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Stippvisite zwischen Ruhr und Emscher

Spannender Eintagestrip im Ruhrgebiet, trotz Saisonauftakt und Hiobsbotschaft von Daheim.

Der eigentliche und lange zuvor vereinbarte Grund in den »Ruhrpott« zu reisen, war das Treffen der »Ergo-Erfa« in Essen.

Ergo-Erfa – Velotraum ist seit zwei Jahren Mitglied einer Ergonomie-Erfahrungsgruppe, die aus Herstellern und Händlern besteht und denen das Thema Fahrrad-Ergonomie besonders am Herzen liegt. In Essen sind wir gelandet, da uns hier der Extremsportler und Bike-Fitting-Experte Holger Röthig seine Vorgehens- und Arbeitsweise zeigen wollte.

War am Anfang die Situation noch: hier der schillernde Guru, da die staunenden Laien, entwickelte sich das Ganze im Laufe des Tages immer mehr zu einer Begegnung und Austausch auf Augenhöhe. Der »auf Kohle geborene« Röthig zeigte sich dabei als sehr umgänglich, locker und offen, also ebenfalls ein Suchender und Lernender als abgeklärter Guru.

Hiobsbotschaft von Zuhause

Für den Chronisten war es allerdings zeitweise schwierig voll bei der Sache zu bleiben. Denn von Velotraum kam die Nachricht, dass Pit Heynhold am Abend zuvor auf dem Nachhauseweg von einem abbiegenden Autofahrer übersehen und »abgeschossen« worden ist. Zumindest sieht es nach momentanem Kenntnisstand so aus, dass Pit wieder ganz gesund wird, aber wann er wieder auf den Beinen ist, steht noch in den Sternen …

Mein erster Impuls war noch am Abend nach Hause zu fahren und die geplante Stippvisite zwischen Ruhr und Emscher ausfallen zu lassen, aber das Team meinte unisono: bringt nix, mach dein Ding.

Stippvisite zwischen Ruhr und Emscher

Wenn es sich irgendwie einrichten lässt, versuche ich immer das Notwendige mit dem Nützlichen und Angenehmen zu verbinden. Ich empfinde es immer als vertane Chance, wenn ich »nur« für einen Geschäftstermin durch das halbe Land hetze. Am liebsten hänge ich noch einen Tag dran, um die entsprechende Region ein wenig mit dem Fahrrad zu er-fahren und so nebenbei geschäftliche Kontaktpflege zu betreiben.

Zwei ganz konkrete Ziele hatte ich daher auf der Agenda, nämlich den Besuch unserer Händler »Bergetappe« in Essen-Kupferdreh und »Balance« in Bochum. Ansonsten hatte ich nichts geplant, sondern vertraute auf meine Intuition und MapOut sowie der dort aufgeführten Radstrecken.

Schon am Abend zuvor hatte ich bis in die Dämmerung dieses Setup getestet und dabei den eindrucksvollen Nordsternpark Gelsenkirchen durchstreift. Schon auf dieser kurzen Strecke bestätigte sich die Wahl des Rads: ein E-Finder mit dicken Reifen. Sicher, auf den E-Antrieb kann man im flachen Pott verzichten, auf die breiten Reifen jedoch nimmer. Denn abseits der Parks und Aushänge-Radwege sind die Radstrecken zum Teil von abenteuerlicher Beschaffenheit und Führung, insbesondere für ortsunkundige Radler.

Vom Revierpark Nienhausen quer durch Essen

Am nächsten Morgen war mein erstes Etappenziel der Ortsteil Kupferdreh im Süden von Essen. Bei frostigen Temperaturen aber strahlendem Sonnenschein führte mich die Strecke durch das Weltkulturerbe »Zeche Zollverein« – was für ein Auftakt. Danach wurde es natürlich weniger spektakulär, blieb aber allemal spannend und interessant. Allerdings ist es auch in Essen eine Herausforderung, mit dem üblichen Fahrradwege-Hin­der­nis­par­cour unfallfrei zurecht zu kommen (im Hinterkopf immer Pits Unfall). Es gibt zwar im Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen vergleichsweise viele ausgewiesene Radstrecken, aber nur ein Bruchteil kann als fahrradgerechte Infrastruktur bezeichnet werden. Zumindest dann, wenn man zügig, sicher und komfortabel von A nach B kommen möchte und sich nicht ausschließlich auf den touristischen Aushänge-Radwegen bewegen kann. Sehr häufig landet man auf den üblichen für Radfahrer zweckentfremdete Restflächen, doch als Radler aus dem Großraum Stuttgart ist man ja Kummer gewohnt ;-)

Ganz nebenbei – Die Eckenhatz auf holbrigem Untergrund geht einem auf die Dauer ganz schön in die Knochen, trotz breiter und komfortabler Bereifung und der Beschleunigungshilfe aus dem E-Antrieb. So war ich froh, nach 30 Kilometer endlich in Kupferdreh bei Bergetappe einzutreffen.

Bergetappe ist seit 2013 Velotraum-Händler und zeichnet sich durch eine Vielzahl von Besonderheiten aus. An erster Stelle muss sicherlich das »medizinische Bikefitting« genannt werden. Bei meinem Besuch hatte ich die Gelegenheit Anna Jung – Fachärztin für Allgemeinmedizin – eine Zeitlang beim Bikefitting über die Schulter zu schauen. Eine eindrucksvolle Erfahrung, denn was hier an Tiefgang geboten wird, ist sicherlich herausragend – wenn auch nicht für jeden notwendig. Zudem ist das großzügige und originelle Ladengeschäft mit den zwei Ebenen und der offenen Werkstatt eine gelungene Kombination aus schön inszenierten Fahrrad-Produktwelten und Museum, kurzum ein Gesamtwerk mit hohem Entdecker- und Unterhaltungswert.

Bochum, Erzbahntrasse, Gelsenkirchen-Altstadt

Von Kupferdreh orientierte ich mich bis nach Dahlhausen am Ruhrtalradweg. Hier ist der Ruhrpott vergleichsweise weit weg und man fühlt sich wie im Urlaub :-) Dafür war meine Radstrecke bis Weitmar wieder »normal«. Der bestens ausgebaute Springorum-Radweg (alte Bahntrasse) führte leider in die falsche Richtung, so dass ich die alternative Radstrecke bis ins Bochumer »Bermuda3Eck« – das eine oder andere mal fluchend – hinter mich brachte. Im Nachhinein wäre der Umweg über den Springorum-Radweg sicherlich sinnvoller gewesen.

Fahrradladen-Balance gehört schon sehr lange zur Velotraum-Händlerschaft und ist für uns ein wichtiger und verlässlicher Partner. Als Komplettanbieter in der Innenstadt bespielt das Balance-Sortiment eine breite Klaviatur und Velotraum ist dort seit vielen, vielen Jahre eine Konstante. Ebenfalls ungewöhnlich und einmalig an den Bochumern, gleich sechs Chefs schmeißen den Laden. O-Ton: »Wir sind sechs gleichwertige Gesellschafterinnen und Gesellschafter, die sich alle den gleichen, an soziale Grundbedürfnisse angepassten Lohn auszahlen und geschäftlich das gleiche Risiko tragen.« Dieser selbstverwaltete Ansatz ist auch heute noch im modernen Balance-Laden spürbar und macht die Bochumer so ungemein sympathisch, wenn auch manchmal ein wenig anstrengend ;-)

Ich hoffe die Essener und Bochumer sehen es mir nach – aber die Innenstädte gehören nicht zu den »Stärken« der Region, es ist vielmehr das Gesamtensemble mit den vielen Landschafts- und Industrieparks, die diese Industrieregion auch mit dem Fahrrad so reizvoll und vielfältig machen. So auch auf meiner Schlussetappe zurück nach Nienhausen durch den Westpark, vorbei am Jahrhunderthaus und der Jahrhunderthalle ging es in Richtung Gelsenkirchen. Auch hier liegen Architektonische- und Städtebauliche-Altlasten und Glanzlichter dicht an dicht …

Nach über 90 Kilometer quer durch die Metropolregion Rhein-Ruhr ziehe ich ein gemischtes, aber dennoch positives Fazit. Mit dem Fahrrad lässt sich hier unheimlich viel entdecken und erleben: hautnah durch ein wichtiges Stück deutscher Industriegeschichte. Mit etwas Sorgfalt und Umwege-Toleranz bei der Routenplanung lassen sich sicher viele unschöne Strecken vermeiden bzw. schönere finden. Kein idyllisches, »klassisches« Fahrrad-Urlaubsreiseziel, aber eine facetten- und kontrastreiche Horizonterweiterung. Hinsichtlich des Fahrradtyps lautet mein Tipp: breite, pannensichere Reifen und bei einer städtischen Mammuttour wie hier geschildert, freut man sich zumindest am Saisonanfang über den E-Schub bei den aberhunderten Anfahrsituationen.

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