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Roaming Pedals | №10 – Zwei Frauen, ganz alleine?

Dass unser Selbstbild und Fremdbild nicht immer deckungsgleich sind, zeigt sich zum Beispiel beim Alter.

Heutzutage liegen zwischen dem Außen (Jahrgang) und Innen (Lebensgefühl) gerne mal 20 oder 30 Jahre ;-) Und damit sind wir beim Thema respektive bei »Roaming Pedals«.

Regelmäßig werden wir auf unsere Markenbotschafterinnen Johanna und Tanja alias »Roaming Pedals« angesprochen. Geschlechterunabhängig wird da Bewunderung und Staunen geäußert und ausgesprochen bzw. unausgesprochen steht im Raum: »Respekt – zwei Frauen auf so einer Tour« .

Diese Reaktionen und die Instagram-Storys von Tanja und Jj haben den Chronisten dazu bewogen, eine leicht provokante Frage an die beiden zu stellen: »Ist es für zwei Frauen inzwischen einfacher, in der Welt unterwegs zu sein? – Also überwiegend mit offenen Armen empfangen zu werden und viel Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft zu erfahren. Würde das zwei ähnlich sympathischen Männern auch so widerfahren, oder haben Frauen da inzwischen mehr Sympathie oder bedienen/wecken klassische Beschützerinstinkte?«.

Vielleicht ist die Frage ja dämlich, in jedem Fall hat mich die Antwort von Roaming Pedals überrascht (wir sind Frauen, aber in erster Linie Radreisende) und zum Nachdenken gebracht. Denn wenn ich mit dem Rad unterwegs bin, nehme ich mich in der Tat nicht explizit als Mann wahr, sondern als Radreisender (generisches Maskulinum). Allerdings habe ich mir noch nie Gedanken gemacht, wie das die Anderen sehen. Immerhin, liebe Tanja, kann ich das mit dem Hunger bestätigen: Ein 190 Zentimeter großer Doppelzentner hat sehr viel Hunger ;-)

№10 – Zwei Frauen, ganz alleine?

Von Tanja Willers und Johanna Hochedlinger

»Zwei Frauen, ganz alleine?« – Diesen Satz hören wir seit inzwischen 13 Monaten von all jenen, die es nicht schaffen die Grenzen ihrer Vorstellungskraft besser zu verschleiern. Und inzwischen ist es uns auch egal, ob unser Kopfnicken Bewunderung, ein skeptisches Stirnrunzeln oder Kopfschütteln nach sich zieht. Noch vor einem Jahr hätten wir vielleicht den Anspruch gehabt, uns aktiv in die Lebensrealitäten dieser Menschen hineinzureklamieren. Heute denken wir meist nur mehr »Schau doch hin. Hier sind wir.«
Wir wurden an dieser Stelle vor einiger Zeit nach unserer Einschätzung zum Thema »Zwei Frauen auf Reisen« gefragt – genauer gesagt zur Rolle unseres Geschlechts in Bezug auf unsere mehrheitlich positiven Reiseerfahrungen im vergangenen Jahr. Reisen wir auf der erfreuten Sympathiewelle oder unter dem besorgten Schutzschirm unserer Gegenüber?

Wie viel von dem, was wir tagtäglich erleben, unserem Geschlecht geschuldet ist, wissen wir nicht, denn wir haben das alles ja selber zum ersten Mal, und zwar nur genau so – als Frauen – erlebt. Und im Bereich aller schönen Erfahrungen wollen wir auch gar nicht zu spitzfindig sein, sondern uns über das Gute freuen, das uns in allen bereisten Ländern zuteil wurde – Beschützerinstinkt hin oder her oder frei nach dem Motto »Wie man in den Wald hineinruft …« Wo es unangenehm wurde, lohnt es sich jedoch sicher, etwas genauer hinzuschauen und das wollen wir diesmal mit zwei Stimmen tun, denn auch unsere Wahrnehmungen unterscheiden sich gelegentlich voneinander.

Johanna (Jj)

Die kulturellen Unterschiede waren auf dieser Reise oft so groß, dass das Merkmal Mann/Frau irgendwie nebensächlich war, zumindest aus meiner Sicht. In Afrika sind wir quasi wie Aliens mit unseren High-Tech-Wundermaschinen in der Gegend herumgekurvt und die Leute fanden uns schon allein deshalb spannend.
Ich, als androgyne sportliche Frau, war quer über alle bereisten Kontinente mit vor allem Männern konfrontiert, die mich für ihresgleichen hielten. Dieser Irrtum zeigte sich ganz harmlos mit den männlichen Begrüßungsformen in Sambia, überschwänglichen Stirn- und Wangenküssen eines kurdischen Opis im Iran bis hin zu einem mich brüderlich für ein Foto in den Arm nehmenden Saudi auf offener Straße und Frauen, die sich bei meinem Anblick verunsichert das Kopftuch überwarfen.
Sowohl unter Arabern wie auch unter Persern ist es nicht üblich, fremde Frauen anzusehen, geschweige denn sie zu berühren. Und so habe ich in vielen Fällen mein wohlwollendes jedoch unwissendes Gegenüber in ihrem Glauben gelassen und die verzwickte Situation, um ein schamerfülltes Gesicht zu vermeiden, nicht aufgeklärt. Es war an einem späteren Nachmittag als mir ein verzweifelter Tankstellenwart in der Hoffnung auf ein homoerotisches Abenteuer nachstellte während ich auf der etwas abgelegenen Toilette unsere Wasserflaschen anfüllen wollte. Hier verschwendete ich keinen Gedanken mehr an Höflichkeit und befreite mich lautstark und mit geringem Kraftaufwand aus der unangenehmen Situation. Solche Momente haben mir auf dieser Reise immer wieder aufgezeigt, wie wichtig es ist, meine Grenzen zu kennen und verteidigen zu können. Bei all den einzigartigen Erlebnissen, die uns durch unsere Freundlichkeit oder Offenheit zu Teil wurden, blieb natürlich immer das Risiko von Missinterpretation und Missverständnis, und hier gilt es bei allem Respekt zuerst auf die eigenen Bedürfnisse zu achten.

In diesem Sinne glaube ich, dass es keinen qualitativen Unterschied macht, ob Frauen oder Männer reisen, egal ob allein, zu zweit, gemischt oder in Gruppen!

Tanja

Ich nehme mich meistens nicht als reisende Frau, sondern primär als reisenden, radelnden, hungrigen, glücklichen Menschen wahr. Ich beziehe demnach Reaktionen meines Umfeldes nicht auf mein Frausein, sondern gleichermaßen auf meine gesamte Persönlichkeit – umgekehrt sind auch nicht Weiblichkeit oder Haarfarbe meine Werkzeuge der Wahl, sondern der ganze Charakter-Werkzeugkasten.

Vielleicht habe ich mich auch deshalb noch nie in einer für mich als Frau unangenehmen oder ernsthaft bedrohlichen Lage wiedergefunden. Der Exhibitionist am idyllischen Fluss schüchtert nicht die Frau in mir ein, er erschreckt mich und stößt auf genervtes Unverständnis. Der LKW Fahrer, der uns freundlicherweise mitnimmt und dann per Google Translate um Sex bittet, verletzt nicht meine Weiblichkeit, aber seine Distanzlosigkeit macht mich so stinksauer, dass er heute noch froh ist, an diesem Tag nicht sowohl sein Handy als auch seine Autotüre an meine Fassungslosigkeit verloren zu haben.

Ich sehe, dass die meisten dieser Situationen ihren Ursprung in einem mittelalterlichen Geschlechterverständnis haben, aber ich weigere mich, in diesem banalen Kontext zu verbleiben. Man könnte es zeitgemäß Mansplaining nennen, wenn ein Mann meiner Routenplanung nicht glaubt und versucht, aus dem Stegreif eine bessere aus dem Ärmel zu schütteln, während er nicht einmal seinen eigenen Standort auf der Karte finden kann. Oder es ist einfach peinliche Klugscheißerei. Dass die Statistik Männer hier nicht gerade ins beste Licht rückt, macht für mich im Umgang mit zwischenmenschlich mühsamen Situationen keinen wesentlichen Unterschied.

Wir schreiben das Jahr 2023, ich akzeptiere »Geschlecht« nicht als soziales Kriterium und ich lerne immer wieder, dass viele Menschen das anders sehen – vielleicht sind es die selben, die Müll aus ihrem Autofenster und Steine auf ihre eigenen Kinder werfen. Trotzdem frage ich mich schon lange nicht mehr »Wie wäre das Reisen, wenn ich zwei Meter groß und männlich wäre?« Denn dann wäre ich vermutlich nicht mit Jj unterwegs und müsste NOCH mehr essen, um satt zu werden.

Wir können hier nur einen Bruchteil der schönen, weniger schönen und entbehrlichen Erfahrungen anschneiden, die wir zwischen Kapstadt und Wien machen durften, aber wir können festhalten, dass es uns auf dieser Reise sehr gut ergangen ist, trotz, ungeachtet und aufgrund der Tatsache, dass wir zwei Frauen auf Fahrrädern sind. Und den ganzen Rest gibt es vielleicht mal in einem Buch nachzulesen …

  • Fremdbild: »Es beinhaltet die Vorstellung über eine Person aus Sicht einer anderen Person, die durch Erfahrungen, Einstellungen und Stereotypen des Außenstehenden beeinflusst wird. Beide Bilder stehen in wechselseitigem Zusammenhang und verändern sich gegenseitig.«
  • Selbstbild: »Bezeichnet die Vorstellung über die eigene Person. Sie steht im Vergleich zum idealisierten Wunschbild und umfasst Eindrücke über eigene Charakterzüge und die Persönlichkeit. Durch das Selbstbild was wir von uns haben, wird unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst.«

Roaming Pedals auf:

  1. auf Wordpress
  2. auf Instagram

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