Im Jahr 2022 sind insgesamt 474 Radfahrer im Straßenverkehr in Deutschland gestorben. Mit dem Tot von Andreas Mandalka hat diese abstrakte Zahl ein Gesicht bekommen und ist plötzlich sehr nah.
Ein breites Bündnis von Fahrradverbänden hat für den 11. Februar eine Demonstration und Gedenkfahrten organisiert. Zentrale Forderung der Demonstrationen ist der bessere Schutz von Fahrradfahrenden und Fußgängern im Straßenverkehr durch baulich getrennte Radwege, verstärkte Kontrollen von Überholabständen, eine konsequente Ahndung von Verkehrsverstößen sowie flächendeckende Tempolimits. Dafür hat sich Andreas Mandalka eingesetzt. Unterstützung von Seiten der Zuständigen/Verantwortlichen hat er nicht bekommen, ganz im Gegenteil:
»Die Bußgeldstelle der Stadt Pforzheim entschied, dass sie seine Ordnungswidrigkeitsanzeigen nur bearbeite, wenn das Bußgeld mindestens 35 Euro betragen würde (enges Überholen kostet 30 Euro). Eine Amtsrichterin stellte ein Verfahren gegen einen Autofahrer wegen zu engen Überholens ein, weil sie 1,4 m (laut Gutachter, Herleitung fragwürdig) außerorts als ausreichend einschätzte. Natenom hätte statt der flacheren Landstraße auch steile, holprige Waldwege benutzen können.
Polizeibeamte verweigerten die Annahme seiner Anzeigen und untersagten ihm die Benutzung seines Abstandshalters. Staatsanwälte stellten praktisch alle Strafverfahren ein – auch bei Wiederholungstätern, bezeichneten ihn als Verkehrshindernis und sprachen ihm das Recht ab, mit seinem Fahrrad eine für den Radverkehr freigegebene Landesstraße zu benutzen.«
Der Chronist ist nicht die ganze Demo mitgefahren sondern in Hohenwart dazu gestoßen. Dabei hat es sich sehr merkwürdig angefühlt durch das Fasnachtstreiben zu fahren, das selbst in Dörfern wie Neuhausen die mehrfache Menschenmenge anzieht, als eine landesweite organisierte Gedenkfahrt für ein tragisches Unfallopfer.
Allerdings hat es mich völlig überrascht, als ich in Hohenwart eintraf und die Durchgangsstraße über hunderte Meter voller Radfahrer stand. Die Veranstalter gehen von 600 Teilnehmern aus. Dabei dürften die Lokals in der absoluten Unterzahl gewesen sein, da viele der Teilnehmer aus Karlsruhe, Stuttgart, Böblingen und Frankfurt dabei waren.
Und damit wären wir bei der Relevanz des Radverkehrs in unserer – für Alltagsradler – so schön-schrecklichen Region. Während in jedem deutschen Haushalt inzwischen mehrere Fahrräder existieren und durchaus auch gerne in der Freizeit benutzt werden, hat das Verkehrsmittel Fahrrad – speziell in der wohlhabenden Agglomeration der Ballungszentren – einen schweren Stand, da es quasi keine Fahrradwege-Infrastruktur gibt, die diesen Namen verdient. Alltagsradler müssen nicht nur idealistisch und leidensfähig sein, sondern sind auch noch hochgradig gefährdet, obwohl sie sich in jeglicher Hinsicht beispielhaft und vorteilhaft für die Menschen und den Planeten verhalten …
Das ist eine dieser himmelschreienden Ungerechtigkeiten, wie Sie die Menschheit zu Hauf produziert – Dennoch, wann werden von einer ignorant-unfähig agierenden Administration endlich die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen und nicht nur nette Appelle auf von Radfahren benutzte (Rad)Wege gepinselt …
Kommentare
Vielen Dank für den ausführlichen Bericht. Die Haltung der Ordnungsbehörde ist erschreckend, wenn auch (LEIDER) nicht überraschend. Die Staatsanwaltschaft denkt auch, dass sie Teil der Judikativen sei, und deswegen Anklagen einfach unter den Tisch fallen lassen kann, insbesondere gegen Radfahrer.
Selbst im fernen Berlin gab es eine Fahrraddemo, über die sogar in der Abendschau im RBB kurz berichtet wurde. Anders als bei den anderen vielen namenlosen Toten im Straßenverkehr, gab es hier ein mediales Echo, das hoffentlich nicht so schnell aus den Köpfen verschwinden wird. Trotzdem wäre es viel besser, wenn es erst keinen Grund dafür gegeben hätte. Mein Beileid gilt auf jeden Fall der Familie und den Freunden von natenom.
(Viel) zu enge Überholabstände erlebe ich auch fast täglich auf meinem Weg zur Arbeit, einige davon sogar vorsätzlich.
Auch ich war bei der Demo für Natenom dabei. Das Ganze ist unglaublich tragisch und bekommt nun – dem Wunsch von Natenom entsprechend – Aufmerksamkeit.
Wer sich wundert, warum der orangene Speedster trotz Parkstütze auf der Straße liegt: Das ist meiner. Es gab an der Unfallstelle den Aufruf, die Fahrräder möglichst nicht zu stellen, sondern hinzulegen. Diesem Aufruf bin ich gemeinsam mit vielen anderen gefolgt.
Was mich im Nachhinein noch fassungsloser macht ist die Verwüstung der Gedenkstätte.