Das Reisen gehört zu den besonders geschätzten Selbstverständlichkeiten unseres Erste-Welt-Lebensstils, und sei es nur mal g’schwind über die nächste Ländergrenze.

Ob und wann ein Reisen wie in Vor-Coronazeiten wieder möglich ist, wissen wir im Moment nicht. Aber nichts kann uns im Moment davon abhalten, uns an bereits gemachten Reisen nochmals zu erfreuen und neue Reisen zum planen.
Dazu möchten wir Euch, mit unserem Frankreich-Urlaub von 2019 inspirieren. Noch ein Tipp für die Fotostrecken: guter und großer Monitor sowie Vollbildmodus! Dann kann’s losgehen …
Die Wiederentdeckung emotional besetzter Gefilde
Urlaubsziel als Experiment – Wie fühlt es sich an, mit Camper und Pedelec eine Region zu bereisen, die man früher als »echte« Reiseradler kreuz und quer durchstreift hat. Wir, das heißt der Chronist und seine Frau Patricia, waren nach 15 Jahren erstmals wieder in der Region rund um den Mont Ventoux gelandet.
Dabei war das Reiseziel noch nicht mal geplant, sondern hat sich schicksalhaft ergeben – Eigentlich wollten wir die seltene Gelegenheit von dreieinhalb Wochen Urlaub dazu nutzen, den Norden Spaniens zu erkunden. Doch irgendwie ist uns das Leben dazwischen gekommen ;-)
Burgund
Unser Start in den sehnsüchtig ersehnten Jahresurlaub war ein Loskommen auf Widerruf, denn beruflich und insbesondere im privaten Umfeld gab’s ein paar Baustellen … Daher war unser erster Stopp im nahen Burgund, das wir bereits bei einem Kurzurlaub Ende Mai lieben gelernt hatten. Auch dieses mal bescherte uns das Burgund einen gelungenen und entspannten Einstieg in den Urlaub. Unsere Ausgangspunkte lagen einmal am Canal-du-Bourgogne sowie dem Canal-du-Nivernais. Von dort unternahmen wir größere und kleinere Rundtouren durch verträumte Landschaften, hin zu pittoresken Städten, die irgendwo zwischen Charme und Zerfall changieren, sowie zu eindrucksvollen Kulturdenkmälern. Eine Attraktion für sich: das zutiefst menschliche Treiben auf dem Campingplatz – wahrscheinlich besser als jede Dokusoap ;-)
Nachdenklich stimmte uns allerdings die extreme Trockenheit im Burgund. Die ansonsten so grünen Weiden waren staubtrocken und das Braun hatte das Grün als dominierende Farbe landesweit abgelöst. Alle Flüsse hatten Niedrigwasser und das Vieh auf den Weiden musste bereits zugefüttert werden. Auch den unzähligen historischen Kanälen war die Wasserknappheit anzusehen.
Auvergne
Irgendwann hatten wir genug vom »Flachland« und der Ruheständler-Dominanz. Der Wetterbericht prognostizierte noch ein paar Spätsommertage in der tendenziell kühlen und regenreichen Auvergne. Von Zuhause kamen ebenfalls hoffnungsvolle Signale, also ging’s 200 Kilometer weiter auf einen wunderbaren Campingplatz oberhalb von Mont Dore.
Noch am gleichen Tag unternahmen wir eine herrliche Tour über die Pässe in Richtung Lac Chambon. Zurück auf dem Campingplatz zeigte der Kilometerzähler zwar nur 40 gefahrene Kilometer, dabei hatten wir aber über 1.400 Höhenmeter gesammelt. Wie bereits im Burgund, so sind wir auch in der Auvergne einer französischen Radtouristik-Route gefolgt, die wunderschön geführt war.
Am nächsten Tag vermieden wir die nicht nur bei Radfahrern so beliebten Aussichtsstraßen. Es war Samstag und die motorisierte Spaßgesellschaft übernahm lärmend und in Massen die Straßen. Unsere mit MapsOut selbst ausgetüftelte Tour ins Hinter-Hinterland war zwar weniger spektakulär, aber streckenweise hatten wir Straßen und Landschaft für uns. Einziger Pferdefuß: keine netten Cafés zum gepflegten Einkehren ;-)
Lubéron/Vaucluse
Den einzigen stürmischen Regentag nutzten wir für den Transfer ins Lubéron. In der Nähe von Gordes bezogen wir einen Campingplatz, der strategisch günstig für Radtouren in alle Richtungen lag. Die erste Überraschung: Der Süden war ungleich grüner als das Burgund und die Auvergne. Weniger überraschend war der international geprägte Tourismus, der sich zum Teil in Scharen an den »Hotspots« wie Gordes, Lacoste, Bonnieux, Senanque usw. tummelte. Abseits davon oder etwas früher am Tag lies sich der Touristenauflauf gut umgehen. Der Vorteil des florierenden Tourismus: ein vielfältiges Angebot an Cafés und Märkten.
Unsere Eingangs formulierten Bedenken, nun mit Pedelec und Camper statt Reiserad und Zelt einen Radurlaub »zweiter Klasse« zu verbringen und wehmütig der Vergangenheit nachzuhängen, verpuffte bereits auf der ersten Tour.
Auch mit dem Pedelec und leichtem Tagesgepäck bezauberten uns die herrliche Landschaft und die Bilderbuchstraßen. Und wir waren nun viel empfänglicher für die Dinge links und rechts der Strecke, so dass wir unglaublich viel Neues entdeckten. An die Stelle der Intensität des Radreisens trat das tiefere Eintauchen in die Region. Es erstaunt uns im Nachhinein, woran wir früher einfach vorbeigeradelt waren. Der Focus war schlicht ein anderer, nicht mehr: Wir müssen/wollen noch über den Pass; wo gibt’s was zu Essen; oh Gott, nicht noch ein Berg … ;-)
Ventoux
Wir hätten es locker noch eine Woche länger im Luberon ausgehalten, allerdings schlossen alle (schönen) Campingplätze und selbst im touristischen Gordes wurden die nicht vorhandenen Bürgersteige hochgeklappt. Also gondelten wir 60 Kilometer in Richtung Norden nach Montbrun-les-Bains. Wegen des Thermalbades hatte der Campingplatz sogar bis Ende Oktober geöffnet.
Die nächsten Tage sollten wir mit dem Blick auf den heiligen (Kelten) und mythenumwobenen Berg aufwachen und zu Bett gehen. Auch auf unseren Radtouren war der Ventoux ebenso omnipräsent wie dominant, und so verfällt man mit jedem Tag etwas mehr der Magie dieses Bergs. Freilich hochgeradelt sind wir nicht, da war uns einfach nicht danach. Außerdem haben wir den Ventoux schon zweimal »gemacht« und hatten keine Lust auf den Trubel, der da oben in aller Regel herrscht. Wir haben der majestätischen Magie aus der Distanz schlicht den Vorzug gegeben.
Aber auch so klettert man in dieser Region schon mal auf 1.400 Höhenmeter hinauf, und ratz-fatz sammeln sich bis zu 2.000 Höhenmeter auf einer 60-Kilometer-Runde. Daher hatten wir erstmals, für unsere nicht mehr ganz taufrischen Akkus, Ladestopps eingeplant und dabei die hiesige Gastronomie unterstützt ;-)
Resümee
Die drei Wochen waren letztendlich viel zu schnell vorbei und wir entdeckten unsere alte Frankreich-Liebe aufs Neue. Allerdings muss man sich unbedingt die »richtige« Region raussuchen. Auf unseren Transferstrecken haben wir auch das andere Frankreich kennengelernt … Da war selbst das Durchfahren mit dem Auto trostlos und verstörend. Eine Ambivalenz, die man wohl in jedem Land vorfindet. Um so schöner, dass unser Nachbarland weiterhin so herrliche Regionen bietet, die man mit Fug und Recht als Schlaraffenland fürs Radfahren und Campen (insbesondere für klassische Zelter und nicht nur für Wohnmobilisten) bezeichnen kann.
Kommentare
Ja es tut schon weh,
auch unsere im März geplante Radreise nach Norditalien ist natürlich ins Wasser gefallen. Schön, wenigstens etwas aufmunterndes auf der Velotraumseite zu finden.
Frankreich war für uns immer ein tolles Reiseland, auch an den Ort Semur en Auxois, den ich zweimal als Austauschüler, besuchen durfte habe ich nur gute Erinnerungen. Hier in der Grenzregion merkt man eher wenig von Niedergang Frankreichs, hier profitiert man noch von der Grenznähe. Aber, auch auf unserer letzten Tour sind wir in Frankreich durch Orte gekommen, die nicht gerade auf dem aufsteigenden Ast sind. Besonders auffallend ist das Ladensterben, dort wo es früher noch einen Metzger oder eine Bäckerei gab, findet man heute zugeklebte Scheiben.
Größte Mühe habe ich allerdings mit den in der Zwischenzeit geschlossenen Grenzen. Grenzen gab es für uns immer, die wurden früher auch kontrolliert, aber waren immer überwindbar. Jetzt ist alles dicht. Dabei ist die Situation auf beiden Seiten Grenze eigentlich gleich.
Aber ein Gutes hat die jetzige Krise auch, die Verkehrsdichte am Wochenende ist doch erfreulich gering. Am letzten Sonntag hatten wir eigentlich ein anderes Ziel im Schwarzwald, aber als wir unterwegs waren, konnten wir feststellen, dass auf der Bundesstraße fast kein Verkehr war. Da haben wir unser Ziel geändert und sind auf der fast autofreien B317 auf den Feldberg gefahren, eigentlich impossible an ein frühsommerlichen Wochenende.
Stay at home schaffen wir einfach nicht, Radfahren muss schon sein.
Hallo zusammen,
sehr schöne Fotos aus Frankreich. Macht direkt Laune ….
Über die Corona-Zeit helfe ich mir anders hinweg. Denn ich habe – vom homeoffice aus – wieder die nähere Umgebung für meine Touren entdeckt. Zweimal täglich 45 Minuten wirken Wunder … und gleichzeitig fahre ich auf Strecken, die ich schon lange nicht mehr unter die Räder genommen habe. In manchen Waldstücken war ich zuletzt als Kind …. damals mit dem Dreigangrad allerdings nicht so effektiv wie heute :-)
Haltet die Ohren steif!
Grüße von Guido aus Hochdorf
Hallo zusammen,
Immer wieder schaue ich mir gerne die informativen und unterhaltsamen Reisebeschreibungen an. Man möchte danach sofort dorthin reisen (radeln).
Würden Sie mir mitteilen, mit welcher Foto Ausrüstung Sie unterwegs sind?
Gruß
aus dem Rheinland
@ Wolfgang: Zunächst vielen Dank für das schöne Feedback – Zur Fotoausrüstung: Ich bin da ziemlich traditionell unterwegs. EIne Spiegelreflexkamera Canon 5D MIII mit einem 24-70/2,8 in der Lenkertasche (mit König-Einsatz) und ein 70-300/ 5,6 Objektiv in der Satteltasche. Also im Zeitalter der Handy-Fotographie so richtige Kaventsmänner. Das ist übrigens so ein angenehmer Nebeneffekt des Pedelecs: Man ist hinsichtlich der Zuladung geschmeidiger und hat einfach mehr Muse sowie Energie für die Knipserei ;-)
Wie schön, dass dieser wundervolle Reisebericht durch einen aktuellen Blog-Eintrag wieder an die News-Oberfläche gespült wurde :-) Erinnert es mich doch daran, dass ich ihn damals bei Erscheinen im April so sehr genossen habe und mir fest vornahm, dies nicht nur für mich zu denken, sondern auch zurückzumelden. Ich hatte den Link auch an Freunde weitergegeben und sie waren ebenso angetan von dieser Reise, von den Fotos (das Mitschleppen der Kaventsmänner hat sich wahrlich gelohnt!) wie auch von der Schreibe … ja, es stimmt, was mein Blog-Vorgänger und Namensvetter schreibt: Man möchte sofort losradeln!
Vielen Dank, lieber Herr Stiener, für diese Story!
Ein Jahr später und wir löffeln noch immer die Coronasuppe aus. Aber die Story ist toll da kann ich Wolfgang nur zustimmen.