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Shimano »Cues« – Potential verschenkt

Mit dem großen Wurf – »next big thing« – tut sich bekanntlich auch das wertvollste Unternehmen der Welt (Apple) nicht immer leicht.

Auf die Fahrradbranche übertragen und einige Potenzen kleiner, lässt sich vom Quasi-Monopolisten Shimano ähnliches behaupten.

Ebenfalls gemeinsam haben die beiden Konzerne, dass Sie mit Ihren Standardprodukten hohe Erträge erwirtschaften, aber auch, dass deren »Standardprodukte« zuverlässig und von sehr guter – bisweilen auch überragender – Qualität sind. Allerdings verstören und verprellen die Kalifornier wie die Japaner regelmäßig ihre Kunden, mit Vorliebe treue Stammkunden.

So hat es Shimano während der Corona-Wirren geschafft, die XT-Trekkingrad-Gruppe ohne adäquaten Nachfolger auf »discontinued« zu setzen, also die Produktion einzustellen. Als Nachfolger sollte die neue »Cues« Gruppe fungieren. Anfangs war die Faktenlage dazu sehr dürftig. Sicher war nur, dass es die Cues mit ein oder zwei Kettenblättern vorne geben sollte sowie neun, zehn oder elf Ritzeln hinten. Ähnlich wie bei der famosen »GRX«, sollte es innerhalb der Cues-Gruppen-Familie verschiedene Qualitätsstufen geben (U4000, U6000, U8000), als Ersatz für die Alivio-, Deore- und Deore LX-Gruppen, deren Ära ebenfalls endet. Während die GRX aber für eine völlig neue Fahrradgattung – Gravelbikes – konzipiert war, erinnert das Cues-Manöver mehr an das dümmliche Ende des deutschen »Dipl. Ing.«. Ein weltweit eingeführtes Gütezeichen, das man für »Bachelor« und »Master« opferte ;-)

Shimano Cues

Wie bereits erwähnt, ging die Rochade während der Corona-Hoch-Zeit über die Bühne und die Informationen tröpfelten mehr als spärlich und fragmentarisch ein. Dabei ist es für einen Hersteller von immenser Bedeutung, ob die neue Gruppe mit den bisherigen Rahmenstandards harmoniert und ob sich, auf Velotraum bezogen, damit weiterhin gute Alltags-, Touren-, und Reiseräder bauen lassen – idealerweise mit unterschiedlichsten Reifenbreiten. Wollten wir mit der Cues nur ein übliches 08/15-Trekkingrad bauen (28 Zoll, schmale Reifen), welches die Branche seit 20 Jahren den Kunden vorsetzt, hätten wir uns entspannt zurücklehnen können. Doch bekanntermaßen ist unser Anspruch an das Potential unserer Fahrradwelten ungleich umfassender, und da kommt es auch auf Kleinigkeiten und Details an. Verschärfend kam zu diesem Zeitpunkt hinzu, dass Shimano Lieferzeiten von bis zu zwei Jahre aufgerufen hatte, sprich man war gezwungen blind zu ordern.

Wir haben diese Spiel freilich nur bedingt mitgemacht und sind inzwischen froh über unsere Umsicht und Hartnäckigkeit, mit der wir zum Beispiel um Muster gekämpft haben. Denn eines lässt sich bereits jetzt schon feststellen: Die Cues ist leider nicht der große Wurf geworden – aber nun der Reihe nach.

Kurbelgarnitur und Kettenlinie – Die bisherige XT-Gruppe fürs Trekkingrad kam aus der MTB-Welt und wurde fürs Trekkingrad adaptiert. Die Vorteile dieser pragmatischen Vorgehensweise: Es konnte großer Übersetzungsbereich mit leichtem Berggang realisiert werden und die Kettenline eignete sich auch für breite Reifen. Mit dieser XT konnten wir sehr kreativ und universell arbeiten. Die Cues hat hingegen eine deutlich nach innen versetzte Kettenlinie (48 Millimeter), die näher am Gravelrad als am MTB ist. Damit ist man bei der Reifenbreite und beim dafür passenden Rahmenbau unnötig stark limitiert. Immerhin passt die Cues in alle aktuellen und zukünftigen Rahmen von KONZEPT und SPEEDSTER. Im FINDER passt die Cues leider nicht, so dass es für den FINDER in Zukunft nur noch 1×12 Kettenschaltungen geben wird.

Übersetzung – Ein echtes Trauerspiel und zum Haareraufen. Nach unseren ersten Informationen sollte die Cues vorne mit 46/30 Zähnen kommen. In Kombination mit den elf bis 45 Zähnen der Linkglide-Kassette hätte das einen passablen und noch praktikablen Berggang mit 1,45 Meter Entfaltung und einen Übersetzungsbereich von 627 Prozent ergeben. Die Serie kommt nun aber mit 46/32 Zähnen. Das bedeutet, im leichtesten Gang steigt die Entfaltung auf 1,56 Meter und der Übersetzungsbereich sinkt auf 588 Prozent. Für längere oder steilere Anstiege ist das einfach nicht ideal. Dabei wäre die perfekte Lösung so einfach gewesen: Mit 42/28 Zähnen hätte man einen echten Berggang mit rund 1,37 Meter Entfaltung und einen Übersetzungsbereich von 614 Prozent gehabt. Herr, schicke Hirn nach Osaka ;-)

Schaltwerk – Als wir das erste Muster aus der 6000er Serie in Händen hielten, war die Ernüchterung ziemlich groß. Denn das Schaltwerk ist optisch ein ziemlicher Kaventsmann, neben dem ein ausgewachsenes XT-Schaltwerk schon fast schmächtig wirkt. Das ist unter anderem dem hohen Kunststoff-Anteil geschuldet. Also kein Ersatz für die XT, und damit wollten wir auch keine Veloträume bauen. Das 8020er Schaltwerk war dann schon deutlich ansprechender, ebenso wie die Schalthebel.

Bei einem ersten Funktionstest passierte dann etwas, was wir schon lange nicht mehr bei neuen Shimano-Komponenten erlebt hatten: Die Kette kletterte nicht auf das größte Ritzel. Was mit einem XT-Schaltwerk spielend vonstatten ging, wollte bei der Cues einfach nicht gelingen. Die Ursache: Shimano hat in den letzten Jahren immer mal wieder die Anforderungen an die Geometrie der Schaltaugen geändert. Die Information darüber finden sich irgendwo in den hunderte Seiten umfassenden Spezifikationslisten und in einer der zig tausend Mails mit denen Shimano seinen »Partner« bombardiert.
Warum ist das bisher nicht aufgefallen: Die aktuellen Schaltwerke sind da offensichtlich wesentlich »toleranter« und haben bisher alle klaglos mit unseren Schaltaugen funktioniert. Nachdem wir unser Ausfallende zwei Millimeter schmäler gefeilt hatten, hat alles funktioniert. An dieser Stelle auch nochmals herzlichen Dank an Marc H. von Paul Lange, der uns bei der Analyse und Problembeseitung hervorragend unterstützte.

Resümee

Die neue Cues ist leider (noch) kein zeitgemäßer (2×11) und vollwertiger Ersatz für die gute alte XT-Gruppe. Qualitativ ist die Cues U8000 zwar durchaus auf XT-Niveau, aber leider nicht so universell und flexibel. Welche Zielgruppe – im E-Bike-Zeitalter – Shimano da vor Augen hatte, ist uns etwas rätselhaft. Damit gemeint ist: Wer fährt eigentlich noch Muskelräder – der indifferente Radler, den die Cues am ehesten anspricht sicher weniger. Passionierte Alltags-, Touren- und Reiseradler kämen da schon eher in Frage und genau für diese Zielgruppe ist die Cues nur suboptimal. Dabei wäre es für Shimano ein leichtes, die Cues entsprechend zu ertüchtigen, im technischen Fundus des Konzernes findet sich alles was man braucht …

Für alle, die keinen sehr leichten Berggang benötigen, ist die hier vorgestellte Cues eine sehr gute Wahl. Wir hoffen mal darauf, dass es kurz- oder mittelfristig andere Kettenblattabstufungen auch zum Nachrüsten geben wird. Es kann ja nicht sein, dass nur wir hier den Finger in die Wunde legen ;-) Ab 2024 werden wir also die Cues anbieten.

Nachtrag vom 18.01.2024

Für 2024 werden wir keine Räder mit der Cues anbieten. Letzte Tests haben ergeben, dass sich die Cues-Schaltwerke an unseren Rahmen nicht nach hinten schwenken lassen und so zum Laufradausbau erst das Schaltwerk demontiert werden müsste …! So was gab es im letzten viertel Jahrhundert seit wir Shimano an unserer Räder schrauben noch nie, da hat jedes (!) Schaltwerk problemlos an unsere Rahmen gepasst .

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