Es war kurz vor Betriebsschluss, als ein vermeintlicher Kunde in unsere Ausstellung spazierte und sich als Christoph Kern, Geschäftsführer von »Bike Technology«, vorstellte.



Erste Überraschung: Die uns bis dato unbekannte Firma logiert nur einen Steinwurf entfernt im Teilort Münklingen. Zweite Überraschung: Christoph Kern zeigte Fotos von einer Upside-Down-Federgabel mit Gepäckträgeraufnahme verbunden mit der Frage, ob das was für uns wäre.
Nachdem wir den ersten Überraschungseffekt verdaut und den Abwehrreflex – bloß nicht noch mehr Arbeit – überwunden hatten, vereinbarten wir ein weiteres Treffen, um weiter ins Detail einzusteigen. Denn eines war klar: Einfach wird es nicht, da sich Federgabel und Gepäckanbringung eigentlich ausschließen.
Kleiner Exkurs für Nicht-Insider: Ein Aspekt, warum die Mehrzahl aller Reiseradler auf eine Federgabel verzichtet ist der Umstand, dass es keine Lösung für die Befestigung von gängigen Frontgepäckträgern gibt. Und wenn doch, wird der Träger am Tauchrohr befestigt und gehört damit zu den ungefederten Massen, die man eigentlich so klein wie möglich halten möchte. Frühere Lösungen, wie der auch von uns lange eingesetzte »Artmann Faiv«, scheitern sehr häufig an der Vielzahl von unterschiedlichen Gabel-Abmessungen.
Und da kommt nun Christoph Kern ins Spiel. Mit seiner Firma Bike Technology fertigt er unter anderem für Magura die »Boltron«, eine Upside-Down-Gabel fürs E-MTB, die auch bei der »Globica« – so der Arbeitsname – die Basis bildet. Upside-Down-Gabeln sind im Motorcross weit verbreitet, im Fahrradbereich aber äußerst selten, da sie nicht nur Vorteile haben und zudem viel Expertise bei der Entwicklung erfordern. Bei der Boltron kam die Expertise übrigens von KTM. Die Besonderheiten der Globica alias Boltron:
- Die Gabel wurde für die Anforderungen von E-Mountainbikes entwickelt und ist extrem verwindungssteif (Standrohr-Durchmesser: 40 Millimeter).
- Die langen Standrohre bieten genügend Platz, um zum Beispiel Forkpack-Taschen von Ortlieb oder einen Tubus Grand-Expedition-Front zu befestigen.
- Der Gepäckträger samt Zuladung ist somit an den gefederten Massen angebracht und verbessert damit sogar die Federungs- und Fahreigenschaften.
Soweit so gut und vielversprechend ;-)
Allerdings war dann noch einiges an Feinschliff nötig, bis Bike Technology zwei Prototypen zusammen hatte, die mit den technischen Rahmenbedingung der Velotraum-Finder-Welt harmonieren. Größtes Hindernis war die Vorderrad-Aufnahme, die mittels Adapter von 110×20 Millimeter auf 110×15 Steckachse gebracht werden musste. Um uns selbst ein Bild von der Gabel zu machen, haben wir sie in einen FD2E montiert – das einzige Rad in der Ausstellung, das im Moment am Vorderrad eine Steckachse mit 110×15 Millimeter hat. Damit die Federgabel von der Einbaulänge passt wurde der Federweg auf 100 Millimeter angepasst. Damit fährt sie sich in Finder und E-Finder wunderbar stimmig, um nicht zu sagen grandios und schlägt unsere Standard-Federgabel von Suntour in jeder Beziehung.
Neben dem Preis, der sich irgendwo im Bereich von 1.500 EUR einpendeln wird, gibt es noch zwei weitere Aspekte, die für den einen oder anderen ein K.-O.-Kriterium sein werden:
- Die Verwendung von richtigen Schutzblechen wird nicht möglich sein, allenfalls ein rudimentärer Spritzschutz.
- Der Ein- und Ausbau des Vorderrads ist umständlich und durchaus anspruchsvoll und gelingt selbst Profischraubern anfangs nur mit entsprechender Anleitung. Das Fahrrad muss dazu auf den Kopf respektive Lenker/Sattel gestellt werden.
Summa summarum eine Federgabel, die nur in berufene Hände gehört, die wissen, was sie tun …
Für die Beurteilung der Reiserad-Tauglichkeit geht die zweite Gabel nach Finnland zu Nomad Trails, Peyman übernimmt den Praxistest für den Reise- und Globetrotter-Einsatz – wir sind gespannt ;-)
Kommentare
„Richtige“ Schutzbleche anzubringen, dürfte doch eigentlich nicht so schwer sein, oder?
Wenn es da eine Lösung gäbe, wäre ich sofort dabei, schön wäre es auch, wenn man eine Lampe an der Gabelbrücke befestigen könnte.
Für Schutzbleche und Lampen sind Lösungen in Erstellung. Da wird’s was geben.
Klasse! Bin sehr gespannt.
P.S.: das Vorderrad müsste ich allerdings selbst ausbauen können, dazu müsste es dann noch eine Anleitung geben.
Für den Ausbau der Vorderrades gibt es eine Anleitung und mit ein bisschen Übung geht kriegt man das gut hin.
Das klingt nach einer interssanten (wenn auch etwas kostspieligen) Erweiterung der Optionen. Was ich noch nicht verstanden habe: Warum muss die Gabel von 110×20 auf 110×15 mm Steckachsaufnahme umgerüstet werden? (Statt eine Vorderradnabe zu verwenden, die mit 20mm Steckachse kompatibel ist) 20mm ist doch im Prinzip besser (da steifer) als 15mm, oder?
@Ulrich: Zum einen ist das Naben-Angebot für 110×20 ist sehr überschaubar und zum anderen gibt es meiner Kenntnis nach dafür keinen passenden Nabendynamo. Und der Nabendynamo ist unverzichtbar (Stromversorgung) fürs Reiserad.
Cooles Produkt! Das mit den Schutzblechen wird schon klappen, wenn auch bissl speziell aussehen in der Befestigung, aber das ist man ja gewohnt ;-).
@ Velotraum: Mit der Pflege wird es dann aber aufweniger und dem Salz im Winter muss man dann gänzlich aus dem Weg gehen.
@ Christopf Kern: Wie verhält sich das mit der Pflege im Motorcrossbereich? Da fliegen doch ordentlich Schlamm, Sand und Steine rum.
@ Amadeus: Mit einer angemessen Pflege sehe ich da auch keine Probleme im Winterbetrieb. Kritisch wird es freilich beim Nicht-pflegenden-Intensivnutzer, der sollte in der Tat die Finger von so einer Technik lassen ;-)
@Amadeus: kann man vielleicht präzisieren, warum der Winterbetrieb bzw. die Pflege so ein Problem sind?
Es soll also eine USD-Gabel in ein Fahrrad eingebaut werden, bei der selbst Profis schon Schierigkeiten mit dem Radwechsel haben … so habe ich das vertsatanden.
Die Frage ist für mich: Weshalb denn?
Es scheint in letzter Zeit eine Art Trend zu sein, dass Fahrräder offenbar nur noch von Technik-Freaks bedient werden können oder sollen. Federgabel für Packtaschen … JA, GERNE, SOFORT … aber bitte dann doch so entwickelt, dass man keinen IHK-Abschluss als Zweiradmechaniker braucht umd seinen platten Vorderreifen austuaschen zu können. Gerne auch dann für 1500 Euro.
@Günther Walter: darauf wurde ja schon eingegangen von Christoph Kern.
@stefan von Velotraum: mich würde noch interessieren, wieviel Reifendurchlauf möglich ist, bzw. wie breite Schutzbleche montiert werden können.
Es hört sich ja so an, dass etwas aus der Sache wird, daher fände ich es interessant, wenn bei Gelegenheit noch einmal die Vor-und Nachteile einer Upside-Down-Federgabel beschrieben würden.
@ Berthold Bless: Reifendurchlauf ist sicherlich bis zum Reifenformat 75-584 mm vorhanden und Schutzbleche werden bis 75 mm Breite möglich sein, also z. B. die momentan von uns verwendeten A75-Bleche.
Eine noch detailliertere Beschreibung der Vor- und Nachteile von Upside-Down-Federgabeln folgt, wenn es zur Markteinführung kommt ;-)
@Berthold Bless: Die Tauchrohe von Federgabeln mögen bekanntlich kein Salz.
@Amadeus: Na das gilt ja wohl dann für alle Federgabeln und nicht nur für die hier vorgestellte.
@Insider:das denke ich mir auch.
Guckt Euch doch mal die seinerzeit von Tout Terrain in Kleinserie aufgelegte Maverick SC 32 Touring an. Dort hat man mit „gepäckträgerdicken Rohren“ die Aufnahme für das Schutzblech gefertigt, welche dann mit zwei Schrauben pro Seite über der Steckachse montiert wurde. Dazu gabs von SON, ebenfalls in Kleinserie gefertigt, einen direktkontaktierenden NaDy. Funktionierte bei meinem Panamericana 15 Jahre ohne nennenswerte Probleme. Finde ich grandios, dass Bike Technology sowas auf den Markt bringt!! Zu mal dann auch Taschen anderer Hersteller passen. Bei mir passte „nur“ die Arkel Dolfin 32. Ich wünsche mir, dass solche Entwicklungen im Zeitalter, wo Gepäckträger an Hinterbauschwingen geschraubt werden, nicht in der Versenkung enden!