungen und Unwägbarkeiten für die Kombination aus Riemenantrieb und Rohloff-Nabe ergeben, die uns dazu bewogen haben, den Gates-Riemenantrieb für 2010 nicht einzuführen. Das ist erstmal ebenso bedauerlich wie ärgerlich.

Mut zu Neuem oder Bananenpolitik?

Wer als Hersteller ein neues Produkt einführt, muss immer ein Stück ins Risiko gehen. Die unvermeidbaren Kinderkrankheiten gehören in einem gewissen Ausmaß einfach dazu und dafür muss der Produzent die Verantwortung übernehmen. Beim Gates-Riemenantrieb entwickelte sich das Ganze jedoch mehr und mehr zur berüchtigten Bananenpolitik, bei der das Produkt am Markt reift.

Inzwischen ist aber auch bei dem Carbon-Drive-Hersteller die Erkenntnis gereift, dass ein so anspruchsvolles und diffiziles Produkt mit großer Sorgfalt und Umsicht eingesetzt werden muss. Die Veröffentlichung des Carbon-Drive-Handbuchs war schon mal ein erster wichtiger Schritt zu noch mehr Seriosität (Vieles darin liest sich im Übrigen erstmal wie Antiwerbung).

Zu Haltbarkeit und Verschleiß ist da zu lesen:

Die Haltbarkeit der einzelnen Komponenten des Gates Carbon Drive Systems hängt stark von den äußeren Einflüssen und Umweltbedingungen ab. Die Lebenserwartung eines Riemensystems oder einer herkömmlichen Fahrradkette im Einsatz unter harschen Bedingungen (z.B. schlammiger Umgebung) ist immer geringer als deren Nutzung auf trockenen Wegen. Während sich eine Kette mit Schlamm zusetzt, bleibt der Gates Carbon Drive weitgehend frei von Verschmutzung. Bei mangelnder Schmierung verschleißt eine Kette schneller. Da ein Riemen jedoch keinerlei Schmierung benötigt, ist ein Vergleich zu einer Kette somit nicht statthaft.

Alles klar oder? – Ebenfalls ernüchternd sind die Ausführungen zu Beschädigungen:

Der Gates Carbon Drive Riemen ist immer dann zu ersetzen, wenn eine Beschädigung durch falsche Handhabung (siehe Abschnitt: Falsche Handhabung des Gates Carbon Drive) oder eine Beschädigung durch gravierende äußere Einflüsse vorliegt. Wenn zum Beispiel ein Stein, eine Wurzel oder ein Kleidungsstück vom Riemen erfasst und zwischen Riemen und Sprocket gezogen wird. Ein derartiger Einfluss kann dazu führen, dass die empfindlichen Carbonfasern im Inneren des Riemens beschädigt werden, auch wenn keine äußere Beschädigung des Riemens zu erkennen ist. Ein vorgeschädigter Riemen oder ein Riemen, der in Verdacht steht, Schäden genommen zu haben, ist in jedem Fall auszutauschen, da er im Fahrbetrieb unter Last unvermittelt reißen kann, was wiederum Unfälle und Verletzungen zur Folge haben kann.

Die Folge- und Unterhaltskosten sind auch nicht von Pappe:

Beim Verschleiß eines Antriebs, bei dem alle Komponenten gleichlang im Einsatz waren, wird grundsätzlich der Tausch aller Komponenten empfohlen, auch wenn erst eine Komponente die Verschleißgrenze erreicht hat.

Nun wird sicherlich nicht alles so heiß gegessen wie es gekocht wird und ein neues Produkt will ja auch juristisch abgesichert sein. Begrüßenswert ist zudem, dass mit dem Handbuch der Wunderriemen auf den Boden der Tatsachen geholt wurde. Schließlich gibt es nichts undankbareres als ins Kraut schießende Produkterwartungen zurechtrücken zu müssen. Da gilt man schnell als Spielverderber.

Selbst den zwingend vorgeschriebenen »Snubber« (eine zusätzliche Rolle am Ausfallende, die das Überspringen des Riemens ausschließen soll) akzeptierten wir notgedrungen, auch wenn das Ganze dann wieder aussieht wie die allerersten Rohloff-Räder mit Kettenspanner (nebenbei geht dadurch ein Stück des Gewichtsvorteils wieder verloren).

Knackpunkt und Knockout-Kriterium: Der Rahmenbau

Mehr oder weniger durch Zufall haben wir vor ein paar Tagen erfahren, dass es in Zukunft konkrete Anforderungen und Tests für Gates-taugliche Rahmen geben wird, also nicht nur so wachsweiche Anforderungen wie »steifer Hinterbau«, die bisher in den »Bike Maker«-Unterlagen standen.

Die Voraussetzungen für die Freigabe und der Test sollen umfassen:

  • dass die für die optimale Funktion des Systems benötigte Rahmensteifigkeit nachgewiesen werden konnte;
  • dass die erforderliche Rahmengeometrie vorliegt (Geradheit des Rahmens im Toleranzbereich, exakte Riemenlinie, Messung der Riemenspannung);
  • dass das Ausfallenden-Design von den Firmen Rohloff und Universal Transmission freigegeben wurde;
  • dass der Radausbau ohne eine Nachjustage der Riemenspannung möglich ist.

Des Weiteren erhielten wir die Information:
Zu Punkt 1 und 2 werden wir ab dem 01.01.2010 geeignete Vorrichtungen/Lehren anbieten, damit die Rahmenhersteller selber in der Lage sind, die oben genannten Punkte nachzuweisen.

Eigentlich alles wunderbar und richtig – leider nur etwas spät. Diese Anforderungen hätten wir eigentlich schon vor einem Jahr bekommen müssen! Für unsere 2010er Rahmenproduktion kommen diese Kriterien eindeutig zu spät. Wir sind zwar ziemlich sicher, dass unsere Rahmen die ersten beiden Punkte erfüllen, aber es bleibt ein zu großes Restrisiko.

Zumal die Punkte 3 und 4 weiterhin ziemlich vage sind und der im Handbuch geforderte Verstellbereich von 16 bis 30 Millimeter mit einer Exzenterlösung nicht zu erfüllen ist. Aus unserer Sicht eine ziemlich fragwürdige Anforderung, da speziell der Exzenter viele Vorteile in Verbindung mit dem Riemen hat. Bei den uns bekannten Rädern mit Exzenter und Riemenantrieb war nie der Exzenter oder sein Verstellbereich das Problem, sondern immer die mimosenhafte Empfindlichkeit des Riemens oder Mängel und Fehler an den Zahnriemenscheiben.

Dieser ganze Hick-Hack ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Firma Gates Carbon Drive bisher nur als Zulieferer für die Automobil- und Motorradbranche gearbeitet hat. Mit dem Riemenantrieb fürs Fahrrad wurde Gates quasi zum »Hersteller«. Und als Hersteller ist Gates in der Pflicht, Vorgaben für den sicheren Betrieb seines Riemenantriebs zu erbringen. Das war den US-Boys wohl so nicht bewusst. Und nur auf massives Drängen der Firma Universal Transmission sowie der Rohloff AG wurde nun das erforderliche Budget für das oben beschriebene Prüfprozedere zur Verfügung gestellt.

Der Riemen-Schwanz wedelt mit dem Fahrrad-Hund

Weitere Recherchen haben zudem ergeben, dass Gates wohl versucht den Carbon-Riemen fahrradgerechter zu machen, der Riemen soll zukünftig besser mit den eigentümlichen aber auch bewährten Rahmenbedingungen des Fahrrads klar kommen. Denn unter Berücksichtigung der neuen Anforderungen ist es im Moment ja so, dass das Fahrrad quasi um den Riemen herum gebaut werden muss. Für ein untergeordnetes Bauteil ein etwas übertriebener Aufwand, da wedelt der Schwanz mit dem Hund.

In Anbetracht dieser unsicheren Situation glauben wir, dass man als Hersteller wie auch als Kunde gut beraten ist, diese Technik noch etwas reifen zu lassen. Rückrufaktionen bei ausgelieferten Carbon-Drive-Rädern und Riemenriss bei einem zuvor mit »Super« beurteilten Testrad sind da nur weitere Indizien für die Richtigkeit einer abwartenden Haltung.

Prinzip Fahrrad: geniale Unvollkommen- und Einfachheit

Es ist ja nicht das erste Mal, dass der Techniktransfer von der (meist fossil betriebenen) Hochtechnik zur simplen aber völlig unterschätzten Fahrrad-Technik holprig verläuft oder schief geht. Fahrradtechnik ist zwar vergleichsweise einfach und kommt zum Teil mit enormen Toleranzen daher. Als Ganzes ist das Fahrrad jedoch schlicht genial. So ist die erforderliche Bewegungsenergie (Joule pro Gramm und Kilometer) relativ zur Masse bei keiner Fortbewegungsart so niedrig wie beim Fahrrad (Quelle Wikipedia).

»Die Fahrradtechnik« ist im Moment noch so etwas wie ein großer Märklin-Baukasten, mit dessen Grundelementen sich wunderbar individuelle und passende Lösungen zaubern lassen. Und das trotz hunderter, oft konkurrierender Teilehersteller. Und jeder Hersteller, der meint, aus diesem gewachsenen Organismus ausscheren zu müssen, holt sich in aller Regel eine blutige Nase. Selbst der Komponenten-Gigant Shimano hat das gelernt: Das neue technologische Flaggschiff der Japaner, die elektronische Rennrad-Hightech-Gruppe Di2, lässt sich im Prinzip an jeden popeligen Rennradrahmen schrauben ;-)

Dabei bleibt zwar die von Designern so gerne bemühte Systemintegration auf der Strecke, aber die wesentlich wichtigere Vielfalt bleibt erhalten (hinter der trendigen Systemintegration steht ja oft nichts anderes als eine Vereinfachung, die allein das Ziel der profitableren, industriellen Massenfertigung hat).

Doch zurück zum Riemenantrieb. – Auf Velotraum bezogen bedeutet dies, wir werden die Serienproduktion verschieben und erst mal abwarten, was da an Anforderungen und Kriterien noch so alles um die Ecke kommt. Die Zwischenzeit werden wir natürlich nutzen, um Rahmen testen zu lassen und gegebenenfalls zu optimieren. Und wenn sich die Anforderungen nicht weiterhin im Quartalsrhythmus ändern, dann steht mit großer Wahrscheinlichkeit ein serienreifes Velotraum-Rad mit Rohloff-Nabe und Riemenantrieb auf der Eurobike 2010. Ideal wäre es zudem, wenn bis dahin ein weiter entwickelter Riemen zur Verfügung stehen würde, der mehr dem »Prinzip Fahrrad« entspricht.

Wir hoffen, dass vor diesem Hintergrund unsere Entscheidung nachvollziehbar wird, auch wenn sich der Eine oder Andere im kommenden Frühjahr schon auf einem Velotraum-Rad mit Riemenantrieb gesehen hat.

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